Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin
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Machtkampf

Wagner-Chef legt sich mit Minister an

Im Verlauf von einem Jahr Krieg in der Ukraine hat sich die berüchtigte Söldnergruppe Wagner als brutale und schlagkräftige Hilfstruppe des Kreml hervorgetan. Doch wiederholt werden Gräben sichtbar zwischen Wagner und der russischen Armee. Söldnerchef Jewgeni Prigoschin beklagte am Dienstag erneut eine Gegnerschaft in Moskau. Verteidigungsminister Sergej Schoigu versuche „Wagner zu zerstören“.

In einer Sprachnachricht auf Telegram beschwerte sich Prigoschin über Schoigu: Er und der Generalstabschef entzögen seinen Wagner-Kämpfern die Munition, das komme einem Verrat gleich. „Es gibt einfach eine direkte Opposition“, es habe den Versuch gegeben, „Wagner zu zerstören.“

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Prigoschin öffentlich negativ über das Verteidigungsministerium äußert. So hatte er etwa militärische Rückschläge der russischen Armee kritisiert und sich auch darüber beschwert, dass die Verdienste seiner Söldner nicht ausreichend gewürdigt würden.

Am Mittwoch legte Prigoschin nach. Er rief die Russen und Russinnen auf, ihn in seinen Forderungen nach Munition zu unterstützen und Druck auf die Armee auszuüben. „Wenn jeder Russe (…) einfach nur sagen würde: ‚Gebt Wagner Munition‘, (…) dann wäre das schon sehr bedeutend“, hieß es in einer von seinem Pressedienst verbreiteten Tonaufnahme.

Kreml muss Debatte einfangen

Solch unerwartete Kritik in der Öffentlichkeit rief auch schon den Kreml auf den Plan, der coram publico versichern musste, es gebe keine Auseinandersetzung zwischen Wagner und der Armee. Ein solcher Konflikt sei vom Ausland erfunden und „existiert nur im Nachrichtenraum“, sagte etwa Kreml-Sprecher Dmitri Peskow im Jänner.

Russischer Verteidigungsminister Sergei Shoigu
Reuters/Russian Defence Ministry
Sergej Schoigu

Damals ging es um Unstimmigkeiten bei der Einnahme der ostukrainischen Stadt Soledar. Prigoschin hatte mehrmals behauptet, in der Stadt kämpften ausschließlich seine Einheiten – und nicht auch die Soldaten der russischen Armee. Später meldete er die Einnahme Soledars, doch das russische Verteidigungsministerium widersprach zunächst und meldete zwei Tage später selbst die Einnahme.

Prigoschin veröffentlichte im Anschluss eine Botschaft, in der er diejenigen attackierte, „die ständig versuchen, unsere Siege zu stehlen“. Nur Stunden später reagierte das Ministerium mit einer „klärenden Stellungnahme“, in der es anerkannte, dass Wagner-Kämpfer mit ihren „mutigen Taten“ Soledar erobert hätten. Prompt verlieh Prigoschin seinen Kämpfern Medaillen zum Gedenken an die „Eroberung von Soledar“.

Ambivalente Beziehungen

Die Episode war ein Beispiel dafür, dass der Kreml inzwischen eine ambivalente Beziehung zu Wagner haben dürfte. Im Ukraine-Krieg sind die Söldner für Russland von großem Wert – die private Organisation kämpft mit Mitteln, die außerhalb des Kriegsrechts stehen. Die Söldner gelten als verroht und extrem brutal, gegen andere und auch gegen die eigenen Mitglieder.

Die Gruppe wurde 2014 von Oberstleutnant Dmitri Utkin, einem Hitler-Bewunderer mit früherer Karriere im russischen Militärgeheimdienst GRU, gegründet. Als direkter Verbindungsmann in den Kreml gilt aber der 62-jährige Prigoschin, der das letzte Jahrzehnt der Sowjetunion wegen Raubes und Betrugs im Gefängnis saß. Er habe Präsident Wladimir Putin, der einst in der Stadtverwaltung von St. Petersburg arbeitete, oft in seinem Restaurant bewirtet – weshalb er den Beinamen „Putins Koch“ trägt.

Doch Wagner ist längst nicht nur in der Ukraine tätig: Die Söldner waren oder sind in mehreren Ländern, die für Russland von strategischem und wirtschaftlichem Interesse sind, aktiv. In praktisch jedem Land, in dem Wagner kämpfte, wurden den Söldnern schwere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

„Tote verschwinden lassen“

Über Jahre hatte der Kreml die Existenz von Wagner erst bestritten, dann behauptet, der russische Staat habe mit der Gruppe gar nichts zu tun – was von zahlreichen Recherchen widerlegt wurde. Wagner sei vielerorts exklusiv im Dienst des Kreml unterwegs, schreiben etwa die Filmemacherinnen Ksenia Bolchakova und Alexandra Jousset gemeinsam mit dem ehemaligen Wagner-Söldner Marat Gabidullin: „Durch die Entsendung von Söldnern spart der Staat bei den Pensionsansprüchen und Gehältern, die er den Soldaten der regulären Armee zahlen muss. Und es ermöglicht auch, Tote verschwinden zu lassen“.

Prigoschin tritt inzwischen offensiv als Chef der Organisation in Erscheinung, und das, wo er erst im September erstmals öffentlich einräumte, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben. Kürzlich gab er bekannt, die berüchtigte Trollfabrik Internet Research Agency in St. Petersburg „erschaffen und lange geleitet“ zu haben. Aufgabe der Agentur sei es gewesen, Russland vor der „aggressiven Propaganda der antirussischen Thesen des Westens“ zu schützen.

Aufgabe entzogen

Wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hat, ist nicht klar. Die Politiker wollten Prigoschin nicht in die Politik lassen, sagte Sergej Markow, ein früherer Berater der Regierung, gegenüber Reuters. „Sie haben ein bisschen Angst vor ihm und halten ihn für unbequem.“ Zuletzt scheint der Kreml Prigoschins Äußerungen und seine Präsenz in der Öffentlichkeit verstärkt zu beobachten.

Er wurde Insidern zufolge angewiesen, seine öffentliche Kritik am Verteidigungsministerium einzustellen, und die staatlichen Medien wurden aufgefordert, die Wagner-Truppe und Prigoschin nicht mehr namentlich zu nennen. Prigoschin bestätigte auch, dass er seine Söldner nicht länger eigenständig in Straflagern rekrutieren dürfe. Zuvor waren nach US-Schätzungen rund 40.000 Männer rekrutiert worden, die teils wegen Schwerverbrechen verurteilt waren. Anfang Jänner wurden die ersten nach ihrem sechsmonatigen Einsatz auf freien Fuß gesetzt.

Manche fürchteten auch mögliche politische Ambitionen Prigoschins. Sie mutmaßen gar, er könnte selbst Verteidigungsminister werden wollen. Dass Putin wirklich seinen langjährigen Minister Schoigu einmal verstößt, scheint derzeit aber unwahrscheinlich, zumal Mitte Jänner mit Generalstabschef Waleri Gerassimow ein enger Vertrauter Schoigus Oberbefehlshaber des Ukraine-Einsatzes wurde.

Prigoschin, der reiche Unternehmer

Ob Prigoschin für sich neue Rollen vorsieht oder nicht, finanziell hat er sich längst abgesichert. Er und seine Gruppe haben etliche Einnahmequellen: Prigoschin besitzt Medien sowie ein riesiges Cateringunternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt. Er könnte auch Zugriff auf lukrative Ressourcen in der Ukraine bekommen, so sie unter russische Kontrolle fallen, etwa den Salzbergbau in Soledar. Wagner unterhält zudem Militär- und Bergbauverträge in Afrika.

Wie die „Financial Times“ am Dienstag berichtete, erwirtschaftete Prigoschin in den vier Jahren vor Moskaus Invasion in der Ukraine Einnahmen von mehr als einer Viertelmilliarde Dollar aus seinem globalen Rohstoffimperium. Auch die jahrelangen westlichen Sanktionen – die ersten wurden 2016 verhängt – gegen Prigoschin hätten nicht verhindert, dass Hunderte Millionen aus der Öl-, Gas-, Diamanten- und Goldförderung in seine Tasche flossen.

Wagner war oder ist etwa in Syrien und Mali, im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik aktiv. In solchen Ländern halfen die Söldner dabei, demokratische Bewegungen zu unterdrücken. Im Gegenzug für die Hilfe aus Russland bekommen Kreml und Wagner Zugang zu Ressourcen, etwa Goldminen im Sudan. In Mali erhielt Wagner für „Sicherheit und Ausbildung“ monatlich fast elf Millionen Dollar (zehn Mio. Euro).

„Ich spucke auf die Sanktionen“

Laut „Financial Times“ erhielt Prigoschins Unternehmen Evro Polis vom syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Energiekonzessionen als Gegenleistung für die Befreiung von Ölfeldern aus den Händen der IS-Miliz. Evro Polis habe 2020 einen Umsatz von 134 Millionen US-Dollar und einen Nettogewinn von 90 Millionen US-Dollar erzielt. Die Daten zeigten auch, wie einige von Prigoschin kontrollierte Firmen ihre Geschäftstätigkeit verlagerten, bevor der Westen sie sanktionieren konnte.

Die Strafmaßnahmen des Auslands nimmt Prigoschin nicht ernst. Diese Sanktionen seien illegal, schrieb er auf Telegram. „Ich spucke darauf und ich werde auch auf alle anderen Sanktionen spucken.“