FBI-Untersuchung der Ballon-Überreste
AP/FBI
Rätsel am US-Himmel

Weiteres Flugobjekt wirft neue Fragen auf

Das Mysterium am Himmel über Nordamerika wird immer größer: Seit dem Abschuss eines mutmaßlichen chinesischen Spionageballons Anfang Februar hat das US-Militär drei weitere, nicht identifizierte Flugobjekte zerstört. Herkunft und Ziele der Objekte bleiben weitgehend unklar, kryptische Aussagen der US-Luftstreitkräfte schüren in sozialen Netzwerken Spekulationen.

Bei den zuletzt gesichteten Flugobjekten ist völlig offen, wer sie auf den Weg geschickt hat – und wozu. Das am Sonntag über dem Huronsee an der amerikanisch-kanadischen Grenze abgeschossene Flugobjekt sei in etwa sechs Kilometer Höhe unterwegs gewesen und schien eine achteckige Struktur zu haben, mit herabhängenden Schnüren, aber ohne erkennbare Nutzlast, sagte ein US-Beamter. Das Pentagon betonte, noch lägen keine Informationen dazu vor, woher der Flugkörper stammte, und was er zum Ziel hatte.

Nur wenige Tage zuvor waren zwei weitere Flugobjekte über Alaska und Kanada in rund zwölf Kilometer Höhe abgeschossen worden. Sie waren nach offiziellen Angaben deutlich kleiner als der chinesische Ballon – etwa so groß wie ein Kleinwagen – und in niedrigeren Höhen unterwegs. Sie hätten sich sehr langsam fortbewegt, etwa mit Windgeschwindigkeit.

Bisher konnte nur die erste Sichtung vom 4. Februar als chinesischer Spionageballon klassifiziert werden. Er flog nach Angaben der US-Regierung in einer Höhe von etwa 18 Kilometern und damit weit über der Höhe, in der zivile Flugzeuge unterwegs sind, hatte die Größe von zwei bis drei Bussen und war mit bloßem Auge zu sehen. Zudem habe er wertvolles Spionagewerkzeug enthalten, das wohl von künstlicher Intelligenz gesteuert wurde. Peking wies die Vorwürfe zurück und sprach von einem abgedrifteten Wetterballon.

Grafik zu Flugobjekten über den USA und Kanada
Grafik: APA/ORF

Bergung der Trümmer entscheidend – aber schwierig

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, sagte unter Berufung auf den Nationalen Sicherheitsrat, derzeit gehe man davon aus, dass es sich auch bei den anderen drei Objekten um Ballons gehandelt habe. Der Leiter der North American Aerospace Defense Command (NORAD), Glen VanHerck, wies das aber zurück – nicht ohne Grund bezeichne man sie als „Objekte“.

„Wir werden sie erst dann endgültig charakterisieren können, wenn wir die Trümmer bergen können“, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses für nationale Sicherheit laut BBC. Die Bergung der Trümmer gestaltet sich offiziellen Angaben zufolge wegen der Wetter- und Umweltbedingungen an Ort und Stelle allerdings schwierig. Besonders die Bergung des vor Alaska abgeschossenen Flugkörpers werde durch die „arktischen Wetterbedingungen“ wie Wind, Schnee und wenig Tageslicht erschwert, teilte der Kommandostab Northern Command (Northcom) mit. Die Bergung der Trümmerteile finde auf dem Meereis statt.

Bergungskräfte, die im kanadischen Yukon nach Trümmern suchten, wurden von einem kanadischen CP-140-Patrouillenflugzeug unterstützt. Auch die Bergung der Trümmer des mutmaßlichen Spionageballons mit Hilfe von Flugzeugen, Schiffen und Mini-U-Booten vor der Küste des Bundesstaates South Carolina dauerte zuletzt noch an. Nach Angaben eines FBI-Verantwortlichen wurde aber bisher nur ein „kleiner Teil“ der Überwachungsausrüstung geborgen.

Bergung von Ballon-Überresten
AP/U.S. Navy
Vom Militär veröffentlichte Fotos zeigten die Bergung eines großen Teils des Ballons aus dem Atlantik

Aufklärung könnte einige Zeit dauern

Angesichts der schwierigen Bergung der Trümmer stimmte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, die Öffentlichkeit auf eine längere Wartezeit ein, bis die Hintergründe der Flugobjekte geklärt sind. Das Militär beobachte den Luftraum weiter genau, betonte Kirby.

Momentan sei man aber keinem anderen verdächtigen Flugkörper auf der Spur. Noch wisse die Regierung nicht, ob die drei bisher nicht identifizierten Flugobjekte auch zur Überwachung genutzt worden seien, „aber wir können es nicht ausschließen“.

Weißes Haus: Keine Hinweise auf Aliens

Das Fehlen von Informationen über die Flugobjekte gibt Raum für Mutmaßungen aller Art. In sozialen Netzwerken wurde schon über eine mögliche Invasion von Aliens spekuliert. Auf die Frage, ob das US-Verteidigungsministerium ausschließen könne, dass Außerirdische dahintersteckten, antwortete VanHerck nur: „Ich überlasse es den Geheimdiensten und der Spionageabwehr, das herauszufinden. Ich habe zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts ausgeschlossen.“ Das US-Militär habe noch nie Flugobjekte im amerikanischen Luftraum abschießen müssen – nun plötzlich viermal innerhalb von acht Tagen.

USA: Keine Hinweise auf Außerirdische

Angesichts von zunehmenden Spekulationen rund um die abgeschossenen Flugobjekte über Nordamerika hat sich das Weiße Haus zu einer Klarstellung bemüßigt gefühlt – und einen möglichen Zusammenhang mit Außerirdischen ausgeschlossen. „Es gibt keinen Hinweis auf Aliens oder außerirdische Aktivitäten bei diesen jüngsten Abschussaktionen“, sagte Sprecherin Karine Jean-Pierre.

Bei einer Pressekonferenz am Montag stellte das Weiße Haus allerdings klar, dass es keine Hinweise auf Aliens und außerirdische Aktivitäten gebe. „Ich wollte sicherstellen, dass das amerikanische Volk das weiß“, sagte die Sprecherin im Weißen Haus, Karine Jean-Pierre.

Abgeordnete fordern Informationen

Abgeordnete beider Parteien forderten zuletzt mehr Informationen, um zu verhindern, dass sich weiter wilde Theorien verbreiten. Der demokratische Senator Jon Tester sagte gegenüber CBS: „Was sich in den letzten zwei Wochen abgespielt hat, ist der reine Wahnsinn. Und das Militär muss einen Plan haben, um nicht nur festzustellen, was da draußen ist, sondern auch die Gefahren zu bestimmen.“

„Zweifellos sammelt die Regierung immer noch Informationen und möchte sich bei den Fakten sicher sein – oder zumindest hoffen wir das. Aber wenn sie nicht weiß, was diese Objekte sind, dann sollte das Weiße Haus das direkt so sagen“, schrieb die „Washington Post“.

Militärflugzeug über Michigan, USA
Reuters/Saleh Trades
Kampfflugzeuge sind derzeit auf der Suche nach weiteren Flugobjekten am US-Himmel

Mehr Kontrollen nach Sichtung des Ballons?

Zumindest bei dem Ballon sind sich die USA sicher, dass er Spionagezwecken diente. Zu den anderen Objekten äußerte sich Melissa Dalton, US-Vizeverteidigungsministerin, vorsichtig. Sie sagte nur, es sei bekannt, dass auch öffentliche und private Forschungseinrichtungen eigene Forschungsfahrzeuge in diesen Höhen in die Atmosphäre schießen würden.

Unidentifizierte Flugobjekte sind in den USA prinzipiell keine Seltenheit. Erst vor einigen Wochen ging aus einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums hervor, dass die Meldung unerklärlicher Phänomene am Himmel zugenommen habe. Dass plötzlich so viele Objekte so knapp hintereinander gefunden werden, führt die Vizeverteidigungsministerin darauf zurück, dass nach dem Abschuss des Ballons die Radareinstellungen verändert wurden, um nach kleineren und langsameren Objekten zu suchen.

So sei der US-Luftraum in der fraglichen Höhe genauer überprüft worden. Das könne „zumindest teilweise die Zunahme an Objekten erklären, die wir in der vergangenen Woche entdeckt haben“. Ob das im Umkehrschluss heißt, dass dort zuvor schon viele solcher Flugkörper unterwegs waren und schlicht nicht bemerkt wurden, blieb offen.

Diplomatische Belastungsprobe

Fest steht, dass die Vorfälle die ohnehin schon angespannte Beziehung zwischen den USA und China weiter belasten. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg News erwägt US-Außenminister Antony Blinken derzeit ein Treffen mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz – es wäre das erste persönliche Gespräch seit dem Abschuss der Flugobjekte.

Während die USA China vorwerfen, mit dem Ballon Militäreinrichtungen ausspionieren zu wollen und mehr als 40 Länder im Visier zu haben, sprach Peking von einem zivilen Forschungsballon, der vom Kurs abgekommen sei, und nannte die Reaktion der USA übertrieben. Die USA seien es nicht gewohnt, militärisch und technologisch so herausgefordert zu werden, weshalb nüchterne Reaktionen fast unmöglich seien, so das US-Magazin „Foreign Policy“.

Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin
AP/Liu Zheng
Außenamtssprecher Wang Wenbin warf auch den USA Spionage vor

Das Außenministerium in Peking warf den USA seinerseits vor, im vergangenen Jahr selbst mehr als zehnmal „illegal“ Ballons in großer Höhe über China fliegen gelassen zu haben. Die USA sollten aufhören, „andere Länder zu verunglimpfen und Konfrontation anzufachen“, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin. „Es ist ziemlich klar, welches Land das führende Spionageimperium in der Welt ist“, sagte er mit Blick auf die USA.

Es komme häufig vor, dass US-Ballons über andere Länder fliegen würden. Doch sagte der Sprecher nicht, auf welche Art von Ballons er sich bezog – ob für Spionage oder schlicht zur Wetterbeobachtung. Die „Financial Times“ berichtete am Montag, Dutzende chinesische „Militärballons“ seien in den vergangenen Jahren auch in Taiwans Luftraum eingedrungen – viel mehr als bisher bekannt.

Politologe Heinisch zum USA-China-Verhältnis

Politologe und USA-Spezialist Reinhard Heinisch kommentiert die diplomatischen Verstimmungen nach dem Abschuss eines chinesischen Ballons durch die USA.

Bisher kein bekannter Fall innerhalb der EU

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace kündigte unterdessen an, Großbritannien werde nach den jüngsten Vorfällen in den USA und Kanada eine Sicherheitsüberprüfung durchführen. „Diese Entwicklung ist ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die globale Bedrohungslage zum Schlechteren verändert“, sagte er. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach am Montag in Brüssel von einem „Muster, bei dem China, aber auch Russland, ihre Geheimdienst- und Überwachungsaktivitäten gegen NATO-Verbündete“ verstärkten.

Generell könne der Einsatz von Überwachungsobjekten wie Ballons und unbemannten Luftfahrzeugen ohne die Genehmigung der Behörden jener Länder, in deren Luftraum diese Objekte eindringen, als unverantwortliches Verhalten angesehen werden, das zu internationalen Spannungen führen oder diese verstärken könne, sagte auch ein Sprecher der EU-Kommission auf Anfrage von ORF.at. Man sei bisher jedoch „von keinem Mitgliedsstaat über eine mögliche Entdeckung unidentifizierter Flugobjekte über seinem Hoheitsgebiet informiert worden“.