Hilfskonvoi nahe der türkisch-syrischen Grenze
AP/Hussein Malla
Bebenkatastrophe

Hilfe in Nordsyrien läuft nur langsam an

Nach der Erdbebenkatastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet gestaltet sich die Hilfe für den Norden Syriens weiter besonders schwierig. Am Donnerstag kam endlich der erste Hilfskonvoi im von Rebellen kontrollierten Gebiet an. Doch nicht nur dort stockt die Hilfe. Dabei waren die Menschen vielerorts schon vor dem Beben auf humanitäre Unterstützung angewiesen.

In Damaskus kamen am Donnerstag mit Hilfsgütern beladene Flugzeuge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Iran und dem Oman in Damaskus an, wie die syrische Staatsagentur SANA berichtete. Auch andere Länder schickten auf dem Luftweg Güter ins Land.

Doch Lieferungen auf dem Landweg, vor allem in die Rebellengebiete, gestalten sich schwierig. Am Donnerstag konnten schließlich sechs Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa passieren. Das bestätigte ein Grenzbeamter. Wegen Schäden an Straßen konnten Lastwagen Bab al-Hawa bisher nicht erreichen.

Auch ein AFP-Korrespondent berichtete von den Lastwagen, die unter anderem mit Zelten und Hygieneartikeln beladen waren. Bei der Ladung handle es sich um Hilfsgüter, die bereits in Syrien eintreffen sollten, bevor das Erdbeben am Montag das Gebiet erschütterte, sagte der syrische Grenzbeamte Masen Allusch.

UNO: Hilfe nicht „politisieren“

Kurz zuvor teilten die Vereinten Nationen in Genf mit, sie hätten die Zusicherung erhalten, dass die Hilfsgüter die von dem Erdbeben betroffenen Gebiete in Nordwestsyrien am Donnerstag über den einzigen zugelassenen Grenzübergang zwischen Syrien und der Türkei erreichen würden. „Uns wurde heute zugesichert, dass die ersten Hilfslieferungen heute über den Grenzübergang Bab al-Hawa eintreffen werden“, sagte der UNO-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen.

Pedersen forderte die Regierung in Damaskus auf, Hilfe für die Rebellenregion nicht zu blockieren. „Wir müssen sicherstellen, dass es keine politischen Behinderungen gibt, um die Hilfsgüter dorthin zu bekommen, wo Menschen betroffen sind“, so Pedersen. „Wir brauchen lebensrettende Hilfe für die Zivilbevölkerung, wo auch immer sie sich befindet, ungeachtet von Grenzen“, sagte Pedersen: „Wir brauchen sie dringend, und zwar auf den schnellsten, direktesten und wirksamsten Wegen.“

Eine Grafik zeigt den Einfluss verschiedener Gruppen auf von dem Erdbeben betroffenen syrischen Gebieten
Grafik: ORF; Quelle: BBC/Janes

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die Öffnung weiterer Grenzübergänge. „Wir brauchen massive Unterstützung, und deshalb würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn der Sicherheitsrat einen Konsens erzielen könnte, um die Nutzung von mehr Übergängen zuzulassen, da wir auch unsere Kapazität erhöhen müssen“.

Zugang gestaltet sich schwierig

Im Bürgerkriegsland Syrien gestalten sich Zugang zu und Hilfe für die Erdbebenopfer sehr schwierig, unter anderem, weil Gebiete im Norden von unterschiedlichen Seiten kontrolliert werden. So werde Aleppo von der syrischen Regierung kontrolliert, die Region Idlib aber von den Rebellen – für beide ist der Zugang zu Hilfe mit enormen Hürden verbunden, denn während die Rebellengebiete nur über die Türkei versorgt werden, muss Aleppo etwa auf Hilfe über Damaskus hoffen – das wiederum international isoliert ist.

Zerstörung nach Erbeben in Aleppo, Syrien
AP/Hassan Ammar
In Aleppo hat das Erdbeben starke Schäden hinterlassen

Hinzu kommt, dass schon vor dem Beben der Bürgerkrieg für schwere Schäden gesorgt hat. Nach mehr als einem Jahrzehnt der Kämpfe und Luftangriffe waren viele Wohngegenden, Krankenhäuser und andere Einrichtungen bereits zerstört – was jetzt zu einem doppelten Problem für Syrien wird.

Grenzübergang als Lebensader für Nordwesten

Der Grenzübergang Bab al-Hawa war bereits vor dem Erdbeben eine Lebensader für rund 4,5 Millionen Menschen in Gebieten im Nordwesten des Landes, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert werden. 90 Prozent der Bevölkerung waren dort schon vor der Katastrophe nach UNO-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. In der Region leben Millionen Menschen, die durch Kämpfe in Syrien vertrieben wurden. Zu ihrem Leid kommen unter anderem Mangelernährung, Cholera, kaltes Winterwetter und nun die Folgen des Erdbebens hinzu.

Erdbeben: Erste Hilfsgüter in Syrien

ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary berichtet über die ersten Hilfsgüter in Syrien nach dem schweren Erdbeben.

Bab al-Hawa ist der einzige offene von ursprünglich vier Grenzübergängen aus der Türkei nach Syrien. Die syrische Regierung wollte humanitäre Hilfe schon vor dem Erdbeben komplett durch die von ihr kontrollierten Gebiete fließen lassen, um den Rebellen im Norden weitere Ressourcen zu entziehen. Das fordert sie nun erneut. Bei Hilfslieferungen und -zahlungen an die Regierung gab es immer wieder Berichte, dass sich das Regime daran bereichert und die Güter als Machtmittel im Bürgerkrieg einsetzt.

Gesundheitssystem komplett überlastet

Das Gesundheitssystem in Syrien sei stark überlastet, berichtete Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal. Derzeit liege der Schwerpunkt der Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen nach dem Erdbeben auf Lebensrettung, alle anderen Patienten, deren Verletzungen nicht lebensbedrohlich sind, müssen warten. Auch drei Tage nach dem Erdbeben kämen noch viele Schwerverletzte in die Krankenhäuser, so Bachmann.

Es gebe „kaum schweres Bergungsgerät, wenn überhaupt, müssen Menschen händisch mit einfachen Werkzeugen geborgen werden“, sagte der Experte. Sehr viele Patientinnen und Patienten, die derzeit in die Spitäler gebracht werden, sind unterkühlt. „Das Fenster, wo man Menschen noch lebend aus den Trümmern bergen kann, speziell wenn sie verletzt sind, ist dabei, sich bei den tiefstwinterlichen Bedingungen zu schließen“, sagte Bachmann. Bei Verschütteten, die nicht verletzt sind, gebe es noch Hoffnung.

Fehlendes Gerät als enorme Hürde

„Wir nutzen unsere Hände und Schaufeln, um die Trümmer zu beseitigen. Einige von uns haben in den letzten 70 Stunden nicht mehr als sechs Stunden geschlafen“, sagte unterdessen Ubadah Sikra, der die Rettungseinsätze der Weißhelme koordiniert und der inzwischen selbst mit anpackt. Die Weißhelme kümmern sich um die nicht von der Regierung kontrollierten Teile des Landes.

„Einige Freiwillige weigern sich, eine Pause zu machen, weil sie versuchen wollen, mehr Leben zu retten“, so Sikra. Einige Freiwillige würden auch Freunde und Angehörige aus den Trümmern ziehen. „Es fehlt uns am Wesentlichen. Wir brauchen große Kräne, um große (Trümmer-)Brocken zu beseitigen. Wir brauchen schwere Ausrüstung, um mit dieser Tragödie umzugehen“, sagte Munir Mustafa, stellvertretender Leiter der Weißhelme.

Flüchtlingscamp bei Jindayris, Syrien
AP/AFP/Aaref Watat
Menschen, die durch das Beben obdachlos wurden, wurden in Zelten untergebracht

„Welt hat uns wie immer aufgegeben“

Viele Angehörige von noch verschütteten Opfern sind zunehmend verzweifelt. „Was soll man sagen? Die Welt hat uns wie immer aufgegeben. Wir haben alles verloren“, sagte ein Bewohner der Kleinstadt Dschindiris mit zittriger Stimme am Telefon. Rund 20 Mitglieder seiner Familie seien noch verschüttet. „Am ersten Tag haben wir ihre Stimmen von unter den Trümmern gehört, aber dann ließen sie langsam nach. Die Lage ist aussichtslos.“