NATO Kampfflugzeuge
IMAGO/ZUMA Wire/Danielle Sukhlall/Us Air Force
NATO-Quelle

Mehr Vorfälle mit russischen Flugzeugen

NATO-Jets haben einem Medienbericht zufolge 2022 in Europa 570 Einsätze geflogen, um russische Militärflugzeuge abzufangen, die sich dem Luftraum des Bündnisses genähert haben – und damit fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die meisten Vorfälle habe es über der Ostsee gegeben, berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf einen NATO-Beamten. Einige der Flüge seien durchaus als Provokation zu verstehen, auch „riskante Manöver“ seien mit Besorgnis beobachtet worden.

2021 hatte die westliche Militärallianz noch 290 Fälle von Alarmstarts registriert. Die meisten Einsätze im Jahr 2022 hätten über der Ostsee stattgefunden, sagte der namentlich nicht genannte NATO-Beamte gegenüber dem RND. In aller Regel habe man die russischen Maschinen abdrängen und Eskalationen vermeiden können: „Die überwiegende Mehrheit der Luftbegegnungen verlief sicher und professionell.“

Teilweise hätten russische Militärflugzeuge jedoch „riskante Manöver“ in der Nähe „unbewaffneter alliierter Aufklärungsflugzeuge“ durchgeführt, im November hätten russische Militärflugzeuge NATO-Schiffe auf einer Routinepatrouille in der Ostsee „auf unsichere Weise überflogen“. Man habe die Besorgnis über derartige Vorfälle diplomatisch zum Ausdruck gebracht, heißt es weiter.

Bei Alarmstarts müssen Jagdflugzeuge aus NATO-Staaten innerhalb weniger Minuten in der Luft sein, um dann zum Beispiel durch Sichtkontakt festzustellen, ob von einem verdächtigen Luftfahrzeug eine Gefahr ausgeht. Notfalls könnte dieses dann mit Gewalt aufgehalten werden. Die Einsätze werden in den meisten Fällen wegen russischer Flugzeuge geflogen. Nur selten geht es um Militärflugzeuge anderer Staaten oder nicht sofort identifizierbare Passagier- oder Frachtmaschinen.

Vorfälle im Jänner und Februar

Auch Ende Jänner 2023 fing die deutsche Luftwaffe bereits ein russisches Militärflugzeug über der Ostsee ab. „Unsere QRA (Quick Reaction Alert, eine NATO-Stufe der Gefechtsbereitschaft, Anm.) hat eine COOT-A (NATO-Codename für Iljiuschin-20, Anm.) über der Ostsee identifiziert“, hieß es in einem Statement auf Twitter. Während des Fluges habe die Maschine mehrmals die Flugrichtung geändert: „Ein klares Verhalten war nicht vorhersehbar. Wir haben das Flugzeug begleitet und sind dann wieder nach Laage zurückgeflogen.“

Auch Anfang Februar habe es rund um Estland, Lettland und Litauen wegen Kampfflugzeugen vom Typ Suchoi Su-27, Su-30 und Militärtransportern vom Typ Iljuschin Il-76 in einer einzigen Woche achtmal Alarm gegeben. Einige dieser Flüge könnten durchaus als „Provokation“ bezeichnet werden, schreibt das RND. Auch bei Vorfällen an der Ostgrenze Polens und am Schwarzen Meer habe es so gewirkt, als ob es den russischen Besatzungen egal sei, dass sie kurz davor seien, das Territorium souveräner Nationen zu überfliegen, so das RND weiter.

Auffälligkeiten bei einigen Flügen

Zudem sei auffällig, dass die russischen Besatzungen vorab keinen Flugplan bekanntgaben, obwohl das als internationaler Standard gilt. Während des Fluges hätten sie auch keinen Kontakt zur zuständigen regionalen Luftsicherheitsbehörde aufgenommen und somit keine Informationen über Herkunft und Ziel gegeben.

Manche russischen Besatzungen hätten bei der Annäherung an die NATO-Staaten sogar ihre Transponder abgeschaltet, was ebenfalls als unüblich gilt. Denn normalerweise geben die Transponder in Flugzeugen laufend digital Auskunft über die Herkunft und Identität der Maschine.

Drei Su-30 Kampfflugzeuge
AP/Manish Swarup
Su-30-Kampfflugzeuge wie diese wurden um Estland, Lettland und Litauen gesichtet

„Unendliche Nervenprobe“ beabsichtigt

Die Vorfälle seien letztlich immer gleich abgelaufen: Westliche Kampfflugzeuge seien aufgestiegen, NATO-Besatzungen hätten zweifelsfrei die Identität und die Nationalität der Maschinen geklärt und die Daten an ihre Einsatzzentralen weitergeleitet. Die russischen Maschinen seien dann immer abgedreht.

Worin der Sinn der „russischen Provokationen“ liegt, erschließt sich auch Fachleuten nicht. Es werde wohl „eine Art fortlaufender Test, eine unendliche Nervenprobe“ angestrebt, zitierte das RND NATO-Quellen. So spiele sich ein ähnliches Szenario derzeit etwa in Taiwan ab: China schicke teilweise täglich Kampfjets in Taiwans Luftverteidigungszone, um Taiwans Luftwaffe zu ermüden und auch Materialabnutzung zu erreichen.

Spannungen nahmen seit Ukraine-Krieg zu

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den damit einhergehenden Spannungen mit der NATO habe die Zahl der militärischen Begegnungen mit russischen Flugzeugen über der Ostsee zugenommen, sagte der Generalinspekteur der deutschen Luftwaffe, Ingo Gerhartz, bereits im August. „Ja, das merken wir durchaus: Wir haben mehr Vorfälle, wie wir das nennen“, sagte er gegenüber dem ZDF. Russische Jets näherten sich dabei dem NATO-Luftraum und würden dann von NATO-Flugzeugen begleitet.

Russische Flugmanöver im internationalen Luftraum seien „völlig in Ordnung“. Zugleich werde signalisiert, dass der NATO-Luftraum eine „rote Linie“ sei, die von russischen Flugzeugen nicht überschritten werden dürfe. In Hinblick auf den Krieg in der Ukraine wolle man „wachsam“ bleiben, hieß es zuletzt von der NATO. „Wir werden sicherstellen, dass es in Moskau keinen Raum gibt für Missverständnisse über unsere Bereitschaft zur Verteidigung aller Bündnispartner.“

Der Anstieg ging nach Angaben aus der NATO allerdings nicht nur auf eine erhöhte Aktivität der russischen Luftstreitkräfte zurück, sondern auch auf eine stärkere NATO-Präsenz an der Ostflanke infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. So standen dort zuletzt deutlich mehr Flugzeuge für die Luftraumüberwachung zur Verfügung.