Kampfpanzer Leopard 2 A7V der Bundeswehr
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Vor Ukraine-Treffen

Tauziehen um Panzer in heißer Phase

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor dem Treffen von die Ukraine unterstützenden Staaten im deutschen Ramstein den deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) indirekt für dessen Linie bei der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine kritisiert. Deutschland macht die Lieferung von Leopard-Panzern von Panzerlieferungen der USA abhängig. In Ramstein sollen am Freitag Nägel mit Köpfen gemacht werden – so die Hoffnung der Ukraine.

Manchmal dürfe man nicht abwägen und sich nicht vergleichen, sagte Selenskyj am Donnerstag am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos, „wenn du beispielsweise sagst: ‚Ich gebe Panzer, wenn jemand anderes ebenso Panzer gibt. Ich bin mächtig in Europa, ich helfe, wenn jemand außerhalb von Europa auch hilft.‘“

„Mir scheint, dass dies keine sehr richtige Strategie ist“, sagte Selenskyj, der zu einer Debatte zugeschaltet war. Den Namen des deutschen Kanzlers nannte er dabei nicht. Medienberichten zufolge ist Scholz bereit, die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine zu erlauben – allerdings nur, wenn die USA ihre Abrams-Kampfpanzer zur Verfügung stellen. US-Präsident Joe Biden habe sich darauf in einem Telefonat mit Scholz am Dienstag offenbar aber noch nicht festgelegt.

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz
AP/Markus Schreiber
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz

Deutschland mit Schlüsselrolle

Scholz hatte in der Debatte über Waffenlieferungen seit Kriegsbeginn stets betont, Deutschland unternehme keine Alleingänge, sondern stimme sich mit Partnern wie Frankreich und den USA ab. In den vergangenen Tagen hat der Entscheidungsdruck auf Scholz aber deutlich zugenommen.

Deutschland spielt eine Schlüsselrolle in der Debatte, weil die Leopard-Panzer in Deutschland entwickelt wurden. In der Regel muss die Weitergabe von Rüstungsgütern aus deutscher Produktion an Dritte genehmigt werden. Die Ukraine wehrt sich seit knapp elf Monaten gegen russische Angriffe und ist bei militärischer Ausrüstung weitgehend von westlicher Unterstützung abhängig.

Kampfpanzer Leopard 2 der Bundeswehr
AP/CTK/Jaroslav Ozana
Der Leopard-2-Kampfpanzer der deutschen Bundeswehr

Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Donnerstag eine enge Abstimmung mit den USA in der Frage weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine an. Angesichts des russischen Angriffskrieges stünden beide NATO-Länder „wie so oft in der Geschichte (…) Schulter an Schulter im Vorgehen“, sagte Pistorius beim Besuch von US-Außenminister Lloyd Austin in Berlin. Das zeige sich bei den bisher der Ukraine zugesagten Waffensystemen wie Schützenpanzern und Patriot-Luftabwehrsystemen. Pistorius äußerte sich allerdings nicht zur Lieferung der Kampfpanzer.

Pentagon gibt sich optimistisch

Die US-Regierung ist allerdings laut einem CNN-Bericht optimistisch, dass Deutschland der Lieferung von Leopard-Kampfpanzern zustimmen wird. „Wir sind sehr optimistisch, dass wir in dieser Frage bis Ende der Woche Fortschritte machen werden“, zitierte der US-Sender am Mittwoch (Ortszeit) einen hochrangigen Beamten des Pentagon. Austin werde die deutsche Seite drängen, die Lieferung zu erlauben, um die Ukraine zu befähigen, eine potenzielle Frühjahrsoffensive Russlands zu kontern.

Grafik zu Kampfpanzern
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: globalfirepower.com

„Wir öffnen wirklich die Tür, um diese Fähigkeit in einem entscheidenden Moment zu schaffen“, hieß es weiter. Austin traf am Mittwochabend in Berlin ein, um über weitere Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland zu sprechen. Am Freitag kommen am US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz zudem die Verteidigungsminister mehrerer Dutzend Staaten zusammen, um über die weitere militärische Unterstützung der Ukraine zu beraten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet von dem Treffen ein Signal, dass es „mehr schwerere Waffen und mehr moderne Waffen“ für die Ukraine geben wird.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
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NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Treffen auch in Estland

Vor dem Treffen in Ramstein wollten auf Initiative von Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur und dessen britischem Amtskollegen Ben Wallace Vertreter mehrerer Staaten – darunter die Verteidigungsminister Polens, Lettlands und Litauens – am estnischen Militärstützpunkt Tapa zusammenkommen, um dort ihre neuesten Hilfspakete für Kiew vorzustellen.

ORF-Berlin-Korrespondent Jölli zu deutschen Waffenlieferungen

ORF-Korrespondent Andreas Jölli spricht aus Berlin über das Zögern des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz bei der Lieferung schwerer Geschütze an die Ukraine.

Die USA wollen nach Angaben eines US-Regierungsvertreters ein neues Hilfspaket für die Ukraine im Volumen von mehr als zwei Milliarden Dollar auflegen. Die Regierung in Washington habe vor, dieses in Kürze zu genehmigen, die Bekanntgabe könnte am Freitag beim Treffen in Ramstein erfolgen. Das Paket werde voraussichtlich Radschützenpanzer vom Typ Stryker für Kiew umfassen, nicht aber den Kampfpanzer M1 Abrams – eine Bedingung Deutschlands für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine.

Kampfpanzer der US-Armee M1A1 Abrams
Reuters/Ints Kalnin
Zwei Abrams-Kampfpanzer der US-Armee

Kiew: Wir haben keine Zeit

In Kiew drängte unterdessen neben Selenskyj der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, vor dem Treffen in Ramstein noch einmal zur Lieferung von Kampfpanzern. „Die Frage der Panzer für die Ukraine sollte so schnell wie möglich geklärt werden“, schrieb Jermak am Donnerstag auf Telegram. Das gelte ebenso für zusätzliche Flugabwehrsysteme. „Wir haben keine Zeit, die Welt hat diese Zeit auch nicht“, unterstrich Jermak. Zögern koste ukrainische Menschenleben.

Auch Pevkur rief Deutschland und andere Bündnispartner zur Lieferung von modernen Waffensystemen an die Ukraine auf. „Estland unterstützt nachdrücklich, der Ukraine alle notwendige militärische Ausrüstung bereitzustellen, um diesen Krieg zu gewinnen, einschließlich schwerer Ausrüstung wie Leopard-Panzer“, sagte er der dpa vor dem Treffen im Tapa. Das müsse „zeitnah“ erfolgen. „Der Ausgang dieses Krieges wird die Zukunft unserer gemeinsamen Sicherheit bestimmen“, so Pevkur.

Rheinmetall könnte Leopard 1 liefern

Während die politischen Debatten noch laufen, bereitet sich der deutsche Rüstungskonzern und Automobilzulieferer Rheinmetall nach einem Bericht des „Handelsblatts“ bereits auf die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine vor. Vom älteren Modell Leopard 1 könnten in diesem Jahr 20 Kampfpanzer und innerhalb von 20 Monaten weitere 80 neu ausgerüstet werden, berichtete das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Branchenkreise. Neben dem Leopard 2 und dem Leopard 1 könnte danach auch der britische Kampfpanzer Challenger 1 aufgearbeitet und an Kiew übergeben werden.

14 Kampfpanzer aus Großbritannien

Großbritannien hatte am Wochenende angekündigt, der Ukraine 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 zur Verfügung zu stellen. Polen und Finnland erklärten sich bereit, im europäischen Verbund Leopard-Panzer zu liefern.

Das schwedische Artilleriesystem Archer
Das Artilleriesystem Archer

Schweden kündigte derweil weitere Militärhilfe für die Ukraine an. Die Regierung will 50 Schützenpanzer an das Land liefern. Außerdem seien die schwedischen Truppen angewiesen worden, die Lieferung des Artilleriesystems Archer vorzubereiten. Eine konkrete Zahl dazu wurde nicht genannt. Schweden verfügt über 48 Archer-Systeme.

Insgesamt hat das neue schwedische Unterstützungspaket den Angaben zufolge ein Volumen von umgerechnet knapp 390 Millionen Euro. Schweden führt gegenwärtig den rotierenden Vorsitz im Rat der EU. Das Land hat sich zudem um eine Mitgliedschaft in der NATO beworben.

Medwedew stellt Atomkrieg in den Raum

Vor dem Treffen in Ramstein erneuerte der ehemalige russische Präsident und Stellvertreter von Kreml-Chef Wladimir Putin im russischen Nationalen Sicherheitsrat, Dmitri Medwedew, noch einmal Atomdrohungen. Die NATO-Länder planten in Ramstein, der Ukraine neue schwere Waffen zu liefern. „Keinem dieser Elenden kommt in den Kopf, die nächste elementare Schlussfolgerung zu ziehen: Die Niederlage einer Atommacht in einem konventionellen Krieg kann den Beginn eines Atomkrieges nach sich ziehen“, drohte Medwedew am Donnerstag in seinem Telegram-Kanal. Atommächte verlören keine großen Konflikte, sagte Medwedew.

Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, äußerte sich ähnlich. „Wir beten zum Herrn, dass er die Verrückten zur Vernunft bringt und ihnen hilft zu verstehen, dass jeder Wunsch, Russland zu zerstören, das Ende der Welt bedeuten wird“, sagte er in einer Predigt. Die Führung in Moskau betont immer wieder, dass der Westen und vor allem die USA Russland zerstören wollten. Die westlichen Regierungen widersprechen dem energisch. Man helfe nur der Ukraine, sich gegen einen von Moskau am 24. Februar 2022 begonnenen Krieg zu verteidigen.

Auf die Frage, ob die Äußerungen Medwedews bedeuten, dass Russland die Krise auf eine neue Stufe hebe, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: „Nein, das bedeutet es absolut nicht.“ Medwedews Äußerungen stünden in vollem Einklang mit der russischen Nukleardoktrin, die einen Nuklearschlag nach einer „Aggression gegen die Russische Föderation mit konventionellen Waffen (erlaubt), wenn die Existenz des Staates selbst bedroht ist“.