Kevin McCarthy, nachdenklich
AP/Alex Brandon
Speaker-Wahl im Kongress

Historische Schlappen für McCarthy

Üblicherweise ist die erste Sitzung des US-Kongresses eine feierliche Angelegenheit mit viel förmlichem Prozedere. Die Wahl zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses sorgte am Dienstag hingegen für eine Sensation. Der Fraktionschef der Republikaner, Kevin McCarthy, war in drei Wahlgängen am Widerstand von Parteikollegen aus dem ultrarechten Flügel gescheitert. Die Wahl wurde daraufhin vertagt.

Weitergehen soll es daher am Mittwochmittag (Ortszeit). Es war offen, wie viele Abstimmungen noch notwendig sein werden, um einen neuen Vorsitzenden für die Parlamentskammer zu wählen. Im ersten und zweiten Wahlgang lehnten sich 19 Parteikollegen gegen McCarthy auf, verweigerten ihm die Unterstützung und gaben anderen Kandidaten ihre Stimme. Im dritten Wahlgang wuchs die Zahl der Abweichler sogar auf 20 an.

Für die Vorsitzendenwahl ist im einfachsten Szenario eine Mehrheit von 218 Stimmen nötig – falls alle 434 neu gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier anwesend sind und einem Kandidaten ihre Stimme geben. Wenn sich einige von ihnen enthalten, ist die nötige Mehrheit kleiner.

Die Wahl zum Speaker gilt eigentlich als Formalie. Es ist 100 Jahre her, dass ein Kandidat bei der Abstimmung zum Vorsitz im Repräsentantenhaus nicht im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit erreichte: 1923 waren neun Wahlgänge nötig, um einen Vorsitzenden zu bestimmen. Damals dauerte es mehrere Tage. Die Wahl zum Speaker ist auch deshalb wesentlich, weil das Repräsentantenhaus erst mit dessen Ernennung die Arbeit aufnehmen kann. Der Speaker ist es nämlich auch, der die Abgeordneten vereidigt.

Thomas Langpaul (ORF) zur Speaker-Wahl

ORF-Korrespondent Thomas Langpaul über die Hintergründe des republikanischen Wahldebakels bei der Wahl zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses.

McCarthy holte gegen parteiinterne Widersacher aus

Vor den Abstimmungen sagte McCarthy, dass es seinen Gegnern allein um persönliches Fortkommen, nicht um das Land gehe. Er legte offen, am Montag sei ihm gesagt worden, er werde nur die nötigen Stimmen bekommen, wenn er bestimmte Mitglieder der Fraktion mit bestimmten Ämtern und Etats versorge. Einer seiner Gegner, der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz, habe sogar unverblümt gesagt, ihm sei es egal, wenn im Zweifel der Kandidat der Demokraten gewinne, sagte McCarthy weiter.

„Ich werde immer dafür kämpfen, dass das amerikanische Volk an erster Stelle steht – nicht ein paar einzelne, die etwas für sich selbst durchsetzen wollen.“ Es werde deshalb vielleicht eine „Schlacht“ im Plenum der Kammer geben, aber dabei gehe es um die gesamte Fraktion und das Land, „und das ist okay für mich“, sagte der 57-Jährige am Dienstag vor Sitzungsbeginn. „Ich halte den Rekord für die längste Rede im Plenum“, sagte McCarthy. Er habe kein Problem damit, einen Rekord aufzustellen für die meisten Wahlgänge bei einer Abstimmung zum Vorsitz im Repräsentantenhaus.

Blick auf den Kongress von innen
IMAGO/UPI Photo/Ken Cedeno
Der US-Kongress trat am Dienstag erstmals in neuer Konstellation zusammen

Rote Enttäuschung bei Midterms

Zur Erinnerung: Bei den Midterms im November blieb eine von den Republikanern erhoffte „rote Welle“ aus. Die Kontrolle im Repräsentantenhaus konnten die Konservativen damit nur knapp übernehmen. Im Senat behielten hingegen die Demokraten die hauchdünne Mehrheit.

Für den republikanischen Fraktionschef McCarthy war damit schnell klar, dass die knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus ihm in seinem Bestreben um das dritthöchste Amt in den USA – nach dem des Präsidenten und der Vizepräsidentin – zum Hindernis wird. Teile des ultrarechten Parteiflügels machten in den vergangenen Wochen deutlich, dass sie McCarthy bei der Speaker-Wahl nicht unterstützen wollen. Stattdessen sprach man sich für den ultrarechten Andy Biggs aus.

Republikaner stark gespalten

Die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus ist wie die gesamte Partei zerrissen zwischen rechtsgerichteten Anhängern des Ex-Präsidenten Donald Trump und moderateren Parteimitgliedern. Angesichts der nur knappen Mehrheit musste McCarthy die verschiedenen Flügel hinter sich vereinen und selbst Mitglieder vom äußersten Rand seiner Fraktion für sich gewinnen. Fünf Republikaner hatten früh öffentlich angekündigt, McCarthy ihre Stimme zu verweigern. Danach meldeten sie weiteren Widerstand an.

In den vergangenen Wochen hatte McCarthy versucht, interne Kritikerinnen und Kritiker durch allerlei Zugeständnisse zu besänftigen. Zuletzt ließ er sich sogar darauf ein, die Hürden für eine mögliche Abberufung des Vorsitzenden im Repräsentantenhaus deutlich zu senken, wie mehrere US-Medien übereinstimmend unter Berufung auf interne Gespräche in der Fraktion berichteten. Das könnte als ständiges Druckmittel gegen ihn verwendet werden – doch selbst trotz dieses Entgegenkommens war bis zuletzt keine Mehrheit für McCarthy gesichert.

Einer von McCarthys Gegnern, der republikanische Abgeordnete und Vorsitzende der ultrakonservativen Vereinigung Freedom Caucus, Scott Perry, schrieb am Dienstag auf Twitter, McCarthy habe in den Gesprächen zahlreiche Forderungen seiner Gruppe abgelehnt. McCarthy habe die Chance gehabt, Vorsitzender zu werden. „Er hat sie zurückgewiesen.“

Veränderte Mehrheitsverhältnisse im Kongress

Bei der Kongresswahl Anfang November waren alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus sowie 35 der 100 Sitze im Senat neu vergeben worden. Beide Kammern tagten an diesem Dienstag in getrennten Sitzungen, erstmals in neuer Besetzung. Im Repräsentantenhaus erreichten die Republikaner nur eine knappe Mehrheit von 222 Sitzen. 212 Sitze stellen die Demokraten. Ein Sitz ist noch offen, da ein Abgeordneter kurz nach der Wahl starb.

Mit den veränderten Mehrheitsverhältnissen und ihrer neuen Stärke im Repräsentantenhaus können die Republikaner künftig Biden das Leben schwer machen. Sie haben bereits parlamentarische Untersuchungen gegen den Präsidenten und andere Regierungsmitglieder angekündigt, und sie können nach Belieben Gesetzgebungsvorhaben blockieren.