Polizeiermittlungen nach einem weiteren Schussattentat nahe der Jerusalemer Altstadt mit zwei Verletzten
AP/Mahmoud Illean
Gewalt in Nahost

Zweiter Angriff in Jerusalem

Die Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten verschärft sich weiter. Nach einem Anschlag vor einer Synagoge in Ostjerusalem Freitagabend mit mindestens sieben Toten gab es am Samstag einen weiteren Schusswaffenangriff mit zwei Verletzten nahe der Jerusalemer Altstadt. Nahe Jericho im Westjordanland kam es Samstagabend laut der israelischen Armee ebenfalls zu einem Angriffsversuch.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte Samstagabend eine „starke“ Antwort an. „Unsere Antwort wird stark, schnell und präzise sein“, so Netanjahu vor einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitskabinetts. „Wir suchen keine Eskalation, aber wir sind auf jedes Szenario vorbereitet“, sagte Netanjahu in von seinem Büro veröffentlichten Fernsehaufnahmen.

Die Polizei sprach bei dem Angriff in Jerusalem von einem Terroranschlag. Zwei Männer hätten Schusswunden am Oberkörper erlitten, ihr Zustand sei „mittelschwer bis ernst“, hieß es von einem Sprecher des Rettungsdienstes. Der mutmaßliche Attentäter wurde laut Polizei „neutralisiert“. Offen blieb, ob er verletzt oder tot war. Der öffentlich-rechtliche Sender Kan berichtete, dass der Angreifer erst 13 Jahre alt gewesen sei. Der Angriff ereignete sich im Stadtteil Silwan in Ostjerusalem. Hier wohnen überwiegend Palästinenser.

Weiterer Angriffsversuch nahe Jericho

Am Abend habe ein weiterer palästinensischer Schütze in der Nähe der Stadt Jericho im Westjordanland einen Schuss abgegeben, wie Israels Armee mitteilte. Anschließend sei er davongerannt. Verletzt worden sei niemand. Streitkräfte fahnden derzeit nach dem Mann. Aufnahmen einer Überwachungskamera sollen zeigen, dass der Angreifer mit einem Sturmgewehr bewaffnet gewesen sei, berichteten israelische Medien. Es habe aber Probleme mit seiner Waffe gegeben, was wohl weitere Schüsse und Opfer verhindert hat.

Erneuter Angriff in Israel

Am Samstag kam es zu einem weiteren Angriff in Israel, bei dem der Attentäter erst 13 Jahre alt gewesen sein soll. Bei dem Schusswaffenangriff gab es zwei Verletzte. Die Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten verschärft sich weiter.

Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ostjerusalem erobert. Insgesamt leben in diesen Gebieten heute auch mehr als 600.000 israelische Siedler. Die Palästinensische Autonomiebehörde machte Israel für die neu aufgeflammte Gewalt verantwortlich. Israel trage die „volle Verantwortung für die gefährliche Eskalation“, erklärte die Behörde am Samstag. Zu den aktuellen Anschlägen äußerte sie sich nicht konkret.

Schussattentat in der jerusalemer Altstadt
Reuters/Ammar Awad
Der Schusswaffenangriff am Sonntag soll von einem 13-Jährigen ausgegangen sein

Dutzende Festnahmen nach Anschlag von Freitag

Der Angreifer vom Freitag wurde nach Angaben der Polizei erschossen, als er fliehen wollte. Nach ersten Erkenntnissen handelte es sich um einen 21-Jährigen aus Ostjerusalem. Er soll vor der Synagoge in Newe Jaakow, einer israelischen Siedlung im besetzten Ostjerusalem, gewartet haben, bis die Gläubigen die Synagoge verließen. Dann eröffnete er das Feuer.

Nach dem Anschlag vom Freitag nahm die Polizei Dutzende Menschen fest. Unter den insgesamt 42 zur Befragung Festgenommenen seien Familienangehörige des Attentäters und andere Bewohner seines Stadtteils, teilte die Polizei am Samstag mit. Nach ersten Erkenntnissen gehörte der Attentäter weder einer bewaffneten Palästinensergruppe an noch war er in militante Aktivitäten verwickelt.

Israel verstärkt Streitkräfte im Westjordanland

Die Polizei wurde nach dem Angriff in Höchstalarm versetzt. Israels Polizeichef Kobi Schabtai sprach von „einem der schlimmsten Anschläge der vergangenen Jahre“. Netanjahu wie auch der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir besuchten den Tatort am Abend. Netanjahu rief die Bevölkerung dazu auf, das Gesetz nicht in die eigenen Hände zu nehmen. „Dafür haben wir eine Armee und eine Polizei, die vom Kabinett Anweisungen erhalten.“ Das israelische Militär teilte am Samstag mit, die Streitkräfte im Westjordanland mit einem zusätzlichen Bataillon zu verstärken.

Israelische Polizisten und Polizistinnen nach dem Anschlag auf einer Synagoge in Jerusalem
AP/Mahmoud Illean
Polizisten sicherten den Ort des Angriffs bei einer Synagoge am Freitagabend

Internationale Bestürzung

Der Angriff am Holocaust-Gedenktag löste international Bestürzung aus. Zahlreiche Staaten verurteilten den Angriff, darunter die EU, USA, Frankreich, Großbritannien, Jordanien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ukraine und Russland.

Die Europäische Union appellierte an Israel, tödliche Gewalt nur als „letztes Mittel“ einzusetzen, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Samstag. Die EU verurteile die Attentate in Jerusalem als „Akte wahnsinniger Gewalt und Hass“, erklärte Borrell. Er wies in seiner Erklärung auch darauf hin, dass israelische Sicherheitskräfte seit Beginn des Jahres 30 Palästinenser im Westjordanland getötet hätten. Es sei dringend erforderlich, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen, erklärte Borrell weiter. „Wir appellieren an alle Parteien, nicht auf Provokationen zu reagieren.“

„Spirale der Gewalt“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ermahnte die Konfliktparteien, „eine Spirale der Gewalt um jeden Preis zu vermeiden“. Auch das österreichische Außenministerium verurteilte den Anschlag „aufs Schärfste“. „Es gibt keine Entschuldigung dafür, Gotteshäuser anzugreifen“, schrieb das Außenamt auf Twitter. Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief zu Deeskalation auf.

Die USA bezeichneten den Angriff vom Freitag als „absolut entsetzlich“. Washington verurteile diesen „mutmaßlichen Terroranschlag auf das Schärfste“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Washington.

US-Außenminister Anthony Blinken will sich bei einem bevorstehenden Nahost-Besuch am Montag und Dienstag um Deeskalation bemühen. Er will nach Israel, ins besetzte Westjordanland und nach Ägypten reisen. Dabei werde er erstmals mit Netanjahu seit dessen Amtsantritt als Chef der bisher am weitesten rechts stehenden israelischen Regierung zusammentreffen. Auch eine Begegnung mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sei geplant.

Auch Russland rief die Konfliktparteien zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ auf. „Wir sind angesichts der Entwicklung der Ereignisse zutiefst besorgt“, erklärte das russische Außenministerium am Samstag. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteile die Angriffe als zynische Terroranschläge.

Lob von Hisbollah

Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland reagierten mit Freudenfeiern. Augenzeugen berichteten, wie Militante am Freitagabend in die Luft schossen und auf die Straßen strömten. Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden Hamas teilte mit, bei dem Anschlag handle es sich um „eine Vergeltung für den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Dschenin am Donnerstag“. Die vom Iran unterstützte Hisbollah lobte den Anschlag.

„Anti-Terror-Operation“ in Flüchtlingslager

Die Anschläge in Jerusalem ereigneten sich kurz nach einer israelischen Razzia im Flüchtlingslager Dschenin im besetzten Westjordanland vergangenen Donnerstag. Die israelische Armee sprach von einer „Anti-Terror-Operation“. Zudem wurde am Donnerstag ein Mann dem palästinensischen Gesundheitsministerium zufolge von israelischen Soldaten in al-Ram nahe Jerusalem getötet. Als Reaktion hatten militante Palästinenser Raketen abgefeuert, die jedoch abgefangen wurden.

Die Kooperation mit Israel in Sicherheitsfragen kündigte die Palästinensische Autonomiebehörde am Donnerstagabend bereits auf. Als Grund nannte die Behörde einseitige Schritte und Maßnahmen Israels im Westjordanland sowie die Vorfälle in Dschenin. Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde schon bei früheren Gelegenheiten gemacht – sie wurden allerdings de facto nicht umgesetzt.