eine Person trägt die „Big Red Boots“
MSCHF/Garrett Bruce
Mehr als ein Gag

Comicstiefel gegen und für den Modewahn

Seit einigen Tagen scheint die Modewelt nur noch ein Thema zu kennen: riesige, klobige und sehr rote Stiefel, die als Big Red Boots diese Woche auf den Markt kommen. Mit einer Social-Media- und Influencer-Kampagne lanciert, sind sie das Gesprächsthema. Sind die Stiefel jetzt der heißeste Designknüller des Jahres oder einfach eine pointierte Abrechnung mit der Modeindustrie? Wenn man die Schöpfer der Boots kennt, weiß man: beides.

Zufall ist der Hype jedenfalls nicht: „Probestiefel“ wurden an ausgewählte Influencer geschickt, die taten, was sie tun müssen. Sich selbst mit dem Schuhwerk ablichten und die Bilder in den sozialen Netzwerken teilen. Gleichzeitig schickte man das Model Sarah Snyder, bekannt vor allem durch ihre Ex-Liaison mit Will-Smith-Sohn Jaden, vor die Kamera, um eine eigene Werbekampagne zu machen.

Angesichts der Form der Schuhe blieben heiße Debatten freilich nicht aus. Ist die Modewelt jetzt ganz verblödet, fragten die einen. Wo kann man sie sofort kaufen, die anderen. Und mit im Spiel waren sofort nach den klassischen Lifestyle-Medien auch große Medien wie CNN. Am Donnerstag soll nun der Verkauf starten, um wohlfeile 350 Euro ist man Besitzer eines Paares überdimensionaler Gummistiefel, die im englischen Sprachraum an den Anime-Charakter Astro Boy und in Europa an Papa Schlumpf erinnern.

Zwischen Kunst, Design und Kommunikationsguerilla

„Cartoon-Stiefel für eine coole 3D-Welt“, heißt es auch im Begleittext der Schöpfer der Schuhe: „Cartoonhaftigkeit ist eine Abstraktion, die uns von den Zwängen der Realität befreit.“ Schon hier wird deutlich, dass es sich bei den Schuhen nicht nur um einen Designgag handelt. Die Schöpfer nennen sich MSCHF, ausgesprochen „mischief“, also Unfug, und sind schon lange keine Unbekannten mehr.

Das New Yorker Kunstkollektiv lotet seit Jahren die Grenzen von Kunst, Design und Luxuskommerz aus – scheint dabei aber vor allem einer Idee verpflichtet: Kommunikationsguerilla. Die Gruppe ist laut „New York Times“ seit 2016 aktiv, unter dem aktuellen Namen aber erst seit Sommer 2019. Seit damals nummerieren sie ihre Aktionen und Entwürfe, mit denen sie für öffentliche Irritationen sorgen, und versehen sie meist mit eigener Website und kurzem „Manifest“ dazu.

Jesus Shoes und Satan Shoes

Und besonders angetan haben es ihnen offenbar Schuhe. 2019 brachten sie ihre Jesus Shoes auf den Markt, Nike-Sportschuhe, in deren Bubble-Sohle angeblich Weihwasser gespritzt wurde. Eineinhalb Jahre später sorgten ihre Satan Shoes für noch mehr Aufsehen. Mit dem Rapper Lil Nas X wurden Sneakers entworfen, in deren Sohle sich ein Tropfen menschliches Blut befinden soll.

Nike fand beide Aktionen weniger witzig und klagte. Und beide Kollektionen waren trotz der Preise in Minuten ausverkauft. Für das Projekt Birkinstock zerschnitt das Künstlerkollektiv vier sündteure Birkin-Taschen in Krokoleder von Hermes – und fertigte daraus Birkenstock-artige Sandalen. Für die verlangten sie zwischen 36.000 und 76.000 Dollar.

eine Person trägt die „Big Red Boots“ beim Go-Kart fahren
MSCHF/Garrett Bruce
Mit Skischuhen sollte man eigentlich nicht Auto fahren

Plastiksackerln für 40 Dollar

MSCHF erschaffen im besten Fall Luxusdesignstücke, die gleichzeitig eine Parodie ihrer selbst sind. Es entstehen dabei mediale Vexierbilder, gängige Praktiken des Kapitalismus werden einerseits bestärkt, andererseits auch subvertiert. Und das Kollektiv lässt vor allem jene, die die Aktion ernst nehmen und die Designstücke kaufen, einen sehr hohen Preis dafür zahlen.

Bei der Aktion Only Bags wurden Sackerln von Luxuslabels wie Fendi, Prada und Burberry verkauft. Doch nicht nur: Auch ein Plastiksackerl mit der Aufschrift „Thank you“ und eine blaue Ikea-Tasche waren dabei. Innerhalb einer Minute waren alle – zum Einheitspreis von 40 Dollar – verkauft.

In der großen, roten Stiefelfalle

Ein ähnlicher Erfolg wird jetzt schon dem Projekt Nummer 90, eben den Big Red Boots, vorausgesagt. Jeder und jede, der bzw. die die Stiefel kauft, geht der Gruppe auf dem Leim. Und jede Website und jede Zeitung, die ernsthaft diskutiert, ob die Stiefel hübsch, hässlich, praktisch, avantgardistisch oder einfach nur dumm sind, ist eigentlich auch schon auf den Witz des Kollektivs hereingefallen.

Gegenüber der „New York Times“ verneinte die Gruppe zwar, dass die Stiefel ein Scherz seien. „Es handelt sich nicht um eine Satire“, hieß es. Aber es sei schon interessant, dass man sich in einer Zeit befinde, in der sie gar keine Parodie sein müssten.

Kritik nicht immer nur subtil

Bei anderen Aktionen war die Gruppe schon deutlicher: Unter dem Motto „Eat the rich“ stellte man Eislutscher mit den stilisierten Konterfeis von Elon Musk, Jack Ma, Bill Gates, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos her. Das Handyspiel „Finger on the App“ versprach jener Person einen Geldpreis von 25.000 Dollar, die ihren Finger am längsten nicht vom Handyscreen entfernte. Nach 70 Stunden wurde der Gewinn geviertelt.

Aus drei horrenden Arztrechnungen, den Folgen einer fehlenden Krankenversicherung in den USA, stellte das Kollektiv überdimensionale Kunstwerke her. Der Erlös der Verkäufe kam jenen Menschen zugute, die die Rechnungen angehäuft hatten.

Provokation auch in Galerien

Überhaupt erobert das Kollektiv nicht nur die Medien, sondern auch die Kunstwelt. Bei der Art Basel im Miami, einem Tummelplatz der Superreichen, im vergangenen Dezember stellte die Gruppe einen Geldautomaten auf, der die Kontodaten der Abheber speicherte und auf seinem Display ein Ranking nach Kontostand plus Foto der Inhaber anzeigte. Und mittlerweile hatte MSCHF auch die erste Einzelausstellung. Zu sehen war dort unter anderem der Roboterhund Spot von Boston Dynamics, der mit Paintball-Gewehren bestückt unter dem Titel „Spots Rache“ zu sehen war.