Frau mit ihrem Neugeborenen in Bangui, Zentralafrika
MSF/Barbara Debout
Zentralafrikanische Republik

Schwangerschaft oft ein Todesurteil

2,8 Millionen Mütter und Babys sterben laut UNICEF-Schätzungen vor oder nach der Geburt jedes Jahr. Die Zahl ist rückläufig – die Chancen für Frauen und ihre Kinder sind aber weltweit höchst ungleich verteilt, da Überleben und Sicherheit von Qualität und Verfügbarkeit der Gesundheitsversorgung abhängen. Dramatisch ist die Situation in der Zentralafrikanischen Republik, beschreibt Parnian Parvanta, die für Ärzte ohne Grenzen in Spitälern des Landes gearbeitet hat, im Gespräch mit ORF.at.

Armut, große Entfernungen zu Gesundheitseinrichtungen, der Mangel an Informationen und ungenügende Qualität der medizinischen Versorgung sowie kulturell bedingte Gründe sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Faktoren, die das Risiko für Frauen und Kinder enorm steigen lassen. Jeder einzelne dieser Punkte spielt in der Zentralafrikanischen Republik eine Rolle, wo die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate zu den höchsten der Welt gehört.

Viele Menschen sind dort auf die medizinische Versorgung in Gesundheitszentren angewiesen, die nicht ärztlich besetzt sind, beschreibt Ärztin Parvanta. Das Personal dort ist zwar ausgebildet, Krankheiten wie Malaria zu erkennen und Wunden zu versorgen. Für eine darüber hinausgehende Betreuung müssen Menschen weite Wege auf sich nehmen. Und selbst dort, wo es Kliniken gibt, sind die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Frau mit ihrem Neugeborenen in Bangui, Zentralafrika
MSF/Barbara Debout
Frauen, die eine Geburt medizinisch versorgt erleben können, sind in der Zentralafrikanischen Republik die Minderheit

Große Entfernungen, fehlende Infrastruktur

Jene Klinik im Norden des Landes, an der Grenze zum Tschad, in der die Ärztin tätig war, hatte etwa keine Kaiserschnittmöglichkeit. „Es war eine relativ kleine Klinik, wir haben sehr viele Menschen behandelt. Aber wenn Frauen einen Kaiserschnitt gebraucht haben, musste sie auf einem Motorrad über den Fluss in den Tschad“, beschreibt Parvanta. „Alleine diese Fahrt über den Fluss dauert zwei Stunden. Und in der Regenzeit waren die Flüsse nicht zu überqueren.“ Dazu kommt die Sicherheitslage, die schon seit Jahren auch den Weg zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich erschwert.

Parnian Parvanta
Maro Verli
Parnian Parvanta war für Ärzte ohne Grenzen in der Zentralafrikanischen Republik

Seit einem Putsch 2013 herrscht in der Zentralafrikanischen Republik Bürgerkrieg. Der Großteil des Landes befindet sich in der Hand bewaffneter Gruppierungen – ohne realistische Aussicht auf politische Stabilität in naher Zukunft. Das Land ist bitterarm, liegt dauerhaft auf den hintersten Plätzen des Welthungerindex. 70 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Dollar (1,83 Euro) pro Tag auskommen, 60 Prozent sind unterernährt.

„Schon der Weg in die Klinik kostet Geld, die meisten können nicht alleine reisen, das heißt zwei Personen, die für die Arbeit ausfallen, den Weg zurücklegen müssen, um in eine Klinik zu gehen – das macht man erst, wenn es nicht mehr zu Hause geht. Und da ist es meistens schon zu spät. Viele, viele Frauen sind gekommen, da war es einfach schon sehr spät, und wir konnten nichts mehr machen“, erinnert sich Parvanta. „Wenn ich aber jeden Cent fünfmal umdrehen muss und die Nachbarinnen die Kinder zu Hause bekommen haben, überlege ich fünfmal, ob ich deswegen in die Klinik gehe.“

Gynäkologische Versorgung völlig unzureichend

Eine Zahl, die den Zustand deutlich macht, ist jene der Gynäkologinnen und Gynäkologen: Es gibt nur 15 Ärztinnen und Ärzte für Frauenheilkunde im ganzen Land, zuständig für eine Bevölkerung von sechs Millionen Menschen. „In der Zentralafrikanischen Republik bedeutet geboren zu werden oder zu gebären ein Risiko einzugehen“, so Professor Norbert Richard Ngbale, Gynäkologe in der Abteilung für Geburtshilfe und Neonatologie des Gemeindekrankenhauses in der Hauptstadt Bangui.

„Wir konnten nichts mehr machen“

Nur wenige Krankenhäuser verfügen über Intensivstationen für Babys und sind in der Lage, Neugeborene mit Atemproblemen oder anderen Komplikationen zu versorgen. Frühgeborene haben selten echte Chancen. Ein Bericht von einem Kind, das mit nur 28 Wochen und 800 Gramm in einer Ärzte-ohne-Grenzen-Klinik geboren wurde und überlebt hat, ist für Parvanta „ein kleines Wunder“. Denn: „In den meisten Fällen ist es einfach so: Sie kämpfen, aber nach ein paar Tagen haben die Mütter ein totes Kind im Arm.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby vor seinem ersten Geburtstag stirbt, ist 25-mal höher als jene für Babys in Europa. UNO-Schätzungen für das Jahr 2021 zufolge lag die Säuglingssterblichkeit bei 71 pro 1.000 Geburten, die Sterblichkeit der Kinder unter fünf Jahren bei 102 je 1.000 Geburten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in der Zentralafrikanischen Republik an Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sterben, ist 138-mal höher als in der EU.

Frau mit ihrem Neugeborenen in Bangui, Zentralafrika
MSF/Barbara Debout
Die Säuglingssterblichkeit in der Region ist erschütternd hoch

Hohes Risiko für sehr junge Schwangere

Ein Großteil der Todesfälle von Schwangeren geht auf Schwangerschaftsabbrüche zurück, die unter hygienisch ungenügenden Bedingungen und unprofessionell durchgeführt werden. 61 Prozent der Mädchen sind in der Zentralafrikanischen Republik vor dem Erreichen des 18. Lebensjahres verheiratet – demenstprechend hoch ist auch die Zahl jener, die sehr früh schwanger werden und alleine dadurch deutlich riskantere Geburten vor sich haben.

Nur wenige Krankenhäuser im Land bieten Gesundheitsleistungen, die auch eine Intensivstation für Babys umfassen. Offiziell ist die Versorgung kostenlos – aufgrund der begrenzten Kapazitäten ist der Zugang aber oft nur denen möglich, die dafür bezahlen können, berichtet Ärzte ohne Grenzen. „Viele Frauen denken, dass es – wenn überhaupt – besser ist, erst in letzter Minute ins Krankenhaus zu gehen. Deshalb ist es so wichtig, sie kostenlos medizinisch zu unterstützen“, beschreibt Landeskoordinator Rene Colgo.

Hilfe an Ort und Stelle

Ärzte ohne Grenzen hilft in der Zentralafrikanischen Republik einerseits durch landesweite kostenlose geburtshilfliche Notversorgung, andererseits durch den Aufbau von Infrastruktur und Schulungen für das Personal des Gesundheitsministeriums. „Im Jahr 2021 halfen unsere Teams fast 19.600 Frauen bei der Geburt, davon waren 1.020 Kaiserschnitte. Im ganzen Land wurden 1.900 Neugeborene in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Neugeborenenstationen behandelt“, beschreibt Colgo.

Um diese grundlegenden Gesundheitsdienste ausbauen und im ganzen Land anbieten zu können, wird große finanzielle Unterstützung benötigt. „Die Situation erfordert ambitionierte Investitionen aller internationalen Partner und Partnerinnen“, so der Landeskoordinator. „Es ist inakzeptabel, dass jeden Tag so viele Frauen und Babys aus Gründen sterben, die so leicht zu vermeiden sind.“