Wolodymyr Selenskyj in Jacke
IMAGO/APAimages/President Of Ukraine
Korruptionsproblem

Selenskyj versucht Befreiungsschlag

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versucht offenbar mit einem Rundumschlag den Imageschaden zu minimieren: Vor dem Hintergrund eines mutmaßlichen Korruptionsskandals sind am Dienstag fünf Gouverneure und vier Vizeminister ihrer Ämter enthoben worden.

Nach Angaben der Regierung werden die Gouverneure der Regionen Dnipropetrowsk, Saporischschja, Cherson, Sumy und der Hauptstadt Kiew abgesetzt. Zudem seien die Vizeminister für Verteidigung, Sozialpolitik sowie zwei stellvertretende Minister für regionale Entwicklung entlassen worden.

Nach dem russischen Einmarsch vor elf Monaten wird der ukrainische Staatshaushalt gut zur Hälfte aus dem Ausland finanziert. Im Juni erhielt die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Verbunden sind damit auch Auflagen bei der Korruptionsbekämpfung. Bereits vor dem Krieg galt die Ukraine als eines der korruptesten Länder Europas.

Vizeverteidigungsminister Wjatscheslaw Schapowalow räumte im Zusammenhang mit dem Skandal um den Einkauf überteuerter Lebensmittel für Soldaten seinen Platz. „Wjatscheslaw Schapowalow, der für die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte im Hinterland verantwortlich war, hat darum gebeten, ihn zu entlassen“, teilte das Verteidigungsministerium mit. Die gegen ihn laufende Kampagne würde ansonsten die Versorgung der Streitkräfte gefährden.

Berichte über überteuerte Militärverpflegung

Am Wochenende hatten Medienberichte in der Ukraine für Wirbel gesorgt, wonach das Verteidigungsministerium Lebensmittel für die Verpflegung seiner Soldaten zu Preisen ankaufe, die bis zu dreimal höher seien als die Einzelhandelspreise im Geschäft. Bei dem Vertrag über 13 Milliarden Hrywnja (gut 300 Mio. Euro) soll es sich nicht um die Verpflegung der Soldaten an der Front, sondern im Hinterland handeln.

Am Montag hatte Verteidigungsminister Olexij Resnikow die Vorwürfe zurückgewiesen. Ziel sei es offenbar, das „Vertrauen in das Verteidigungsministerium zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt zu untergraben“, sagte er. Zugleich sicherte der 56-Jährige aber eine transparente Untersuchung der Vorfälle zu.

Bereicherung an Finanzhilfen

Selenskyj hatte in den vergangenen Tagen nach Skandalen um Korruption und Bereicherung im Staatsapparat ein entschlosseneres Vorgehen gegen Fehlverhalten angekündigt. Ein Vizeminister wurde entlassen, weil er Schmiergelder für den Ankauf von Stromgeneratoren kassiert haben soll. Viele Bürger in der Ukraine verdächtigen Teile der Führung, sich im Zuge der hohen Finanzhilfen des Westens zu bereichern.

Zudem gab die ukrainische Staatsanwaltschaft den Rücktritt des stellvertretenden Generalstaatsanwalts bekannt, ohne dabei weitere Einzelheiten zu nennen. Ihm wurde kürzlich unter anderem vorgeworfen, Urlaub in Spanien gemacht zu haben.

Stellvertretende Leiter des Präsidialamts geht

Auch der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, beantragte bei Selenskyj nach Kritik an seiner Arbeit die Entlassung. Selenskyj entsprach dem Gesuch und entließ den Spitzenbeamten von seinem Posten, wie aus einem auf der Website des Präsidenten veröffentlichten Dekret hervorgeht.

Tymoschenko teilte in Onlinenetzwerken ein Bild, das ihn mit einem handgeschriebenen Rücktrittsersuchen zeigt. Tymoschenko dankte Selenskyj für das „Vertrauen und die Möglichkeit, jeden Tag und jede Minute etwas Gutes zu tun“. Er nannte keinen Grund für seinen Rücktritt, der durch ein Dekret des Präsidenten bestätigt wurde. Tymoschenko war in mehrere Skandale verwickelt. Unter anderem wurde er beschuldigt, ein der Ukraine für humanitäre Zwecke gespendetes Auto benutzt zu haben.

Machtkampf vor Neuwahl 2024

In der Kritik stand Tymoschenko ukrainischen Medien zufolge auch, weil er in den Regionen seine Aufgaben als Beamter der Präsidialverwaltung überschritten und sich auch politisch betätigt haben soll. In der Ukraine ist im nächsten Jahr die Präsidentenwahl. Selenskyj muss dabei Konkurrenz aus den eigenen Reihen befürchten. Als Nachfolger Tymoschenkos ist der bisherige Gouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, im Gespräch.

Zuvor hatte bereits der externe Berater im Präsidentenbüro, Olexij Arestowytsch, gekündigt, dem immer wieder Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt werden. Arestowytsch zog damit offiziell die Konsequenzen aus einem „Fehltritt“. Er hatte es für möglich gehalten, dass eine russische Rakete in der südostukrainischen Großstadt Dnipro aufgrund der ukrainischen Flugabwehr in einem Wohnhaus eingeschlagen sei. Dabei starben mehr als 40 Menschen.

Selenskyj und die Oligarchen

Laut Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft trieb die Regierung auch während des Krieges gegen Russland ihre Antikorruptionsbemühungen voran. Die zuständige Staatsanwaltschaft berichtete der Nachrichtenagentur Reuters im Dezember von mindestens 109 Anklagen in 42 Fällen und 25 Verurteilungen.

Ein hochrangiges Mitglied des zuständigen Ausschusses im Parlament, Jaroslaw Jurtschyschyn, sprach von zwei Kriegen, die sein Land gleichzeitig führe: der eine gegen Russland, der andere gegen die Korruption, die – seiner Ansicht nach – ihre Wurzeln in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe.

Politische Beobachter sehen Korruption nicht nur als Sowjeterbe: So wurde vor dem Krieg auch Präsident Selenskyj selbst ein Naheverhältnis zu dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj nachgesagt. Von Offshore-Firmen Selenskyjs war auch in den „Pandora-Papers“ die Rede. Beweise für illegale Handlungen gibt es zwar nicht, die Enthüllungen beschädigten allerdings das Image Selenskyjs, der dann als Präsident im Eiltempo ein Anti-Oligarchen-Gesetz auf den Weg brachte.

EU appelliert an Kiew

Selenskyj hatte nun angekündigt, dass die Entlassungen „Führungskräfte in verschiedenen Ebenen in den Ministerien und anderen Strukturen der Zentralregierung, in den Regionen und im Strafverfolgungssystem“ betreffen werden. Zudem will er Auslandsreisen außer im beruflichen Zusammenhang für Regierungsbeamte verbieten. „Wenn sie sich jetzt erholen wollen, werden sie das außerhalb des öffentlichen Dienstes tun“, sagte der ukrainische Präsident.

Die EU-Kommission forderte die Ukraine nach der Aufdeckung neuer Korruptionsskandale zu weiteren Anstrengungen im Kampf gegen kriminellen Machtmissbrauch auf. Man begrüße die bereits getroffenen Maßnahmen, sagte eine Sprecherin am Dienstag in Brüssel. Es müssten aber weitere Fortschritte erzielt werden, und es müsse Garantien für Geldgeber geben, dass Mittel sinnvoll eingesetzt würden.