Bis zum Abend (Ortszeit) sei gegen 30 Menschen Untersuchungshaft verhängt worden, berichtete das Nachrichtenportal G1 unter Berufung auf den Obersten Gerichtshof. Auf Bildern und Videos war zu sehen, wie Polizisten mehrere Männer und Frauen mit hinter dem Rücken gefesselten Händen aus dem Kongress führten.
„Was sie heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes“, sagte Staatschef Lula, der zum Zeitpunkt der Attacke nicht in der Hauptstadt war. „Das war Barbarei. Das waren Faschisten. Sie müssen gefunden und bestraft werden.“ Der Linkspolitiker hatte Brasilien bereits 2003 bis 2010 regiert und erst vor einer Woche als erster demokratisch gewählter Präsident des südamerikanischen Landes eine dritte Amtszeit angetreten.

Polizei wirkte völlig überrumpelt
Tausende Bolsonaro-Anhänger hatten zuvor das Regierungsviertel gestürmt. Die Polizei wirkte völlig überrumpelt. Schnell rissen die Demonstranten die Straßensperren ein und drängten die Beamten zurück. Bald standen sie auf dem Dach des Kongresses und schwenkten brasilianische Nationalflaggen. Kurz darauf drangen sie auch in den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz ein.
Im Inneren der Gebäude ließen die Randalierer ihrem Hass auf den gewählten linken Präsidenten freien Lauf. Sie stießen Sessel und Schreibtische um, warfen Fensterscheiben ein, beschädigten Kunstwerke und schmierten Parolen an die Wände. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolosonaro-Anhängerinnen und -Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes als Trophäe mit.
Lage erst nach Stunden wieder unter Kontrolle
Erst nach Stunden brachten die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle. Die Militärpolizei rückte mit Reiterstaffeln und gepanzerten Fahrzeugen auf den Platz der drei Staatsgewalten im Zentrum der Hauptstadt vor. Spezialkräfte setzten Tränengas ein, Hubschrauber kreisten über dem Regierungsviertel. Rund 230 Verdächtige wurden festgenommen, wie Justizminister Flavio Dino mitteilte.

Gerade zu Beginn der Krawalle gab die Polizei keine gute Figur ab. Schon seit Tagen kampierten zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger Bolsonaros vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Als am Samstag und Sonntag rund 4.000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert. Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handyvideos, wie im Fernsehen zu sehen war.
Bolsonaro-Anhänger stürmen Regierungsgebäude
Tausende Anhänger des ultrarechten ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben das Parlament, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast in Brasilien gestürmt. Spezialkräften der Militärpolizei gelang es erst nach mehreren Stunden, die Gebäude zu räumen. Es gab rund 230 Festnahmen.
Brasilias Sicherheitschef entlassen
Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, war unter Bolsonaro Justizminister und gilt als Gefolgsmann des Ex-Präsidenten. Er wurde noch am Sonntag entlassen. Lula stellte die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt per Dekret unter Bundesaufsicht. Auch in der Polizei hat der frühere Staatschef Bolsonaro offenbar noch immer viele Sympathisanten. Als der Mob das Regierungsviertel stürmte, stellten sich ihm jedenfalls nur wenige Beamte entgegen.

Bolsonaro weist Vorwürfe zurück
Bolsonaro ging in einer ersten Reaktion auf Distanz zu den Vorfällen: „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter“, schrieb der Ex-Staatschef auf Twitter. „Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt.“
Lula, der die Schäden in Brasilia noch am Sonntag inspizierte, wozu er aus Sao Paulo anreiste, warf Bolsonaro vor, dessen Anhänger aufgestachelt zu haben. „Sie nutzten die sonntägliche Stille, als wir noch dabei waren, die Regierung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehrere Reden des ehemaligen Präsidenten, in denen er das befürwortet. Das liegt auch in seiner Verantwortung und in der Verantwortung der Parteien, die ihn unterstützt haben“, sagte Lula.
Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. „Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt“, schrieb er. Der Ex-Militär hatte mit seiner Familie Brasilien bereits zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen und war in die USA gereist.
Bolsonaros Partei: „Trauriger Tag für Nation“
Bolsonaros Partei verurteilte die Attacken. „Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein“, sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberaler Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video.
„Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten auf das Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken“, so Neto.

Scharfe Kritik von Lulas Arbeiterpartei
Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT), Gleisi Hoffmann, erhob schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasilia: „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasilia und im Nationalkongress“, schrieb Hoffmann auf Twitter. „Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert“, so Hoffmann weiter.
Erinnerungen an Washington
Die Szenen in Brasilia erinnerten an die Ausschreitungen am Sitz des US-Kongresses in Washington am 6. Jänner 2021. Damals hatten Anhängerinnen und Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt, in dem die Wahlniederlage des Republikaners gegen Joe Biden beglaubigt werden sollte. Die Menge drang gewaltsam in das Gebäude ein, fünf Menschen starben.
In Stichwahl unterlegen
Bolsonaro war im Oktober Lula in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Bereits vor der Wahl hatte er immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut. Beweise dafür legte er allerdings nie vor. Auch nach der Abstimmung erkannte er seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhängerinnen und Anhänger blockierten immer wieder Landstraßen, kampierten vor Kasernen und forderten eine Militärintervention zugunsten des abgewählten Staatschefs.