Glasfaserkabeln
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Israel

Cyberteam manipuliert weltweit Wahlen

Fake-News-Aktionen, Hackingangriffe und Schmutzkampagnen für Geld: Verdeckte Recherchen führten nun zu einer israelischen Firma, die gegen Bezahlung Wahlen und Abstimmungen in aller Welt manipuliert haben soll. Der Tarnname der geheim operierenden Firma lautet „Team Jorge“, ihr Chef ist ein Ex-Militär.

Wie die internationalen Recherchen ergaben, rekrutiert sich „Team Jorge“ laut Eigenwerbung aus ehemaligen Agenten, Soldaten und Ex-Mitgliedern von Spezialeinheiten. Eigenen Angaben zufolge hieß es, die Firma biete „Spezialoperationen“ an, man sei seit 1999 im Geschäft. Die Recherchen ergaben mehrere Verbindungen zu Geheimdiensten.

Außergewöhnlich ist im Fall des „Teams Jorge“, dass die Truppe alle erdenklichen Formen von Desinformation und Meinungsbeeinflussung im Netz anbietet. Dazu gehören neben Fake-News-Kampagnen auch Hackingangriffe, Finanzrecherchen über Gegner, gezielte Schmutzkampagnen und das Verbreiten gestohlener Informationen. Die Kunden kommen aus Wirtschaft und Politik und sind offenbar bereit, viel Geld für diese Dienste auszugeben.

In 33 Wahlkämpfe eingemischt

„Team Jorge“ habe sich bisher in 33 nationale Wahlkämpfe und Abstimmungen eingemischt, unter anderem in Kenia und Nigeria, hieß es. 27 der Einsätze seien erfolgreich gewesen, hört man Firmenchef Tal Hanan in einer Aufnahme sagen. Die Recherche, die über ein halbes Jahr dauerte, basiert auf sechs Stunden heimlich aufgenommener Gespräche, in denen der Ex-Militär und sein Team ihr Service vorstellen.

Für „Team Jorge“ gibt es nach eigener Darstellung nur drei Regeln: Sie lehnen Aktionen in Israel ab, wollen sich ebenso wenig in US-Regierungspolitik einmischen und nichts gegen Wladimir Putins Russland unternehmen. „Le Monde“ berichtet über einen bekannten Moderator des TV-Senders BFM, der mehrfach fragwürdige Beiträge ins Programm gebracht habe, beispielsweise einen Bericht über russische Oligarchen und über Katar.

„Es besteht kein Zweifel, dass BFM zum Opfer geworden ist“, sagte BFM-Chef Marc-Olivier Fogiel am Mittwoch dem Sender France Info. Der Moderator Rachid M’Barki hatte kürzlich in einem Interview mit „Politico“ eingeräumt, dass er nicht den üblichen Redaktionsweg eingehalten habe. „Ich schließe nicht aus, dass ich mich habe übers Ohr hauen lassen“, sagte er.

30.000 Bots im Einsatz

Für seine Manipulationen habe das „Team Jorge“ in sozialen Netzwerken eine eigene Plattform namens Aims entwickelt, mit der man verifizierte Nutzerkonten schaffen könne. Teilweise wohl seit Jahren werden die falschen Accounts für Desinformationsfeldzüge genutzt, ohne dass die Tech-Konzerne etwas dagegen unternahmen. „Team Jorge“ sprach in dem Zusammenhang von einem „Informationskrieg“.

Die Firma hat ihren Sitz den Reportern zufolge in Modiin, einer israelischen Kleinstadt nahe dem Flughafen von Tel Aviv. Auch in Ländern wie Griechenland, Bosnien, Indonesien und der Ukraine sei man zeitweise präsent, so Hanan in den Verkaufsgesprächen mit den als Interessenten getarnten Reportern. Auf Anfrage wies er später jegliches Fehlverhalten zurück.

Das Team kontrolliere eine „Armee“ von mehr als 30.000 Bots, berichtete der britische „Guardian“. Dabei handle es sich um glaubwürdig anmutende Fake-Profile in Social Media, hinter denen keine echten Menschen stehen. Diese seien extrem raffiniert gestaltet und gleichzeitig auf verschiedenen Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube vertreten.

Der Preis: Rund halbe Mio. Dollar pro Monat

Das Team ist nach eigenen Angaben auch in der Lage, beispielsweise in private GMail-Konten und Telegram-Accounts einzudringen und dort Nachrichten und Bilder abzugreifen. Dafür nutze die Truppe unter anderem Schwachstellen im globalen Telefonnetz aus. Mit Hilfe von Schmutzkampagnen und gestohlenen Informationen werde so die öffentliche Meinung gezielt beeinflusst. Für seine Dienstleistungen fordere Hanan zwischen 400.000 und 600.000 Dollar im Monat.

Erstmals enthüllt wurden die Aktivitäten des „Teams Jorge“ von der gemeinnützigen Investigativredaktion „Forbidden Stories“. An den Recherchen des Projekts „Storykillers“ waren neben „Standard“, „Spiegel“, „Zeit“ und ZDF unter anderem der „Guardian“, die „Washington Post“, „Le Monde“, Radio France sowie die israelischen Publikationen „The Marker“ und „Haaretz“ beteiligt. Ihnen war es gelungen, sich als vermeintliche Interessenten der Dienste von „Team Jorge“ auszugeben. Nicht alle Behauptungen ließen sich aber unabhängig überprüfen.

Kontakte zu Skandalfirma Cambridge Analytica

Gleichwohl konnte der „Spiegel“ zusammen mit „Forbidden Stories“ nachvollziehen, dass die Hacker beispielsweise wohl das private Telegram-Konto eines hochrangigen Wahlkampfmanagers in Kenia infiltriert hatten. Dort lasen sie augenscheinlich alle Nachrichten in Echtzeit und verschickten sogar unbemerkt im Namen des Opfers Botschaften an andere Nutzer.

An den „Guardian“ geleakte Dokumente zeigen, dass das Unternehmen über mehrere Jahre auch mit der Skandalfirma Cambridge Analytica im Austausch stand. In Nigeria waren beide Firmen offenbar im Präsidentschaftswahlkampf 2015 aktiv. Im Jahr darauf signalisierte Hanan dem damaligen Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix seine Bereitschaft, ihn im Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump zu unterstützen. Nix lehnte ab.

2017 versuchte das „Team Jorge“ bei Wahlen in Kenia mit Cambridge Analytica ins Geschäft zu kommen. Auch daraus sei nichts geworden, die von Hanan verlangte Gage sei Nix zu viel gewesen. Auf Anfrage wollte sich Nix nicht äußern. Cambridge Analytica geriet schließlich wegen seiner Rolle als digitaler Wahlkampfhelfer Trumps weltweit in die Schlagzeilen. Ihr Missbrauch von Abermillionen Facebook-Kundendaten stürzte das soziale Netzwerk in eine nachhaltige Krise. Cambridge Analytica musste Insolvenz anmelden und wurde aufgelöst.

Wachsender Markt

Die Aktivitäten von „Team Jorge“ sind Teil eines weltweit wachsenden Marktes von Desinformationsdienstleistern. Weltweit bekannt wurden in den vergangenen Jahren Firmen wie Black Cube, das ebenfalls wie ein privater Nachrichtendienst agiert, sowie die Gruppe Dark Matter, die im Auftrag der Vereinigten Arabischen Emirate unter anderem Menschenrechtsaktivisten und Journalisten ausspioniert haben soll – was das Unternehmen bestreitet.