Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei seinem Besuch in der Ukraine
APA/Roland Schlager
Vor Gipfel in Kiew

Van der Bellen besucht Ukraine

Zwei Tage vor dem inzwischen bestätigten EU-Ukraine-Gipfel in Kiew ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen Mittwochfrüh zu einem Solidaritätsbesuch in der ukrainischen Hauptstadt eingetroffen. Er reiste gemeinsam mit Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher. Am Nachmittag ist ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geplant.

Mit seiner Reise in die von Russland angegriffene Ukraine will Van der Bellen vor allem Unterstützung signalisieren: „Wir stehen an der Seite der Ukraine, wir lassen sie nicht im Stich.“ Die gemeinsame Reise mit dem Minister und der Ministerin kurz nach Van der Bellens zweiter Angelobung begründete der Bundespräsident damit, dass Österreich „militärisch neutral“ sei, „aber nicht politisch“. „Einer langen humanitären Tradition folgend unterstützt Österreich das angegriffene Land auf mehreren Ebenen.“

Neben dem Treffen mit Selenskyj wird Van der Bellen Hilfsprojekte mit österreichischer Beteiligung besuchen. Van der Bellen besuchte etwa den Kiewer Vorort Butscha und eine Schule in dem Ort. Die Delegation mit Van der Bellen war von Wien ins polnische Rzeszow geflogen und von dort mit dem Nachtzug nach Kiew gereist. Aus Sicherheitsgründen war die Reise nicht im Vorfeld bekanntgegeben worden.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen besucht eine Schule in Butscha
APA/Roland Schlager
Van der Bellen besuchte am Mittwoch eine Schule in Butscha. Das Dach wurde mit österreichischer Hilfe erneuert

Van der Bellen: Vergleichbar mit Kolonialkriegen

Die Ukraine sehe sich einem Angriffskrieg ausgesetzt, der seinesgleichen suche, meinte der Bundespräsident bei der Anreise. Dieser sei vergleichbar mit Kolonialkriegen aus dem 19. Jahrhundert. Die Bevölkerung sei vor die Wahl gestellt worden: „Entweder akzeptiert ihr, eine Provinz Russlands zu sein, die von Moskau aus regiert wird, oder es ist alles kaputt.“

Da es Widerstand gebe, sehe etwa die Hafenstadt Odessa mittlerweile aus wie eine deutsche Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Widerstand gehe aber nur so lange, wie der Westen Hilfe leiste, so der Bundespräsident. Da Österreich aufgrund seiner militärischen Neutralität kein Kriegsgerät liefern könne, leiste es Hilfe auf humanitärem und medizinischem Gebiet.

Van der Bellen besucht Kiew

Zwei Tage vor dem inzwischen bestätigten EU-Ukraine-Gipfel in Kiew ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem überraschenden Solidaritätsbesuch in der ukrainischen Hauptstadt eingetroffen. Er reiste gemeinsam mit Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher.

Wiederaufbau in Butscha mit österreichischer Hilfe

So wurde etwa auch mit Hilfe österreichischer Hilfsgelder der Wiederaufbau in Butscha unterstützt. Butscha ist ein Symbol der Gräuel geworden. Bei einem Massaker, mutmaßlich von russischen Soldaten verübt, starben über 450 Menschen. Der größte Teil der Leichen wies Anzeichen auf, dass sie erschossen, gefoltert oder erschlagen worden waren. Der Wiederaufbau hat schon vor einiger Zeit begonnen.

Die Volkshilfe unterstützte gemeinsam mit einem lokalen Partner die Reparaturen an Wohnungen und Häusern. Der Gemeindebund will die Ukraine mit Wissen beim Aufbau von gemeinnützigen Organisationen wie einer Freiwilligen Feuerwehr unterstützen. Auch das Rote Kreuz unterstützte mit Rettungsfahrzeugen und bei der allgemeinmedizinischen Betreuung.

Kritik von FPÖ und russischem Botschafter

FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte den „Solidaritätsbesuch“ des Bundespräsidenten und einiger Regierungsmitglieder und das „Ignorieren“ der Neutralität. Das Staatsoberhaupt entwickle sich immer mehr in Richtung eines „Staatsgefährders an der Spitze unserer Republik“.

Kritik kam auch vom russische Botschafter in Österreich, Dmitri Ljubinski, nach Van der Bellens Aussage, Wladimir Putin führe einen „Kolonialkrieg gegen die Ukraine“. Ljubinski: „Die heroische Mission der russischen Streitkräfte trägt im Gegenteil einen befreienden und – wenn man schon analoge Begriffe verwenden will – dekolonisatorischen Charakter.“

„Europäische Werte unter Attacke“

Er habe bereits bei seiner Angelobung gesagt, dass er auch in seiner zweiten Amtszeit genau auf den Schutz der Demokratie und den Erhalt der europäischen Werte achten werde, betonte hingegen Van der Bellen: „In der Ukraine sind diese europäischen Werte und die Demokratie gerade buchstäblich unter Attacke.“

Erst am Dienstag war der Bundespräsident bei seiner slowakischen Amtskollegin Zuzana Caputova in Bratislava und sprach mit ihr über weitere Hilfen für die Ukraine. „Wir sind verpflichtet zu helfen“, so Van der Bellen. Seit Kriegsbeginn seien aus Österreich 118 Millionen Euro staatliche Hilfe zur Verfügung gestellt worden. Er lobte auch das Engagement der Zivilgesellschaft. Durch die Aktion „Nachbar in Not“ seien 56 Millionen Euro für die Ukraine gespendet worden.

Unterstützung aus Österreich

Gewessler stellt nun weitere fünf Millionen Euro zum Wiederaufbau beschädigter Energieinfrastruktur bereit. Zudem müsse bereits jetzt am Wiederaufbau sensibler Ökosysteme gearbeitet werden, die durch den Krieg zerstört worden seien. Sie wird in Kiew mit ihren ukrainischen Amtskollegen Ruslan Strilez (Umwelt) und Herman Haluschtschenko (Energie) auch jeweils ein „Memorandum of Understanding“ unterschreiben, um so die Zusammenarbeit im Bereich Umwelt und Energie zu intensivieren.

Kocher unterzeichnete bereits im September 2022 gemeinsam mit der ukrainischen Wirtschaftsministerin und Vizeministerpräsidentin Julia Swyrydenko eine Rahmenvereinbarung, die die Basis für die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine und speziell für die Beteiligung am Wiederaufbau bilde. Diese solle folglich auch dazu genutzt werden, über weitere Möglichkeiten der Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft zu sprechen, betonte Kocher.

EU-Ukraine-Gipfel am Freitag in Kiew

Am Freitag wird ein EU-Ukraine-Gipfel in Kiew stattfinden, bestätigte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel werden mit Selenskyj zusammentreffen. „Die Tatsache, dass dieses Gipfeltreffen in Kiew stattfinden wird, ist ein starkes Signal sowohl an die Partner als auch an die Feinde“, sagte Schmyhal.

Es zeige Russland, dass dessen Bemühungen, Zwietracht unter Kiews westlichen Verbündeten zu säen und die Ukraine am EU-Beitritt zu hindern, vergeblich gewesen seien. Und es beweise das „hohe Niveau der Kooperation und Fortschritte“ bei der Zusammenarbeit beider Seiten. Bereits am Donnerstag sollen erstmals Beratungen zwischen der EU-Kommission und der ukrainischen Regierung stattfinden.

Ukraine will EU-Beitritt vorantreiben

Der EU-Ukraine-Gipfel sei „extrem wichtig“ für Kiews Bewerbung um den EU-Beitritt der Ukraine, die seit 2022 offiziell Beitrittskandidat ist, so Schmyhal. Selenskyj wurde noch deutlicher: „Wir erwarten Entscheidungen unserer Partner in der Europäischen Union, die (…) unserem Fortschritt entsprechen. Fortschritt, der offensichtlich da ist – und das sogar trotz des großflächigen Krieges.“ In Kiew werde an Reformen gearbeitet.

Im Zuge der Verhandlungen über einen EU-Beitritt geht Selenskyj seit einiger Zeit verstärkt gegen Korruption in Regierungskreisen vor. Er sei noch nicht fertig mit der Umbesetzung von Führungspositionen, und jeder, der die strengen Standards nicht einhalte, müsse mit seiner Entlassung rechnen, so Selenskyj.