Gesamtbild des Raumes
Werner Kmetitsch
„La Perichole“

Eine Staatsoperette mit Beinschab-Tool

Wie wäre die Welt, wenn Wunschumfragen und Wunschfragestellungen der Politik in einer Gesellschaft Wirklichkeit würden? Es könnte genau so aussehen wie im 19. Jahrhundert – oder im Österreich der späten 2010er Jahre. Regisseur Nikolaus Habjan hat jedenfalls das in Österreich ohnedies nicht mehr zweifelsfrei erkennbare Spiel zwischen Realität und Satire auf die Bühne des Theaters an der Wien gebracht. Jacques Offenbachs Opera buffa „La Perichole“ wird bei ihm zur Staatsoperette mit Beinschab-Tool.

Wo sind die Zeiten hin, da Volkskomödie und Kabarett die vierte Säule für Kritik und Kontrolle im Staate waren? Die Zeiten sind gar nicht so fern, wenn man ein bisschen über-, vielleicht aber auch unterzeichnet oder einfach nur deutlich würde, dachte sich wohl Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan, der den Auftrag hatte, Offenbachs leichte Oper „La Perichole“ mit (ziemlich) adaptierter Karl-Kraus-Übersetzung in die Gegenwart des Theaters an der Wien im Museumsquartier (MQ) zu bringen.

Zwei Notare und der Stadthalter, den man aus der Fleischwerbung kennt
Werner Kmetitsch
Don Pedro und die zwei Advokaten auf der Plaza de la Corrupcion: „Lima darf nicht Wien werden“

Lima darf nicht Wien werden

„Freie Zensur“ heißt das Hauptmedium bei ihm im Staat, der freilich nicht Österreich ist, sondern, wie im Original verlangt: Peru, das aber, so steht schon am Beginn in der Ästhetik bekannter Wahlplakate zu lesen, nicht Österreich werden dürfe. Dafür soll ein Vizekönig (Alexander Strömer) sorgen, der das Land regiert, sich aber eigentlich noch mehr für die schönen Frauen im Staat interessiert. Ein Schelm oder eine Schelmin, wer da an einen Vizepolitiker in Österreich denkt, wobei das mit dem An-Querbezüge-Denken in dieser Inszenierung so eine Sache ist, hat die feine Klinge doch etwas von einem Holzhammer, der jeden Gag durch die Manege treibt.

Warum aber mal nicht teilhaben an einem Operettenabend, bei dem die Ästhetik und Assoziationssprache direkt aus den Franz-Nowotny-Filmen „Exit I“ und „Exit II“ geborgt scheint – und die in jedem Fall überzeugender funktioniert als eine Gesellschaft aus altem Geld. Operette als Ventil und Medium der Selbstsatire, das konnte im 19. Jahrhundert schon niemand besser als der nach Paris gegangene Kölner Offenbach.

„La Perichole“ im Theater an der Wien

Vor rund 150 Jahren war Jaques Offenbach der angesagteste Komponist in Wien – jetzt werden hier an gleich zwei Opernhäusern Werke von ihm einstudiert: in der Volksoper und im Musiktheater an der Wien – in letzterem hatte am Montag „La Perichole“ Premiere.

Wir spielen Staat

Der Vizekönig von Peru regiert sein Land eigentlich so, wie es sich auch auf anderen Terrains Politikerinnen und Politiker vorstellen: Man spielt den funktionierenden Staat und fühlt sich in ihm wohl. Oder hat sich in ihm wohl zu fühlen. So trifft der Vizekönig in Verkleidung auf ein Volk, wie es sich jede Landeshauptfrau oder jeder Landeshauptmann vorstellen würde. Auf die Frage: „Wie finden Sie die Regierung?“ kommt die Antwort: „Hervorragend. Besonders die Minister, einer besser als der andere!“

Alte Damen in der Loge junge Sängerinnen darunter
Werner Kmetitsch
Zuerst das Fressen, dann die Herzensbildung: Anna Lucia Richter als Perichole mit viel Spiel- und Gesangswitz und David Fischer als Piquillo. Er war sängerisch der Beste des Abends.

Für die Message-Control in Peru sorgen zwei Akteure im Hintergrund: Don Pedro, verkörpert von Gerhard Ernst, der nicht von ungefähr Fleischlaberl im Staat zu verteilen hat, soll er doch aussehen wie der beliebte Fleischhauer aus der Fernsehwerbung, den er ja so überzeugend verkörpert hatte. Panatellas (Boris Eder) hat wieder die Funktion, die Narrative im Staat zu steuern – und dem Vizekönig vorzuspielen, alles im Lande funktionierte.

Doch der Vizekönig hat ja ein Leben neben dem Staat – und so verliebt er sich just in der gespielten Szenerie in eine schöne Blondine mit nicht komplett vollendeter Pediküre. Perichole, das hungrige Mädchen aus der Unterschicht (Anna Lucia Richter), die mit ihrem Herzensgeliebten Piquillo (David Fischer) unterwegs ist, kommt in die Versuchung der „Dreigroschenoper“ und zieht dann doch das Fressen der Moral vor, wie sie auch in der Tonlage des 19. Jahrhunderts singt: „Welche Leidenschaft kann man erwarten/Wenn man sich liebt und dabei vor Hunger stirbt?“

Zwei Darsteller in La Perichole
Werner Kmetitsch
Gerhard Ernst und Boris Eder treiben die Pointen teilweise mit großer Vehemenz durch den Raum. Dem Abend tut es gut, für Feingeister ist das freilich nichts.

Offenbach und die neue Herzensbildung

Am Ende setzt sich bei Offenbach ja die Herzensbildung durch. Nicht im Geist Rousseaus, sondern aus der Veränderung der Publikumsschichten des 19. Jahrhunderts: Die von unten sind bei ihm auch mal dran beim Happy End, das bis dahin nur den hohen Ständen vorbehalten war.

Hinweis:

„La Perichole“ ist noch am 18., 22., 25., 29. und 31. Jänner im MusikTheater an der Wien im MQ zu sehen.

Bei Habjan endet alles in einer Form der Staatsoperette und vor den „Seitenblicken“ des Sender PRF, womit wohl das öffentlich-rechtliche peruanische Fernsehen gemeint sein darf. Vor laufender Kamera gibt der Staatschef den Herzensmenschen und wird dabei von einem Häftling in Puppengestalt beobachtet, der sein graues Haar nur ungenügend hinters Ohr kämmen kann. Nur noch zwölf Jahre habe er abzusitzen, sagt eine in der Intonation unverkennbare Stimme.

Niederschwellig, flott, derb

Der Altherrenwitz ist fast beseitigt aus dieser Operette, die über alle Teile hinweg das ist, was sie sein will: eine große Staatsklamotte, die in Teilen eine bekannte Realität überholt, dabei aber immer im Geschwindigkeitswettkampf mit der Realität steht. Offenbach, der Meister des Tempos, ist das ideale Triebmittel für diese Form der Auseinandersetzung, die beste Volksoper und bestes Volkstheater ist: niederschwellig, flott – und eben auch derb. Wenn sich der Bauer als Millionär in anderen Häusern in teuren Sakkos tarnt, so kommen die Akteure der Staatsoperette hier zu sich. Eine „Fledermaus“ mit ganz vielen Fröschen hat die APA zu Recht in dieser Aufführung gesehen. Und wenn man einen Don Pedro als Hofbauer hat, dann setzt man ihn genau so ein, dass er jede Arie nach dem Fleischlaberl ins Couplet überführt – „haaaa-looo!“.

Das ORF Radio-Symphonieorchester unter Jordan De Souza agiert mit großer musikantischer Freude und der Lust am Ausritt, wenn die Abweichungen von der Vorlage bis hin zu „Careless Whispers“ gehen. Manchmal, so weiß auch die Regie, liegen die Pointen auf der Straße – und man darf sie wohl aufheben. Grandios in dieser Anforderung: Der Arnold Schönberg Chor, der sängerisch, tänzerisch und komödiantisch das Tempo dieser Inszenierung prägt. „So sind wir nicht“, singt man am Ende – und weiß in der Stadt an der schönen blauen Donau, dass
wohl eher das Gegenteil stimmt.