Polizist auf Pferd vor Demonstranten
IMAGO/Fotoarena/Ton Molina
Angriff auf Regierungsgebäude

230 Festnahmen, Lula spricht von „Barbarei“

Radikale Anhängerinnen und Anhänger von Ex-Präsident Jair Bolsonaro haben am Sonntag das Regierungsviertel in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia gestürmt und kurzzeitig die Schaltzentralen der wichtigsten Staatsgewalten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Sie drangen in den Nationalkongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palacio do Planalto ein und randalierten in Sitzungssälen und Büros. 230 Personen wurden festgenommen, Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva sprach von „Barbarei“. Sein Vorgänger Bolsonaro wies die Anschuldigungen, die Menschen angestiftet zu haben, zurück.

Bis zum Abend (Ortszeit) sei gegen 30 Menschen Untersuchungshaft verhängt worden, berichtete das Nachrichtenportal G1 unter Berufung auf den Obersten Gerichtshof. Auf Bildern und Videos war zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit hinter dem Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.

„Was sie heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes“, sagte Staatschef Lula, der zum Zeitpunkt der Attacke nicht in der Hauptstadt war. „Das war Barbarei. Das waren Faschisten. Sie müssen gefunden und bestraft werden.“ Der Linkspolitiker hatte Brasilien bereits 2003 bis 2010 regiert und erst vor einer Woche als erster demokratisch gewählter Präsident des südamerikanischen Landes eine dritte Amtszeit angetreten.

Eindringlinge vor Kongressgebäude
APA/AFP/Sergio Lima
Tausende randalierten im Regierungsviertel in Brasilia

Polizei wirkte völlig überrumpelt

Tausende Bolsonaro-Anhänger hatten zuvor das Regierungsviertel gestürmt. Die Polizei wirkte völlig überrumpelt. Schnell rissen die Demonstranten die Straßensperren ein und drängten die Beamten zurück. Bald standen sie auf dem Dach des Kongresses und schwenkten brasilianische Nationalflaggen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz ein.

Im Inneren der Gebäude ließen die Randalierer ihrem Hass auf den gewählten linken Präsidenten freien Lauf. Sie stießen Sessel und Schreibtische um, warfen Fensterscheiben ein, beschädigten Kunstwerke und schmierten Parolen an die Wände. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolosonaro-Anhängerinnen und -Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes als Trophäe mit.

Fotostrecke mit 9 Bildern

Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Demonstrierende verwüsteten ein Büro im Kongressgebäude
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Die Szenen erinnern an den Kapitol-Sturm in den USA am 6. Jänner 2021
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Im Gebäude selbst richteten die Protestierenden großen Sachschaden an
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Auch der Sitz des Präsidenten geriet ins Visier der Demonstrierenden
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Aus einem Fenster des Regierungssitzes hielt ein Bolsonaro-Anhänger die Flagge Brasiliens
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
APA/AFP/Evaristo Sa
Die Zahl der Demonstrierenden, die die Gebäude in Brasilia attackierten, wurde auf etwa 3.000 geschätzt
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
APA/AFP/Evaristo Sa
Zuvor hatten die Demonstrierenden die Polizeiabsperrungen vor dem Kongress überwunden
Ausschreitungen bei Pro-Bolsonaro-Demonstration in Brasilia
AP/Eraldo Peres
Die Demonstrierenden lieferten sich Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften
Pro-Bolsonaro-Demonstranten stürmen den Kongress in Brasilia
Reuters/Adriano Machado
Die Polizei hielt sich Medienberichten zufolge anfangs stark zurück

Lage erst nach Stunden wieder unter Kontrolle

Erst nach Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz der drei Staatsgewalten im Zentrum der Hauptstadt vor. Spezialkräfte setzten Tränengas ein, Hubschrauber kreisten über dem Regierungsviertel. Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino mitteilte.

Polizei feuert Tränengas Richtung Demonstranten
Reuters/Adriano Machado
Der Polizei gelang es nach Stunden, die Lage im Regierungsviertel unter Kontrolle zu bekommen

Gerade zu Beginn der Krawalle gab die Polizei keine gute Figur ab. Schon seit Tagen kampierten zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger Bolsonaros vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Als am Samstag und Sonntag rund 4.000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert. Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handyvideos, wie im Fernsehen zu sehen war.

Bolsonaro-Anhänger stürmen Regierungsgebäude

Tausende Anhänger des ultrarechten ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben das Parlament, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Brasilien gestürmt. Spezialkräften der Militärpolizei gelang es erst nach mehreren Stunden, die Gebäude zu räumen. Es gab rund 230 Festnahmen.

Brasilias Sicherheitschef entlassen

Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten. Er wurde noch am Sonntag entlassen. Lula stellte die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt per Dekret unter Bundesaufsicht. Auch in der Polizei hat der frühere Staatschef Bolsonaro offenbar noch immer viele Sympathisanten. Als der Mob das Regierungsviertel stürmte, stellten sich ihm jedenfalls nur wenige Beamte entgegen.

Festnahme von Pro-Bolsonaro-Demonstranten
Reuters/Adriano Machado
Zahlreiche Bolsonaro-Anhängerinnen und -Anhänger wurden festgenommen

Bolsonaro weist Vorwürfe zurück

Bolsonaro ging in einer ersten Reaktion auf Distanz zu den Vorfällen: „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter“, schrieb der Ex-Staatschef auf Twitter. „Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt.“

Lula, der die Schäden in Brasilia noch am Sonntag inspizierte, wozu er aus Sao Paulo anreiste, warf Bolsonaro vor, dessen Anhänger aufgestachelt zu haben. „Sie nutzten die sonntägliche Stille, als wir noch dabei waren, die Regierung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehrere Reden des ehemaligen Präsidenten, in denen er das befürwortet. Das liegt auch in seiner Verantwortung und in der Verantwortung der Parteien, die ihn unterstützt haben“, sagte Lula.

Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. „Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt“, schrieb er. Der Ex-Militär hatte mit seiner Familie Brasilien bereits zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen und war in die USA gereist.

Bolsonaros Partei: „Trauriger Tag für Nation“

Bolsonaros Partei verurteilte die Attacken. „Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein“, sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberaler Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video.

„Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten auf das Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken“, so Neto.

Brasiliens Präsident Lula mit Mikrofon
APA/AFP/Evaristo Sa
Lula macht Bolsonaro für die Vorfälle im Regierungsviertel verantwortlich

Scharfe Kritik von Lulas Arbeiterpartei

Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann, erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasilia: „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasilia und im Nationalkongress“, schrieb Hoffmann auf Twitter. „Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert“, so Hoffmann weiter.

Erinnerungen an Washington

Die Szenen in Brasilia erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Jänner 2021. Damals hatten Anhängerinnen und Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.

In Stichwahl unterlegen

Bolsonaro war im Oktober Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhängerinnen und Anhänger blockierten immer wieder Landstraßen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs.