SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner
APA/Florian Wieser
Sozialleistungen bei Teilzeit

Opposition nimmt Regierung in die Zange

Die Opposition hat am Mittwoch einen Frontalangriff auf die Regierung gestartet. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zog generell eine vernichtende Bilanz der Pandemie- und Teuerungspolitik der Koalition. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch stießen sich vor allem am Vorschlag von ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher zu Sozialleistungskürzungen bei Teilzeitarbeit.

Ungeachtet von Kochers Zurückrudern am Rande des Ministerrats ließ Rendi-Wagner ihrer Empörung über diese „absurden, verrückten Ideen“ freien Lauf. „Diese Regierung sollte aufwachen und sollte endlich aufhören, die Menschen in Österreich weiter zu sekkieren“, sagte sie. Kocher wolle 1,4 Millionen Teilzeitarbeitenden Geld wegnehmen, das für hohe, aber unwirksame Ausgaben zum Teuerungsausgleich ausgegeben worden sei.

SPÖ-Frauensprecherin Eva-Maria Holzleitner ergänzte, dass der ÖVP-Vorstoß vor allem Frauen treffen würde, die es sich nicht aussuchen könnten, ob sie Teilzeit oder Vollzeit arbeiten. Die Vollzeitarbeit zu forcieren scheitere unter anderem an fehlenden Kinderbildungsplätzen. Auch Rendi-Wagner meinte, die Frauen könnten nicht durch Bestrafung aus der Teilzeitfalle geholt werden, sondern nur über den Weg der Rahmenbedingungen.

Frau arbeitet auf Computer in Büro
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Sollen mehr Menschen Vollzeit arbeiten? Diese Frage spaltet derzeit die Politik.

Kocher: „Mütter mit Betreuungspflichten tabu“

Indes relativierte Kocher seinen Vorstoß. Mütter mit Betreuungspflichten seien natürlich tabu, sagte er am Mittwoch vor dem Ministerrat. Ihm gehe es dabei vor allem um junge Menschen ohne Betreuungspflichten oder gesundheitliche Einschränkungen. Nach dem Vorschlag hagelte es Kritik am Minister nicht nur aus der Opposition. Auch für Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) stehen Kürzungen bestehender Sozialleistungen nicht zur Diskussion.

Das wirtschaftsliberale Forschungsinstitut Eco Austria und AMS-Chef Johannes Kopf begrüßten hingegen die Debatte – Ziel müsse eine Erhöhung der Frauenerwerbsbeteiligung und gleichmäßigere Arbeitszeitverteilung sein. Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria, sagte im Ö1-Morgenjournal ebenfalls, es gebe durchaus Stellschrauben, an denen gedreht werden könnte – wenn gleichzeitig auch die Kinderbetreuung ausgebaut wird.

„Asoziale Aussagen“

Die FPÖ sprach dagegen von „asozialen Aussagen“ und einer „Kühlschrankpolitik“ Kochers, der wohl nur durch seinen grünen Koalitionspartner zum Einlenken gebracht worden sein dürfte. „Das ändert aber an der Sachlage rein gar nichts“, so Belakowitsch in einer Aussendung.

Diese Regierung schade der Republik mehr als jegliche Krise, „deshalb benötigen wir Neuwahlen und entsprechende Untersuchungsausschüsse, um diese Herr- und Frauschaften zur Verantwortung zu ziehen“.

Kocher rudert zurück

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher hat seinen Vorschlag, Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit zu kürzen, relativiert. Mütter mit Betreuungspflichten seien natürlich tabu, sagte er am Mittwoch vor dem Ministerrat.

NEOS fordert Ausbau der Kinderbetreuung

NEOS-Chefin Meinl-Reisinger lehnte Kürzungen von Sozialleistungen bei Teilzeit ebenfalls ab und verlangte Anreize zur Vollzeitarbeit. Die Überlegungen Kochers wertete sie als dreist angesichts einer ÖVP-Politik, die Frauen jahrelang von Vollzeitjobs ferngehalten habe.

Sie plädierte für einen starken Ausbau der Kinderbetreuung – sowohl flächendeckend als auch nachmittags. Zudem sollten steuerliche Vorteile für Teilzeitarbeit durchforstet und durch Anreize für Vollzeit ersetzt werden. Teilzeit zu bestrafen sei dagegen der völlig falsche Ansatz.

Regierungsmaßnahmen „nicht erfolgreich“

Heftige Kritik äußerte Meinl-Reisinger auch an der Regierung, was die Coronavirus- und Antiteuerungspolitik betreffe. So habe Österreich die zweithöchsten Ausgaben, was Hilfen während der Pandemie und Inflationswelle angeht. Doch seien diese Maßnahmen nicht erfolgreich gewesen. Der Einbruch der Wirtschaft sei enorm gewesen.

Zudem sei man bei der Kerninflation deutlich über dem Schnitt der Euro-Zone, meinte Meinl-Reisinger in Übereinstimmung mit der SPÖ „Das ist das Ergebnis der Gießkannenpolitik.“ Die Bundesregierung befeuere die Teuerung und sei „der größte Inflationstreiber im eigenen Land“.

Schließlich kritisierte Meinl-Reisinger, dass auch die Abhängigkeit von russischem Gas im Gegensatz zu den Beteuerungen der Regierung geblieben sei. 72 Prozent der österreichischen Gasimporte kämen aus Russland: „Damit sind wir weiter erpressbar, und mit Kosten von plus einer Milliarde pro Monat wird der Krieg Putins finanziert.“

Vizekanzler Werner Kogler, Bundeskanzler Karl Nehammer und Martin Kocher
APA/Florian Wieser
Arbeitsminister Kocher ruderte in der Teilzeitdebatte zurück

Regierung will „Hand ausstrecken“

Unterdessen kündigte die Regierung einen „Dialogprozess“ an, der um Ostern starten soll. Die Pandemie und ihre Folgen hätten „tiefe Gräben in unserer Gesellschaft hinterlassen und die Menschen in Österreich schwer belastet“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Und weiter: „Wir wollen die Hand ausstrecken auch zu all jenen, die sich durch die Pandemie und ihre Folgen nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen gefühlt haben.“ Gemeinsam mit Fachleuten werde man die Vorgehensweise während der Pandemie analysieren, diskutieren und gegebenenfalls auch Fehler eingestehen.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) meldete sich schriftlich zu Wort: Die Pandemie und ihre Folgen hätten die Menschen schwer belastet, die hohe Inflation habe das noch verstärkt. „Viele Menschen fühlen sich abgehängt, vom Staat nicht mehr vertreten“, bekannte der Minister. Das alles gehe in Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, an die Substanz der Demokratie. Rauch: „Drei Jahre nach Beginn der Pandemie wird es Zeit für ein neues Miteinander.“

Kickl: Verhöhnungsprozess

Die SPÖ begrüßt die angestrebte Aufarbeitung der Coronavirus-Politik grundsätzlich. Das müsse aber „ernsthaft, seriös und objektiv geschehen“, so Gesundheitssprecher Philip Kucher in einer Aussendung. Als positive Beispiele nannte er etwa die Zerbes-Kommission nach dem Terroranschlag in Wien bzw. die Griss-Kommission zur Aufarbeitung der Causa Hypo mit objektiven Expertinnen und Experten.

Nicht unbedingt versöhnlich zeigte sich FPÖ-Chef Herbert Kickl: Er nannte das Vorhaben einen „Verhöhnungsprozess“. „Diese Art der inszenierten Weißwaschung funktioniert nur in der Welt der ÖVP, sonst aber nirgendwo“, meinte er in einer Aussendung. Er forderte stattdessen „ein öffentliches Schuldeingeständnis der Bundesregierung, ihrer rot-pinken Steigbügelhalter und des Bundespräsidenten“, den Rücktritt der Regierung und sofortige Neuwahlen.