Der syrische Präsident Baschar al-Assad in der vom Erdbeben betroffenen Stadt Aleppo
AP/SANA
Syrien

Assad-Regime macht Hilfe heikel

Anders als in der Türkei läuft die internationale Erdbebenhilfe für Syrien nur zögerlich an. Hintergrund ist die schwierige politische Situation in dem geteilten Bürgerkriegsland. Hinzu kommt der heikle Umgang des Westens mit dem sanktionierten Assad-Regime. Nun gibt es aber einen Hoffnungsschimmer.

Die USA werden für dringend benötigte humanitäre Hilfe nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien 85 Millionen Dollar (rund 79 Mio. Euro) bereitstellen. Damit die Erdbebenhilfe auch für das sanktionierte Syrien möglich ist, erlaubte das US-Finanzministerium für eine Dauer von 180 Tagen alle entsprechenden Transaktionen.

Diese Lockerung werde nicht die langjährigen strukturellen Herausforderungen und die brutalen Taktiken des Regimes von Baschar al-Assad rückgängig machen, sagte Wally Adeyemo, der stellvertretende Finanzminister. Sie könne aber sicherstellen, dass Sanktionen die jetzt benötigte lebensrettende Hilfe nicht behinderten.

Hilferufe nach Beben in Syrien

Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien laufen die Hilfseinsätze auf Hochtouren. Doch in Syrien fehlt es an den notwendigen Geräten und auch an den Helferinnen und Helfern.

Hoffnung und Angst

Das mache Hoffnung, dass Medikamente und lebensnotwendige Güter leichter ins Land gelangen, sagte Andreas Kapp, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Nachbar in Not und Generalsekretär für Internationale Programme der Caritas Österreich, am Freitag bei einem Besuch in Aleppo. Außerdem laufe die Hilfe sichtbar an, Notunterkünfte wurden aufgestellt, Nahrungsmittel verteilt. Doch die Angst der Menschen und Unsicherheit sei weiter groß. Sie harrten bei kaltem Winterwetter im Freien aus.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad in der vom Erdbeben betroffenen Stadt Aleppo
APA/AFP
Syriens Machthaber besichtigt die Zerstörungen in der Stadt Aleppo

Auch der UNO-Sicherheitsrat erwog eine Lockerung der internationalen Blockade des Bürgerkriegslandes. Man prüfe eine Resolution, „die ein oder zwei weitere Grenzübergänge öffnen würde“, sagte die amerikanische UNO-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield dem TV-Sender MSNBC.

Für die Ausarbeitung wären die Ratsmitglieder Schweiz und Brasilien verantwortlich. Die Schweizer Botschafterin Pascale Baeriswyl sagte allerdings, dass ein Treffen des Rates und ein Briefing des UNO-Nothilfekoordinators Martin Griffiths abgewartet werden müssten, um Einzelheiten festzulegen.

Isolierte Provinz Idlib

In Syrien herrscht seit 2011 Krieg, mehr als 350.000 Menschen sind laut internationalen Schätzungen dabei gestorben, rund 5,6 Millionen Syrer sind laut der UNO in andere Länder geflüchtet. Assad werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, etwa der Einsatz von Chemiewaffen. Hilfsangebote an eine Regierung, die das eigene Volk „vergast“ und „abschlachtet“, wären „ziemlich paradox, wenn nicht kontraproduktiv“, hatte der US-Außenamtssprecher Ned Price gesagt.

Assads Regime kontrolliert derzeit gut zwei Drittel des Landes. Knapp 3.400 Menschen kamen bei dem Beben ums Leben – etwa die Hälfte davon in Assads Herrschaftsbereich um die Wirtschaftsmetropole Aleppo, die andere Hälfte in der isolierten Provinz Idlib im Nordwesten, die zum Teil von Dschihadisten aus dem Al-Kaida-Umfeld beherrscht wird und Zufluchtsort für Menschen aus ganz Syrien ist, die sich vor Assad in Sicherheit bringen wollen.

Mitglieder der syrischen Zivilschutzorganisation „Weiße Helme“ machen vor Gebäudetrümmern eine Pause
Reuters/White Helmets
Mitglieder der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme vor Gebäudetrümmern – sie sind nach den tagelangen Einsätzen völlig erschöpft

Derzeit gibt es mit Bab al-Hawa nur einen offenen Grenzübergang zwischen der Türkei und den syrischen Rebellengebieten. Die Regierung billige „die Lieferung humanitärer Hilfe in alle Teile der Arabischen Syrischen Republik“, hieß es am Freitag in einer Mitteilung. Die Verteilung der Hilfsgüter solle vom Syrischen Roten Halbmond sowie vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz beaufsichtigt werden, hieß es weiter.

Bemühungen um Grenzöffnungen

Voraussetzung sei jedoch, dass die Hilfsgüter nicht „Terroristen“ in die Hände fielen, hatte zuvor Außenminister Faisal Mekdad gesagt. Assad bezeichnet jedoch alle Gegner als „Terroristen“. UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte am Freitag „einen sofortigen Waffenstillstand“ in Syrien und die „uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und der Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts, damit die Hilfe alle erreichen kann“.

Die türkische Regierung bemüht sich inzwischen darum, eine Öffnung der von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzposten zu erreichen. Seit Jahren sind die Übergänge wegen der Spannungen zwischen beiden Ländern geschlossen. „Wir sind bei einem Einsatz immer auf die Zusammenarbeit mit den Behörden angewiesen“, sagte ein Sprecher der Hilfsorganisation @fire. In der Türkei habe das gut funktioniert, in Syrien sehe es anders aus. „Leider ist die Hilfe bei einem Erdbeben auch immer sehr politisch.“

Zerstörung in Jandaris (Syrien) nach dem schweren Erdbeben
Reuters/Khalil Ashawi
Schwerste Zerstörung im syrischen Dschindires im Distrikt Afrin im Gouvernement Aleppo

Hilfsgüter als Machtmittel

Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von Assads Männern verteilt. Mehrfach gab es Berichte darüber, dass sich die Regierung daran selbst bereichere und Güter ans eigene Volk verkaufe. Auch sollen bei der Verteilung von Hilfsgütern Gebiete übergangen worden sein, die Assad als feindlich ansieht.

Syriens Regime nahm das Erdbeben zum Anlass, erneut die westlichen Sanktionen zu kritisieren. Diese würden die humanitäre Hilfe erschweren. Die Sanktionen hätten die Lage nach dem Beben verschlimmert, sagte Mekdad. Der Syrische Rote Halbmond erklärte, wegen der Sanktionen habe Syrien nicht genug Treibstoff, um Hilfskonvois ins Bebengebiet zu schicken.

Experten bezweifeln allerdings, dass die Aufhebung der Strafmaßnahmen einen direkten Einfluss auf die dringend benötigte Nothilfe hätte. Rund 4,5 Millionen Menschen leben im Nordwesten. Nach UNO-Angaben waren 90 Prozent der dortigen Bevölkerung bereits vor der Erdbebenkatastrophe auf humanitäre Hilfe angewiesen. Im ganzen Bebengebiet stelle sich das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) darauf ein, dass insgesamt 5,4 Millionen Menschen Hilfe bei Unterkünften benötigen, sagte der UNHCR-Vertreter in Damaskus, Sivanka Dhanapala.

Assad besucht Aleppo

Erstmals nach der Katastrophe hat sich Assad am Freitag öffentlich präsentiert. Er und seine Frau Asma besichtigten am Freitag Schuttberge in Aleppo und besuchten in einer Klinik Opfer des Erdbebens. Die syrische Präsidentschaft veröffentliche Fotos, die die beiden am Krankenbett von Verletzten zeigen.

Ganz abgeschnitten von internationaler Hilfe ist Syrien aber nicht: Der Oman hat schon am Mittwoch eine Luftbrücke mit Hilfsgütern gestartet, will aber keine Rettungsteams ins Land schicken. Die Vereinigten Arabischen Emirate sagten Hilfe im Wert von 50 Millionen Dollar zu und wollen ein Feldlazarett errichten. Auch Indien schickte Hilfsgüter per Flugzeug. Unterstützung bekam die syrische Führung auch aus dem Iran, Russland und China zugesichert – seit Langem direkte oder indirekte Unterstützer von Machthaber Assad.

Retter: Keine Hilfe im Nordwesten angekommen

Schließlich vermeldete die UNO-Organisation für Migration (IOM) die Ankunft zweier Hilfskonvois aus der Türkei in Idlib. Der Chef der Weißhelme, Raid al-Saleh, sagte aber, dass es sich um Hilfslieferungen handle, die schon vor dem Erdbeben geplant waren. Statt lebenswichtiger Ausrüstung für die Rettungsteams sei deshalb unter anderem Waschmittel angekommen. Das UNO-Nothilfebüro OCHA habe mehrfach nach dem Bedarf gefragt, aber nichts geschickt.

Die Weißhelme sind eine private Zivilschutzorganisation von Freiwilligen und bezahlten Hilfsteams in Syrien, die seit 2013 im Bürgerkrieg in nicht von der Regierung kontrollierten Teilen des Landes aktiv ist. Sie ist nicht zu verwechseln mit den staatlichen syrischen Zivilschutzkräften.

7.000 Helfer aus 61 Ländern in der Türkei

In der Türkei rollte am Freitag weitere Hilfe aus dem Ausland an. Mehr als 7.000 Helfer aus 61 Ländern seien in der Türkei, teilte das Außenministerium in Ankara. Rettungskräfte – auch aus Österreich – arbeiteten rund um die Uhr, um im Wettlauf gegen die Zeit mögliche Überlebende in den Schuttbergen zu finden. Mehrere Menschen konnten auch am Freitag noch gerettet werden, darunter ein zehn Tage altes Baby.

„Wir machen weiter, bis wir sicher sind, dass es keine Überlebenden mehr gibt“, zitierte eine Reporterin des staatlichen türkischen Fernsehsenders TRT World einen Sprecher der Einsatzkräfte. Erschwert werden die Rettungsarbeiten durch das eisige Wetter, das auch die Überlebenden bedroht, die in notdürftigen Unterkünften oder gar im Freien ausharren müssen. Die Zahl der Toten stieg inzwischen auf über 20.000. Mehr als 77.000 Menschen seien verletzt worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Opfer in Syrien dazugezählt, sind damit mehr als 24.000 Menschen ums Leben gekommen.