Essen auf Teller
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Noma schließt

Sterneküche am Scheideweg

Ein oder mehr Sterne, verliehen vom Guide Michelin, gelten als die Krönung der Kochkunst. Hunderte Euro werden für Menüs in der gehobenen und aufwendigen Spitzengastronomie bezahlt. Immer wieder kehren Spitzenköche nicht zuletzt aufgrund des enormen Drucks dieser Welt den Rücken. Die Sterneküche dürfte an einem Wendepunkt angelangt sein, wie auch die angekündigte Schließung des Spitzenrestaurants Noma in Dänemark zeigt.

Mehrfach wurde das Dreisternerestaurant in Kopenhagen zum besten Restaurant der Welt gekürt. Sein Starkoch Rene Redzepi etablierte mit seinem Konzept – weg von importierten Luxusartikeln wie Foie gras (Gänsestopfleber) hin zu regionalen Produkten wie Fichtenspitzen und Rentierherz – eine eigene Linie und gab damit der skandinavischen Küche einen neuen Status.

Ende 2024 will Redzepi sein Restaurant nach 20 Jahren für den regulären Betrieb schließen, teilte er der „New York Times“ („NYT“) mit. Folgen sollen ein Lebensmittellabor, das kreative Gerichte und Produkte für das E-Commerce-Unternehmen Noma Projects produzieren soll, und ab und zu soll bei Pop-ups aufgekocht werden.

„Branche völlig neu denken“

Der Wandel sei gekommen, als er während der pandemiebedingten Schließungen Zeit hatte, über das Geschäftsmodell Spitzengastronomie nachzudenken. Die derzeitige Form der Spitzengastronomie sei nicht nachhaltig: „Finanziell und emotional, als Arbeitgeber und als Mensch, es funktioniert einfach nicht.“ Bei den harten Arbeitszeiten sei es schwierig, fast 100 Mitarbeiter fair zu entlohnen und hohe Standards zu Preisen, die noch vom Markt getragen werden, zu halten: „Wir müssen die Branche völlig neu denken.“

Zwar gilt die Mitarbeit in der Küche bekannter Starköche wie etwa im Noma als Eintrittskarte in die gastronomische Spitzenklasse. Doch regt sich zunehmend Unmut über die Arbeitsbedingungen – auch im Noma. Erst Ende vergangenen Jahres fing Redzepi an, seine Praktikanten und Praktikantinnen, die einen wesentlichen Teil der Basisarbeiten verrichten, zu bezahlen. „Alles, was luxuriös ist, wird auf dem Rücken von jemandem aufgebaut; jemand muss dafür bezahlen“, sagte der finnische Chefkoch Kim Mikkola gegenüber der „NYT“. Mikkola war einige Jahre als Koch bei Noma beschäftigt.

 Rene Redzepi beim Sitzen
APA/AFP/Thibault Savary
Rene Redzepi will das Noma in Kopenhagen Ende 2024 für den regulären Betrieb schließen

Schon das weltberühmte katalanische Restaurant El Bulli, das sich mit Ferran Adria und dessen Molekularküche an die Weltspitze kochte, machte mit seiner Gastrotätigkeit Verluste. Diese machte Adria mit der Vermarktung der Marke El Bulli, mit dem Verkauf von Büchern und DVDs wieder wett. Nichtsdestotrotz schloss das El Bulli bereits 2011. Zum Abschlussfestessen war neben dem italienischen Starkoch Massimo Bottura auch Redzepi geladen.

Hoher Aufwand, wenig Gewinn

In Frankreich mussten kürzlich auch Sternerestaurants schließen, weil der Gewinn nicht mehr ausreichte. Der bereits mit einem Stern ausgezeichnete 27-jährige Adrien Soro etwa beendete nach vier Jahren intensiver Arbeit sein Domaine de la Meynardie: „Wenn ich alles zusammenzähle, was ich mir selbst bezahlt habe, alles absolut, alles seit meiner Eröffnung, habe ich mir 352 Euro im Monat gezahlt“, sagte er gegenüber France 3.

Auch David Kinch schloss sein auf saisonale und lokale Produkte aufgebautes Dreisternerestaurant Manresa in Kalifornien mit Ende vergangenen Jahres. Seine anderen bodenständigeren Lokale will er behalten: „Die gehobene Gastronomie befindet sich am Scheideweg, und es müssen große Veränderungen stattfinden.“ Die Arbeit bei Manresa sei durch eine hohe Verbundenheit der Mitarbeiter geprägt gewesen, erinnerte sich ein ehemaliger Koch via Instagram positiv an seine Zeit bei Kinch: „Das waren nicht nur Kollegen. Wir waren sofort eine Familie.“

Kritik an Arbeitsbedingungen

Einige Beispiele, die öffentlich wurden, zeigen allerdings eine andere Realität des Arbeitsalltags in der Spitzengastronomie. In Dänemark etwa positionierte sich die frühere Kellnerin Lisa Lind Dunbar gegen die Ausbeutung in der gehobenen Gastronomie mit Fokus auf die fast 40 Sternerestaurants in Dänemark.

Einige Fälle toxischer Arbeitsbedingungen gelangten auch in den USA an die Öffentlichkeit. Kritik an den Arbeitsbedingungen musste sich etwa Daniel Humm für sein bekanntes Eleven Madison Square in New York gefallen lassen. Gegenüber dem „Business Insider“ sprachen ehemalige Beschäftigte über schlechte Bezahlung, unbezahlte Überstunden und Chaos.

Inspiration für Kochhorrorfilm

Schon mehrere Jahre ist das Willows Inn auf einer Insel nördlich von Seattle mit Klagen und Vorwürfen wegen Lohndiebstahls, sexueller Belästigung und Rassismus konfrontiert, berichtete die Gastroplattform Bon Appetit. Das Restaurant diente als Inspiration für den Kochhorrorfilm „The Menu“.

Willows-Inn-Küchenchef Blaine Wetzel war ein Noma-Abgänger. Auch er punktete bei Gastrokritikern vor allem in der Anfangszeit ganz im Sinne Redzepis mit einer lokalen Speisekarte. Vor wenigen Wochen schloss das Restaurant nun endgültig.