Ein Händler mit Säcken auf seinem  Fahrrad an der sambisch-kongolesischen Grenze
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Demokratische Republik Kongo

Wo Fahrräder Lkws schlagen

Afrikanische Staaten betreiben laut offiziellen Statistiken mehr als 80 Prozent ihres Handels mit Ländern auf anderen Kontinenten. Nur 18 Prozent ist afrikanischer Binnenhandel – in der EU dagegen macht dieser mehr als 60 Prozent aus. Der Hauptgrund: Grenzen überschreiten ist in Afrika teuer und aufwendig. Exemplarisch zeigt sich das an der sambisch-kongolesischen Grenze. Dort ist es am effizientesten, Güter des täglichen Bedarfs auf abenteuerlich bepackten Fahrrädern über die Grenze zu bringen.

Kasumbalesa ist ein kleiner Ort, der durch eine Staatsgrenze in zwei Teile geteilt ist: einer gehört zu Sambia, einer zur Demokratischen Republik (DR) Kongo. Die Wirtschaft der DR Kongo liegt darnieder und ist – gerade auch bei Gütern des alltäglichen Bedarfs – von Importen abhängig.

Das liegt an der Korruption, den Nachwirkungen der belgischen Kolonialzeit und der bis 1997 dauernden Diktatur Mobutu Sese Sekos. Bis heute ist die politische Lage in einem der rohstoffreichsten Länder der Welt instabil, im Osten – wo der Großteil der Kupfer- und Kobaltvorkommen liegt – gibt es viele Rebellengruppen, die für ständige Kämpfe und Unruhe sorgen.

Und die Straße von Haut-Katanga nach Sambia ist weltweit eine der wichtigsten Strecken zum Export von für E-Autos und die Energiewende generell entscheidenden Metallen wie Kupfer und Kobalt. Auf dieser Strecke blüht die Korruption. Die zuständigen Straßen- und Mautgesellschaften sollen Hunderte Millionen an Einnahmen in die Taschen von deren Manangern und der Familie des ehemaligen Machthabers Joseph Kabila umgeleitet haben.

Tausende „Träger“ und Räder im Einsatz

Die Straßenverbindung ist wegen Kontrollen und langsamer Zollabwicklung permanent von Staus betroffen, sodass auch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensnotwendigem per Lkw nicht funktioniert. Wegen der Unruhen und der Korruption gibt es keine funktionierende Produktion und Versorgung innerhalb der DR Kongo mit Lebensmitteln. Bis zu 8.000 „Träger“, die per Fahrrad Lasten von Hunderten Kilos und teils gewaltigem Umfang transportieren, gibt es laut dem britischen Wirtschaftsmagazin „Economist“ in der Stadt.

Sie bringen Windeln, Getränke, Kosmetika, Lebensmittel und vieles andere täglich über die Grenze. Auf der einen Seite wird es von den Lkws heruntergeladen, per Rad über die Grenze gebracht und nach weniger als einem Kilometer auf der anderen Seite wieder auf andere Lkws zum Weitertransport verfrachtet – meist nach Lumbumbashi, die rund 90 Kilometer entfernte zweitgrößte Stadt der DR Kongo mit rund 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.

Auf dieser kurzen Strecke über die Grenze tummeln sich Lkws, Pick-ups, Motorräder, die Lastenräder und Fußgänger auf einer unbefestigten Straße, mit zahllosen improvisierten Verkaufsständen an den Seiten.

Lastenräder der besonderen Art

Wobei es sich um für den Zweck teils extrem aufgepimpte Fahrräder handelt: Die Lenker sind zum Teil stark verlängert, der Fahrer sitzt dann erhöht, und zwei, drei weitere Männer tauchen an. Andere Räder haben einen seitlich verlängerten Lenker und keinen Sitz – der Platz wird für die Paletten mit Waren gebraucht. „Meine Arbeit ist mein Fitnessprogramm“, zitierte der „Economist“ einen der Packer. Auf diese Weise überholen sie all die Lkw-Fahrer, die sie um ihr rasches Fortkommen beneiden, während sie selbst oft tagelang am Grenzübergang festhängen.

Tausende Lkws stauen sich phasenweise bis zu 70 Kilometer zurück. Für die Fahrer gebe es weder Toiletten noch Wasser, und die Sicherheit sei mangelhaft, beschwerte sich erst Ende des Jahres die Transportgewerkschaft SADC laut einem Bericht der Nachrichtenwebsite Lusaka Times.

70 Prozent aller Lebensmittel

Mehr als 70 Prozent aller Lebensmittel, die in den südöstlichen Provinzen der DR Kongo konsumiert werden, würden aus Sambia importiert, so der „Economist“. Einige dieser Waren würden auf dem Markt von Kasumbalesa von Französisch und Swahili sprechenden Kongolesinnen und Kongolesen gekauft, die oft nur mit Handzeichen mit den Englisch, Bemba oder Gujarati sprechenden sambischen Verkäufern kommunizieren können.

Laut einer von der EU geförderten Studie der sambischen Regierung zum kleinen Warengrenzverkehr wird dieser klar von Männern dominiert (80 Prozent). Zwei Drittel – egal ob Männer oder Frauen – sind verheiratet, und die größte Altersgruppe sind 35- bis 39-Jährige. Je ein Drittel hat nur einen Volksschulabschluss, ein weiteres Drittel bei den Frauen, nur ein gutes Viertel der Männer hat auch die Sekundarstufe abgeschlossen.

Billiger und schneller

Die Zollgebühren sind die gleichen, egal ob Waren mit Rädern oder Lkws über die Grenze gebracht werden. Aber die Spritkosten – insbesondere bei den langen Wartezeiten – sind hoch. Und die Räderpacker müssen viel seltener Bestechung zahlen als Lkw-Fahrer. Bei verderblichen Waren wie frischen Lebensmitteln ist zudem der Zeitfaktor entscheidend. Laut einer Umfrage, die in einem Weltbank-Bericht von 2020 zitiert wird, wählt allerdings ein Drittel der Fahrradpacker inoffizielle Fußwege über die Grenze, um sich die Zollgebühren zu sparen.

Hauptgründe für die langsame Abfertigung der Lkws sind vor allem Korruption, zu kurze Öffnungszeiten und bürokratische Hürden. Seit Jahren gibt es von der Politik beider Staaten immer wieder Versprechen, das Problem zu lösen – sie wurden bisher aber nie erfüllt.

Unter dem offiziellen Radar

Dieser kleine Warengrenzverkehr ist nicht nur in Kasumbalesa, sondern in ganz Afrika von enormer Bedeutung. Das bedeutet aber auch, dass das tatsächliche innerafrikanische Handelsvolumen deutlich höher sein dürfte, als es die offiziellen Daten widerspiegeln. Das liegt laut der US-Denkfabrik Brookings Institution auch an Fehlern bei Erhebungen des Handelsgeschehens. Brookings schätzte in einer Studie letztes Jahr jedenfalls, dass das Gesamtvolumen um bis zu 40 Prozent höher liegen dürfte, als in den offiziellen Statistiken angegeben.

Auch wenn es im Alltag viele Probleme gibt – von der Sicherheit über Vorwürfe von Übergriffen der Grenzbehörden bis hin zu teils eskalierenden Spannungen zwischen Truckern und Kleinhändlern: In gewisser Weise ist im kleinen Grenzhandel an den Regierungen vorbei bereits verwirklicht, was diese anstreben, aber seit Jahren – auch pandemiebedingt – nicht umzusetzen schafften: eine Afrikanische Freihandelszone (AfCFTA), also ein afrikaweiter Binnenmarkt.