Rettungsfahrzeuge vor zerstörtem Wohnhaus in Dnipro, Ukraine
Reuters/Clodagh Kilcoyne
Raketenangriff auf Hochhaus

Dutzende in Dnipro weiter vermisst

Nach den russischen Raketenangriffen auf die Ukraine am Wochenende steigt die Zahl der Toten in einem zerstörten Wohnhaus in der Stadt Dnipro weiter. 40 Tote gibt es laut offiziellen Angaben mittlerweile – in der Früh hatte der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, noch von 35 gesprochen. Bereits in der Nacht seien weitere Leichen aus den Trümmern gebracht worden. Unter den Toten seien auch zwei Kinder. Noch immer würden 30 Menschen vermisst.

Ein großer Teil des neunstöckigen Hochhauses war am Samstag nach einem Raketentreffer eingestürzt. „Die Suche nach den Menschen unter den Trümmern geht weiter“, sagte Resnitschenko. In Dnipro herrschten Minusgrade, weshalb kaum noch mit Überlebenden gerechnet wurde. Die Zahl der Verletzten wurde Montagmittag gemäß offiziellen Angaben mit 75 angegeben, darunter 14 Kinder. Laut den Angaben überlebten mehr als 100 Menschen den Einsturz des Hauses.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner Videoansprache am Sonntagabend mit Blick auf die Verschütteten, dass weiter um jeden Menschen gekämpft werde. „Und die Rettungsarbeiten werden so lange andauern, wie auch nur die geringste Chance besteht, ein Leben zu retten.“

Nach einem russischen Raketenangriff zerstörtes Hochhaus in Dnipro (Ukraine)
APA/AFP/Vitalii Matokha
Das Gebäude wurde durch den Angriff praktisch völlig zerstört

Kreml weist Verantwortung von sich

Der Kreml stellte den russischen Raketenbeschuss des Wohnhauses am Montag gemäß der eigenen Propaganda anders dar: „Russlands Streitkräfte greifen keine Wohngebäude oder Objekte der sozialen Infrastruktur an“, wurde Kreml-Sprecher Dmitri Peskow von staatlichen Nachrichtenagenturen zitiert. Vertreter der ukrainischen Seite hätten selbst erklärt, dass die „Tragödie“ am Wochenende durch die ukrainische Luftabwehr verursacht worden sei, sagte Peskow.

Peskow spielte dabei offensichtlich auf Aussagen des Beraters im ukrainischen Präsidentenbüro, Olexij Arestowytsch, an. Dieser hatte kurz nach dem Angriff in einer Onlinelivesendung gesagt: „Sie (die Rakete) wurde abgeschossen und fiel auf den Hauseingang.“ Wenig später stellte der 47-Jährige allerdings klar, dass er damit lediglich eine mögliche und noch zu überprüfende Version habe schildern wollen. Die ukrainische Luftstreitkräfte wiederum sagten, dass sie gar nicht in der Lage seien, Raketen dieses Typs abzufangen.

Suche nach Überlebenden

Nach einem russischen Raketenangriff auf ein Hochhaus in der ukrainischen Stadt Dnipro ist die Opferzahl weiter gestiegen. 40 Tote wurden laut Behörden gefunden, darunter auch Kinder.

Die schwedische Ratspräsidentschaft verurteilte den Angriff als Kriegsverbrechen: „Die schwedische Regierung verurteilt auf das Schärfste die anhaltenden, systematischen Angriffe Russlands auf Zivilisten, zivile Objekte und kritische Infrastruktur, einschließlich des Angriffs auf ein Wohnhaus in der Stadt Dnipro am Samstag“, so Ministerpräsident Ulf Kristersson. „Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen werden zur Rechenschaft gezogen werden“, fügte er hinzu.

Vielerorts Stromausfälle

Der Angriff auf das im Gebiet Dnipropetrowsk gelegene Dnipro war der folgenreichste von mehreren Angriffen am Samstag. Die heftigste russische Angriffswelle seit dem Jahreswechsel richtete sich erneut auch gegen die ukrainische Energieinfrastruktur. Neben Dnipropetrowsk waren unter anderem auch die Region um Kiew, das im Westen gelegene Lwiw und Charkiw im Osten schwer betroffen. Es gab vielerorts Stromausfälle.

Die Ukraine stellte die Bevölkerung zudem auf neue Probleme mit der Stromversorgung ein. Landesweit müsse am Sonntag die vielerorts ohnehin schon deutlich reduzierte Strommenge pro Haushalt noch weiter gedrosselt werden, um größere Engpässe zu vermeiden, teilte der staatlichen Stromnetzbetreiber Ukrenerho mit.

Stoltenberg: „In einer entscheidenden Phase des Krieges“

Selenskyj erneuerte zudem seine Forderung nach schweren Waffen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge könnte Kiew diese „schon in naher Zukunft“ erhalten. Am Freitag treffen die Mitglieder der Ukraine-Kontaktgruppe, zu der unter anderem die USA, Großbritannien und Deutschland gehören, auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland zusammen.

„Wir sind in einer entscheidenden Phase des Krieges“, sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg dem deutschen „Handelsblatt“. Militärische Unterstützung sei der schnellste Weg zum Frieden. „Die jüngsten Zusagen für schweres Kriegsgerät sind wichtig – und ich erwarte schon in naher Zukunft mehr“, so der Norweger.

Großbritannien prescht mit Panzerlieferung vor

Großbritannien sprach Selenskyj seinen Dank aus. London hatte der Ukraine zugesichert, insgesamt 14 Kampfpanzer des Typs Challenger 2 zu liefern.

Britischer Challenger-2-Panzer
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London sendet mit der Lieferung des Challenger 2 ein deutliches Signal an andere NATO-Länder

Großbritannien ist das erste Land, das Kiew moderne westliche schwere Kampfpanzer zur Verfügung stellt. Das sei ein Signal an andere Partner seines Landes, das auch zu tun, sagte Selenskyj. Bisher erhielt die Ukraine zwar Schützen-, Flugabwehr- und Radpanzer westlicher Bauart, bei Kampfpanzern aber nur Modelle ex-sowjetischer oder russischer Bauart, zumeist mittels Ringtausches von osteuropäischen NATO-Ländern, die dafür westliche Modelle erhielten.

Streitfrage Leopard 2

Vor allem drängt die Ukraine seit Wochen Deutschland, den modernen Leopard 2, in der Version A4 auch im österreichischen Bundesheer im Einsatz und russischen Panzern technisch überlegen, zu liefern. Polen und Finnland wollen einige Leopard-Modelle aus deutscher Produktion zur Verfügung stellen. Berlin lehnt das bisher ab, innerhalb der „Ampelkoalition“ der Regierung aus SPD, FDP und Grünen ist das Thema umstritten.

Deutscher Panzer Leopard 2A7V
picturedesk.com/dpa/Philipp Schulze
Deutschland winkt beim Leopard 2 bisher ab, Polen und Finnland wollen angeblich liefern

Polen pocht auf mehr deutsche Waffen

Am Montag forderte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Deutschland zu mehr Lieferungen auf. In der Ukraine entscheide sich auch das Schicksal Europas, sagte der Politiker in Berlin bei einem Festakt für den CDU-Politiker Wolfgang Schäuble. „Die Hilfe für die Ukraine ist Teil des europäischen Überlebens.“

Deutschland solle alle „entscheidenden“ Waffen liefern. Panzer sollten „nicht in Depots bleiben“, fügte der Ministerpräsident in Anspielung auf die Debatte über die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern hinzu.

Berlin will sich nicht drängen lassen

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) will sich jedenfalls nicht drängen lassen, wie er erst zuletzt wieder bekräftigte – wohl aufgrund der Befürchtung, deutsche Panzerlieferungen könnten die NATO tiefer in den Konflikt in der Ukraine hineinziehen bzw. diesen weiter eskalieren lassen.

Moskau sprach entsprechende Drohungen gegenüber London wegen der Lieferung des Challenger 2 aus. Die Lieferungen würden nichts an der Lage auf dem Boden ändern, sondern bedeuteten nur weiteren Ärger für die Ukraine, sagte Peskow am Montag. Die neuen Panzer „werden brennen wie der Rest“.