Frau an der Kassa
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Sozialleistungen bei Teilzeit

Grüne erteilen Kochers Vorstoß Abfuhr

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher hat am Dienstag mit einem Vorstoß zu Leistungen für Teilzeitbeschäftigte aufhorchen lassen. Er schlug für sie Kürzungen bei den Sozialleistungen vor. Von der Wirtschaft kommt vorwiegend Lob, ansonsten hagelt es jedoch Kritik. Die Grünen halten von Kochers Vorstoß jedenfalls wenig.

Kocher wolle Vollzeitjobs stärken, indem Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte gekürzt würden, sagte er zunächst zum „Kurier“ (Dienstag-Ausgabe), später auch bei einer Pressekonferenz. Es gehe nicht um Kürzungen von Sozialleistungen, sondern darum, bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen den Teilzeitaspekt stärker zu berücksichtigen.

„Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsichereren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen“, so Kocher im „Kurier“.

Kocher: Sozialleistungen bei Teilzeit kürzen

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher will, dass mehr Menschen Vollzeit arbeiten. Neben Anreizen schlägt er dafür nun auch Einschränkungen bei den Sozialleistungen für jene, die freiwillig weniger arbeiten, vor. SPÖ, FPÖ und Gewerkschaft reagierten empört, für NEOS ist es die falsche Lösung. Eine Absage kam vom grünen Koalitionspartner.

„Gerade vor dem Hintergrund des oft geäußerten Vorwurfs der Gießkanne ist ein treffsicherer Einsatz von Steuer- und Beitragsmitteln zentral. Selbstverständlich geht es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen“, so Kocher dann auch zur APA.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) stellte klar, dass Menschen mit Betreuungspflichten nicht betroffen sein dürften, das sei „tabu“. Man müsse aber Anreize für längeres Arbeiten setzen, Leistung müsse sich lohnen. So solle es sich etwa auszahlen, Überstunden zu machen. Er unterstütze Kocher „voll“ dabei, das Thema nun rasch anzugehen.

Rauch: Maßgeblich ist Bedarf

Der Koalitionspartner hielt davon am Dienstag wenig: Für Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) standen Kürzungen bestehender Sozialleistungen nicht zur Diskussion, wie der Minister in einem Statement gegenüber der APA festhielt. „Mit Sozialleistungen unterstützen wir als Gesellschaft jene Menschen, die unsere Hilfe wirklich brauchen. Sie treffsicher zu gestalten, ist eine wichtige Aufgabe der Politik. Maßgeblich ist der Bedarf an Unterstützung – nicht das Ausmaß der Beschäftigung“, so Rauch.

Dem aktuellen Arbeitskräftemangel müsse man begegnen, indem die Erwerbschancen für Frauen verbessert und Anreize gesetzt werden, damit Menschen später in Pension gehen. Langfristig müssten attraktive Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, „dass Menschen aus dem Ausland nach Österreich kommen und hier arbeiten möchten“.

Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch und Arbeitsminister Martin Kocher
APA/Roland Schlager
Rauch (l.) und Kocher: Keine Einigkeit bei Sozialleistungen

Auch der grüne Sozialsprecher Markus Koza betonte in einer Aussendung, dass die ÖVP-Grünen-Koalition die Armut halbieren wolle, nicht die Sozialleistungen. Kochers Vorstoß sei „nicht nur unangebracht, sondern widerspricht auch der bisherigen Regierungslinie“, so Koza. Frauensprecherin Meri Disoski warnte, eine solche Kürzung würde vor allem Frauen und arme Familien treffen.

Ablehnung bei SPÖ, FPÖ

Scharfe Kritik kam auch von den anderen Parlamentsparteien. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch reagierte heute Vormittag auf die Kocher-Aussage „in aller Schärfe“: „Gegen den Arbeitskräftemangel fällt der Regierung nichts ein, außer die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer per Gesetz zu verschlechtern. Dabei müsste es doch genau umgekehrt sein“, polterte er. Insgesamt sei Kochers Vorstoß ein unsozialer Angriff auf die Familien und das Unsinnigste, was er gehört habe, „seit die FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein behauptet hatte, man könne von 150 Euro im Monat gut leben“.

Für die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch zeigte die Aussage von Kocher, „wie dieser familienfeindliche und neoliberale ÖVP-Minister wirklich tickt“. „Denn lapidar zu sagen, dass junge Mütter informiert werden sollten, dass sie bei längerer Erziehungszeit einen massiven Verlust bei ihrer zukünftigen Pension in Kauf nehmen müssen, zeugt schon von sozialer Armut“, so Belakowitsch.

NEOS: Richtiges Ziel, falscher Weg

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker wiederum meinte: „Der Minister hat das Problem erkannt – aber die Lösung ist falsch, weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Die Teilzeitfalle wird nicht bekämpft, indem man Bedürftigen die Sozialleistungen streicht.“

Die Direktorin des von der Industriellenvereinigung unterstützten Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, Monika Köppl-Turyna, unterstützte am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal den Vorstoß Kochers.

Teilzeitarbeit führe dazu, dass die Finanzierung des Sozial- und Pensionssystems schwieriger werde und sich der Arbeitskräftemangel verschärfe. Es gebe seit Jahren ein konstantes Arbeitsvolumen – „aber auf mehr Köpfe verteilt“. Das führe auch angesichts der demografischen Entwicklungen zu einem stärkeren Arbeitskräftemangel.

WIFO vorerst skeptisch

Vorerst skeptisch zeigte sich das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO): Es bestehe zwar ein großes Potenzial darin, Teilzeitbeschäftigte auf Vollzeit umzustellen, denn der Wunsch bei den Beschäftigten sei da, aber: Es müssten auch die Betriebe diese Bereitschaft nutzen – und die Vorschläge von Kocher zu einer Einschränkung der Sozialleistungen seien zu unkonkret, um hier einen Beitrag zu mehr Vollzeitarbeit zu erkennen.

Zum einen gebe es die Universalleistungen wie die Familienbeihilfe und die Krankenversicherung. Beides seien „horizontale Leistungen“, bei denen Kinderlose für Familien mit Kindern einzahlen bzw. Gesunde für Kranke. Das sei unabhängig vom Erwerbsstatus, so WIFO-Expertin Christine Mayrhuber zur APA. Ebenfalls kein Ansatzpunkt zur Steigerung seien einkommensabhängige Abgaben wie für die Arbeitslosenversicherung und die Pensionen. Denn je weniger der Bürger verdiene, desto weniger zahle er ohnehin dafür ein.

Für GPA frauenfeindlich

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, sah vor allem Frauen betroffen. „Minister Kocher soll seine frauenfeindlichen Vorschläge zur Bestrafung von Teilzeitarbeit sofort zurückziehen.“ Wenig Verständnis zeigte auch die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK), Renate Anderl: Acht von zehn Teilzeitbeschäftigten seien Frauen, es stelle sich deshalb die Frage, von welchen Sozialleistungen Kocher hier genau spreche. „Will der Minister die Höhe der Familienbeihilfe vom Arbeitszeitausmaß der Eltern abhängig machen oder was ist hier geplant? Diese Leistungen gebühren ja unabhängig vom Einkommen“, betonte sie.

Teilzeit: Kocher für weniger Sozialleistungen

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher will, dass mehr Menschen Vollzeit arbeiten. Neben Anreizen schlägt er dafür nun auch Einschränkungen bei den Sozialleistungen für jene, die freiwillig weniger arbeiten, vor. SPÖ, FPÖ und Gewerkschaft reagierten empört, für NEOS ist es die falsche Lösung. Eine Absage kam auch vom grünen Koalitionspartner.

„Teilzeitarbeitenden Eltern Sozial- und Familienleistungen zu kürzen ist zynisch und orientiert sich ausschließlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft“, kritisierte auch der Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreich (KFÖ), Alfred Trendl. 43 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten lebten mit Kindern unter 14 Jahren im Haushalt. „Genau diesen Eltern Sozialleistungen zu kürzen wäre zutiefst ungerecht“, betonte er in einer Aussendung.

Wirtschaft begrüßt Überlegungen

Der Handelsverband rechnete vor, dass im Einzelhandel 14.133 weitere Stellen besetzt werden könnten. Weiters meinte die Interessenvereinigung in einer Aussendung: „Die in Teilzeit arbeitenden Menschen tragen naturgemäß viel weniger zum heimischen Sozialsystem bei, haben jedoch gleichzeitig vollen Anspruch auf die verschiedenen Sozial- und Familienleistungen.“ Der Verband verwies auf einen Vergleich des wirtschaftsnahen Instituts Agenda Austria. Diesem zufolge sei es abgesehen von Belgien und Spanien in keinem anderen europäischen Land finanziell unattraktiver, seine Arbeitszeit auszuweiten, als in Österreich.

Auch der Wirtschaftsbund unterstützte Kocher, dieser habe den Nagel auf den Kopf getroffen. „Wenn wir langfristig Menschen in Vollerwerb bringen wollen, muss der Staat bei Sozialleistungen für Teilzeitarbeitskräfte unterscheiden“, so der Wirtschaftsbund. Aber selbstverständlich solle eine alleinerziehende Mutter, die aufgrund ihrer Betreuungspflichten nur in Teilzeit arbeiten könne, unterstützt werden.

Kocher verweist auf Folgen bei Pension

Kocher warnte in dem „Kurier“-Interview auch davor, die langfristigen Folgen von Teilzeitjobs zu negieren. „Wer mit 68 Jahren in Pension geht, der erhält deutlich mehr Pension im Monat als bei Pensionsantritt mit 62 Jahren. Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten“, gibt der Arbeitsminister zu bedenken.

Die Unternehmen würden bereits auf die demografischen Veränderungen reagieren und Mitarbeiter bitten, länger im Berufsleben zu bleiben. „Es wird aber auch bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden müssen, weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind“, so der Appell des Ministers.