Künstlerische Darstellung von Hakensaugwürmern
AP/Science Photo Library
Klimakrise

Große Sorge um Parasiten

Nicht nur Säugetiere, Vögel oder Amphibien sind von einem rasanten Artensterben betroffen – die Klimakrise bedrohe auch Parasiten. Das geht aus einer im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ („PNAS“) erschienenen Studie hervor. Forscherinnen und Forscher schlagen deshalb Alarm. Sie befürchten verheerende Folgen für ganze Ökosysteme.

Die Ergebnisse dürften für viele überraschend erscheinen: Steigende Temperaturen würden die meisten Menschen nämlich mit mehr Insekten, mehr Parasiten und mehr Krankheiten assoziieren, schreibt die „New York Times“. Tatsächlich gibt es für die stärkere Ausbreitung von als lästig geltenden Lebewesen infolge der Klimakrise einzelne Beispiele: Zecken, die Lyme-Borreliose verbreiten, etwa; Moskitos, die Malaria oder Zika übertragen; wie auch Raubwanzen, die mit der Verbreitung der Chagas-Krankheit in Verbindung gebracht werden.

Parasitenarten, die vom menschengemachten Klimawandel profitieren, seien aber die „Ausnahme, nicht die Regel“, schreibt die „NYT“. 85 Arten von Fischparasiten wurden im Zuge der PNAS-Studie im Nordostpazifik untersucht. Die Mehrheit litt binnen 140 Jahren unter einem Rückgang der Bestände. Das sei vergleichbar mit den am meisten bedrohten Wildtierarten der Welt, heißt es weiter.

Parasitenforscherin schlägt Alarm

„Es ist die Art von Rückgang, die Konservierungsmaßnahmen für Säugetiere und Vögel zur Folge hat und die Menschen alarmiert“, wird die Studienautorin und Parasitenforscherin Chelsea Wood (University of Washington) in der US-Zeitung zitiert. Um mehr Licht ins Dunkel zu bringen, untersuchte Wood gemeinsam mit ihren Kollegen und Kolleginnen 699 Fischarten – die meisten davon entstammen dem Burke Museum of Natural History and Culture in Seattle.

Die Fische, die zwischen 1880 und 2019 in der Meeresbucht Puget Sound bei dem US-Bundesstaat Washington gefangen und gesammelt worden waren, bezeichnete die Forscherin als „Parasiten-Zeitkapseln“. Insgesamt konnten die Wissenschaftler mehr als 17.700 Parasiten, die 85 unterschiedlichen Gruppen angehörten, feststellen. Dadurch war es ihnen möglich zu beobachten, wie sich deren Ausbreitung im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickelt hatte.

Unter Berücksichtigung von Faktoren wie Wasserverschmutzung und schwankenden Fischpopulationen fand das Forschungsteam heraus, dass Parasiten mit komplexeren Lebenszyklen mit jedem Grad Temperaturanstieg um 38 Prozent zurückgingen. Parasiten mit komplexen Lebenszyklen benötigen drei, vier oder sogar fünf Wirte, um sich vollständig vom Ei zum adulten Tier entwickeln zu können. Pro Jahrzehnt wurde überhaupt ein Rückgang um fast elf Prozent festgestellt.

Parasiten machen bis zu Hälfte aller Lebewesen aus

Bereits 2017 sorgte eine im Fachjournal „Science Advances“ erschienene Studie für Aufsehen: Bis 2070 könnte ein Drittel aller Parasitenarten aussterben, hieß es da. „National Geographic“ verwies 2021 auch auf eine weitere Studie, wonach zehn Prozent aller Parasitenarten in den nächste fünf Jahrzehnten aussterben dürften.

Abgesehen davon war die Datenlage zu Parasiten Forscherinnen und Forschern zufolge bisher dürftig – und das, obwohl 40 bis 50 Prozent aller Lebewesen der Welt Parasiten sind. Jene Zahlen würde der „New York Times“ zufolge nicht einmal Bakterien, Viren, Pilze und Protozoen berücksichtigen.

Weil Parasiten gemäß Definition zum Überleben einen anderen Organismus – den sogenannten Wirt – benötigen und diesen teils auch schädigen, gelten sie in der Tierwelt als „Paria“, schreibt „National Geographic“. Dabei fügen nicht alle ihrem Wirt merkbaren Schaden zu – und auch nur ein kleiner Teil betrifft den Menschen.

Infected shrimp and seagull predation
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Von Plattwürmern befallene Garnelen sind leichte Beute, da sie nach Infektion nahe an der Wasseroberfläche schwimmen

Wie Parasiten das Ökosystem stabilisieren

Fachleuten zufolge könnten so manche Parasiten gar zum Nutzen des Menschen eingesetzt werden – wie etwa der Medizinische Blutegel, der inzwischen als vom Aussterben bedroht gilt. Viel bedeutender scheint aber die Rolle von Parasiten bei der Erhaltung eines ausgeglichenen Ökosystems.

So sorgen einige Arten beispielsweise dafür, dass es nicht zu einer Überpopulation bestimmter Lebewesen kommt – ähnlich wie Raubtiere. Andererseits helfen sie manchen Tierarten an der Spitze der Nahrungskette indirekt beim Überleben, indem sie andere – schwächere – befallen, schädigen und damit zu leichter Beute machen.

Die „NYT“ nennt den kalifornischen Killifisch als Beispiel. Wird dieser von einem Saugwurm befallen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Fisch später einem Vogel zum Opfer fällt, um zehn bis 30 Prozent höher als bei einem nicht infizierten Artgenossen. „Raubtiere bekommen Schützenhilfe von Parasiten“, meinte Wood dazu.

„Paradoxon des gemeinsamen Aussterbens“

Der Forscherin und ihrem Team wurden nach Veröffentlichung der Studie Rosen gestreut. „So einen Datensatz gab es bisher auf der Welt nicht“, stellte die Parasitenforscherin Skylar Hopkins (North Carolina State University) fest. Bereits in einem Interview mit „National Geographic“ von 2021 hielt Hopkins fest, dass Parasiten aufgrund der Tatsache, dass sie vom Überleben anderer Arten abhängig sind, besonders stark vom Aussterben bedroht sind. Das Phänomen bezeichnete sie als „Paradoxon des gemeinsamen Aussterbens“.

Um auf das Parasitensterben aufmerksam zu machen, tat sich die Forscherin vor einigen Jahren mit anderen Fachleuten zusammen. In einer Sonderausgabe des Journals „Biological Conservation“ publizierten sie daraufhin im Jahr 2020 den ersten globalen Plan zum Erhalt von Parasiten.

Der „beeindruckende“ Datensatz, den Wood und andere erarbeitet hatten, zeige, dass „Verluste der Parasitenvielfalt gemessen werden können und wesentlich sind“, wurde auch der Forscher Armand Kuris (University of California) in der „NYT“ zitiert. Für den Forscher Kevin Lafferty vom US-Institut Geological Survey ist es nur logisch, dass gerade Parasiten mit komplexen Lebenszyklen als Erstes schwinden.

Ruf nach Schutz für Parasiten

Ob die Erkenntnisse aus der Meeresbucht Puget Sound auch auf andere Ökosysteme übertragbar seien, können Fachleute noch nicht sagen. Wood und Co. begannen unterdessen bereits, Fischarten aus dem Golf von Alaska und dem Rio Grande, aus dem Pearl River wie auch dem Alabama River zu analysieren. Die aktuellen Erkenntnisse würden der Forscherin zufolge jedenfalls verdeutlichen, dass Parasiten geschützt werden müssen.