Frauen und Männer protestieren gemeinsam auf den Straßen von Teheran (Oktober 2022)
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Iran

Regime fürchtet neue Protestwelle

Im Iran gibt es wieder vermehrt Proteste. Nach einem Abflauen ist es nun zu Demonstrationen in mehreren Städten gekommen. Aktivisten und Aktivistinnen hatten nach der traditionellen Trauer von 40 Tagen um zwei hingerichtete Demonstranten zu neuen Demonstrationen aufgerufen. Die Protestwelle könnte wieder anschwellen – und weiter Druck für einen Kurswechsel erzeugen, etwas, das das Regime fürchtet.

Das Regime will den Forderungen der Demonstranten und Demonstrantinnen nach einem politischen Wechsel und Aufbruch nicht nachgeben. Doch die Regierung steht zunehmend – auch wirtschaftlich – unter Druck. Ob und wie stark das iranische Regime und seine religiöse und militärische Führungsschicht von den Kundgebungen angeschlagen sind, ist allerdings unklar. Bisher gelang es immer, die Proteste niederzuschlagen – mit großer Brutalität.

Einer neuen Protestwelle könnte es daher so wie den Protesten davor ergehen. Die internationale Kritik am Vorgehen des iranischen Staates ist und war groß und könnte mit einem Wiederanschwellen der Proteste ebenfalls wieder wachsen. Wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen die Demonstranten und Demonstrantinnen wurden gegen das Regime weitere Sanktionen verhängt, die zu einer internationalen Isolierung des Landes geführt haben.

Menschen protestieren auf den Straßen von Teheran (September 2022)
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Größere Proteste und Kundgebungen wie hier im September 2022 in Teheran will das Regime nicht mehr sehen

Wirtschaftliche Lage könnte Proteste weiter anfachen

Sanktionen gelten daher als größtes Druckmittel des Westens und treffen offenbar auch. Die Raisi-Regierung steckt wirtschaftlich in der schlimmsten Krise der iranischen Geschichte. Die nationale Währung Rial hat stark an Wert verloren, eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Auch das könnte die Unruhen weiter schüren. Die Proteste stürzten die politische Führung bereits in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Und sie ist noch nicht beendet, auch wenn die Führungsschicht das nach dem Abflauen der Proteste erhoffte.

Erneute Proteste gegen Regime

Im Iran haben erneut zahlreiche Menschen gegen die politische und geistliche Führung demonstriert. Handyvideos der Demonstrierenden zeigen Protestmärsche in mehreren iranischen Städten. Proteste gab es laut Berichten von Augenzeugen unter anderem in der Hauptstadt Teheran, der Millionenstadt Maschhad im Nordosten sowie den Kurdengebieten.

Demonstrationen in mehreren Städten

Jetzt gab die Protestbewegung wieder ein größeres Lebenszeichen von sich. Am Freitag veröffentlichte Onlinevideos zeigten offenbar Proteste in mehreren Teilen der Hauptstadt Teheran sowie in den Städten Karadsch, Isfahan, Kaswin, Rascht, Arak, Maschhad, Sanandadsch, Korweh und Iseh. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte die Videos nicht verifizieren.

Auch Aktionen des zivilen Ungehorsams wurden fortgesetzt: In der Nacht waren in zahlreichen Städten Sprechchöre und Gesänge gegen die radikalislamische Führung zu hören, Jugendliche sprühten regierungskritische Graffiti an Wände, und Frauen zeigten sich trotz Drohungen der Behörden öffentlich ohne Kopftuch.

Zahlreiche Menschen hatten am Donnerstag gegen die politische und geistliche Führung des Landes mobilisiert. Proteste gab es nach Berichten von Augenzeugen am Donnerstagabend unter anderem in Teheran, der Millionenstadt Maschhad im Nordosten und in den Kurdengebieten. Augenzeugen berichteten über heftige Proteste in den kurdischen Städten Sanandadsch und Korweh, wo Demonstranten Barrikaden errichteten und Mülltonnen in Brand steckten.

Menschen protestieren auf den Straßen von Teheran (Oktober 2022)
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Menschen protestieren im Oktober auf den Straßen von Teheran – so groß sind die derzeitigen Proteste offenbar nicht mehr

Sicherheitskräfte reagierten am Donnerstag laut den Berichten mit Warnschüssen. Mehrere Jugendliche sollen in Polizeiautos gezerrt worden sein. In anderen Landesteilen zogen wieder viele Frauen durch die Straßen. Auch in Teheran waren Rufe wie „Tod dem Diktator“ und „Frau, Leben, Freiheit“ zu hören. Die Proteste beschränkten sich jedoch auf einzelne Viertel der Hauptstadt. Im Zentrum blieb die Lage ruhig.

Präsident erklärte Proteste bereits für beendet

In den vergangenen Wochen hatten die Demonstrationen nach der Hinrichtung von vier Demonstranten zunächst abgenommen. Raisi hatte die Proteste vor einer Woche zum 44. Jahrestag der Revolution am 11. Februar für beendet erklärt und das Leben im Iran aus seiner Sicht beschrieben. Erneut hielt Raisi dem Ausland – namentlich den USA – vor, die Proteste gesteuert und finanziert zu haben, um den Fortschritt im Iran zu stoppen.

der iranische Präsident Ibrahim Raisi
APA/AFP/Iranian Presidency
Der iranische Präsident Raisi bei seiner Rede zum 44. Jahrestag der Iranischen Revolution

Auch die ausländischen Darstellungen zur Rolle der Frauen im Iran sind laut Raisi schlicht falsch. Frauen seien frei und in allen Spitzenpositionen vertreten, nur würden sie anders als im Westen „nicht als Objekte vermarktet“. Außerdem stehe im Iran die Familie im Vordergrund und nicht Themen wie Homosexualität. „Dies (Homosexualität) macht den Status der Familie zunichte und löscht letztlich die menschliche Generation aus“, sagte der Kleriker.

Stiller Ungehorsam durch Kopftuchverweigerung

Die Realität im Iran sieht allerdings anders aus. In den Städten schaffen laut Berichten offenbar Frauen einfach Fakten und tragen inzwischen kein Kopftuch mehr – trotz bestehender Vorschriften und womöglich drohender Strafen. Darüber hinaus gibt es vermehrt Forderungen nach einer Verfassungsänderung und einem Referendum, das den neuen politischen Kurs des Landes bestimmen soll.

iranische Frauen ohne Kopftücher in einer Einkaufsstraße in Teheran
AP/Vahid Salemi
Iranische Frauen Mitte November ohne Kopftücher in einer Einkaufsstraße in Teheran

Die Proteste hatten Mitte September nach dem Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini begonnen. Die 22-Jährige starb in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die Kopftuchpflicht von der Religionspolizei festgenommen worden war. Nach Einschätzung von Menschenrechtlern sind seit Beginn der Proteste im September 2022 mehr als 500 Menschen getötet und fast 20.000 festgenommen worden.

Schauspielerin: „Die Luft zum Atmen“ fehlt

Die iranische Schauspielerin Golschifteh Farahani machte unterdessen auf der Berlinale auf die schwierige Situation in ihrem Land aufmerksam. „Iran, das ist eine Diktatur, das ist nicht nur etwas Philosophisches oder Theoretisches. Den Menschen fehlt der Sauerstoff, die Luft zum Atmen im Iran“, sagte Farahani („Alles über Elly“) am Donnerstag auf der Eröffnungspressekonferenz in Berlin. „Die Existenz ist bedroht, vor allem, wenn man als Künstler im Iran lebt.“

Farahani, die in Frankreich lebt, ist Teil der siebenköpfigen Berlinale-Jury, die am Ende des Festivals über die Vergabe des Goldenen und der Silbernen Bären entscheidet.