EU-Ratspräsident Charles Michel, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
APA/AFP/Sergei Supinsky
EU-Ukraine-Gipfel

Hilfe „auf jede erdenkliche Weise“

Mit Geld und Gütern im Gepäck hat die EU-Spitze am Freitag den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besucht und weiterhin Solidarität zugesichert. Zusagen zu einem Beginn der erhofften Beitrittsverhandlungen gab es aber nicht. Der Gipfel mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel in Kiew war von Luftalarmen überschattet.

Bereits in der Früh ertönten die Sirenen im ganzen Land, am Nachmittag gab es wieder Luftalarm. Die Sicherheitsvorkehrungen für den Gipfel mitten im Krieg waren entsprechend groß, es blieb unbekannt, wo und wann sich Selenskyj, von der Leyen und Michel äußern würden. Am Nachmittag traten sie schließlich gemeinsam vor die Kameras.

„Die EU wird Sie, so lange wie nötig, auf jede erdenkliche Weise unterstützen“, sagte Michel. Die Zukunft der Ukraine liege in der Europäischen Union, betonte der Belgier. Die EU und die Ukraine seien eine Familie. „Ihr Schicksal ist unser Schicksal.“

Selenskyj will „nicht einen einzigen Tag verlieren“

Die EU-Seite sicherte der Ukraine auch Unterstützung beim Wunsch nach baldiger Mitgliedschaft zu, es gab aber keinerlei zeitliche Perspektive. Von der Leyen erinnerte daran, dass die Ukraine für einen Beitritt verschiedene Ziele erfüllen müsse. Dabei geht es etwa um das Auswahlverfahren von Verfassungsrichtern und einen stärkeren Kampf gegen Korruption, insbesondere auf hoher Ebene. Zu den bisherigen Reformanstrengungen hieß es, die EU erkenne an, dass die Ukraine trotz des Krieges mit Russland „erhebliche Anstrengungen“ unternommen habe.

Beitrittsperspektive als heikles Thema

Keinen fixen Zeitpunkt für einen Beitritt der Ukraine in die EU, aber Unterstützung auf dem Weg dorthin. Das ist das vorläufige Ergebnis des EU-Gipfels in Kiew.

Selenskyj sagte, man werde bei der Arbeit für die Annäherung an die EU „nicht einen einzigen Tag verlieren“. Ziel sei, so schnell wie möglich Verhandlungen über einen Beitritt aufzunehmen. Selenskyj erneuerte auch seine Forderung nach Langstreckenwaffen. Man versuche, die Stadt Bachmut im Osten des Landes so lange wie möglich zu halten. „Wir betrachten Bachmut als unsere Festung“, sagte Selenskyj. Die Verteidigung könne aber nur mit geeigneten Waffen gelingen.

„Je weitreichendere Raketen wir haben, je besser unsere Artillerie ausgerüstet ist, desto schneller endet die Aggression Russlands und umso garantierter wird der Schutz der europäischen Sicherheit und Freiheit.“ Gebe es schnellere Lieferungen und weitreichende Waffen, „dann werden wir nicht nur nicht von Bachmut zurückweichen, sondern auch mit der Befreiung des seit 2014 besetzten Donbas beginnen“, so Selenskyj. Kiew wisse genau, was dafür benötigt werde.

Details zu erwarteten neuen Sanktionen

Konkrete Zusagen machte die EU zum Krieg gegen Russland. Von der Leyen sicherte bereits am Donnerstag insbesondere weitere Hilfen beim Wiederaufbau zu. So sollen in diesem Jahr weitere 450 Millionen Euro bereitgestellt werden, um zum Beispiel den schnellen Wiederaufbau der Infrastruktur und Reformprojekte zu unterstützen. Zudem wird die EU weitere 2.400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen, insgesamt also mehr als 5.000.

Von der Leyen sagte am Freitag auch 35 Millionen Energiesparbirnen zu. Die Ukrainer könnten ihre alten Glühbirnen gegen die LED-Lampen „bei der Post umtauschen“, hieß es. „Jedes eingesparte Kilowatt Energie ist wertvoll, um Russlands Energiekrieg zu kontern“, so von der Leyen auf Twitter. Bisher haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten nach eigenen Angaben bereits knapp 50 Milliarden Euro an Unterstützung mobilisiert.

Bis zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar soll zudem ein neues Paket mit Russland-Sanktionen beschlossen werden – das zehnte. Von der Leyen sagte am Freitag nach dem Gipfel, es werde russische Geschäfte im Wert von zehn Milliarden Euro treffen. Konkret werde es unter anderem um weitere Technologie gehen, die für die russische Kriegsmaschine eingesetzt werden könne. Auch Selenskyj forderte schärfere Sanktionen. „Wir sind sehr daran interessiert, dass Russland keine Möglichkeit hat, seine Rüstungsindustrie wiederzubeleben“, sagte er. Die bisherigen Sanktionen hätten die russischen Bemühungen nur verlangsamt.

Arbeitstreffen zwischen Vertretern von EU und Ukraine
AP/Ukrainian Presidential Press Office
Die EU-Spitze kam mit großer Delegation nach Kiew

Milliarden für Wiederaufbau nötig

Die Ukraine forderte bei der EU für den angelaufenen Wiederaufbau der durch Russlands Krieg zerstörten Infrastruktur konkrete Mittel. „In diesem Jahr beträgt der Bedarf 17 Milliarden US-Dollar (rund 15,6 Milliarden Euro, Anm.)“, sagte Regierungschef Denys Schmyhal bei einem Treffen mit dem Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

Dafür sollten vor allem die im Zuge der Sanktionen gegen Moskau eingefrorenen russischen Gelder verwendet werden. Gleichzeitig dankte Schmyhal für die Finanzzusagen der EU von 18 Milliarden Euro, von denen bereits drei Milliarden in der Ukraine eingetroffen seien.

Ausbildung für ukrainische Soldaten

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte darüber hinaus offiziell die Ausweitung der europäischen Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte an. Diese soll zusätzliche 15.000 ukrainische Soldaten trainieren und die Gesamtzahl damit auf 30.000 erhöhen. Borrell zufolge soll die EU-Mission auch die Besatzung von Kampfpanzern ausbilden.

Das soll dafür sorgen, dass die Ukrainer die Leopard-2-Panzer effektiv nutzen können, die Länder wie Deutschland zur Verfügung stellen wollen. Zudem will die EU 25 Millionen Euro für die Minenräumung in zurückeroberten Gebieten bereitstellen. Bei der Minenräumung kann sich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) auch eine Beteiligung des Bundesheers nach Ende des Krieges vorstellen.