TGV- und ICE-Züge auf dem Bahnhof Paris Est
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Fahrplanwirrwarr

„Rückschritt“ bei Bahnreise durch Europa

Wer mit dem Zug durch Europa reisen will, steht auch 2023 noch immer vor Hürden: Zwar ist durch den Ausbau der Nachtzüge eine Reise von Großstadt zu Großstadt einfacher geworden, Tickets für andere Verbindungen lassen sich dafür aber oft nicht buchen. Manche Züge werden erst gar nicht angezeigt. Die Situation sei dabei schlechter als vor zwanzig Jahren, so ein Experte. Die EU will eingreifen – doch eine brauchbare Lösung könnte in weiter Ferne sein.

„Ticket für Teilstrecke“, „Ticket nicht verfügbar“: Wer mit der Bahn etwa nach Frankreich oder Spanien reisen will, stößt schnell an die Grenzen des Buchungssystems der ÖBB, vor allem wenn man nicht per Nachtzug reisen will. Auch wer eine Reise in Länder wie Rumänien und Kroatien machen will, für den heißt es in der Ticket-App oft schon viel früher Endstation als geplant.

Selbst Ticketplattformen wie Trainline und Omio, die den Kauf derartiger Fahrkarten erleichtern wollen, geraten bei vielen Verbindungen an ihre Grenzen. Schnell führt die Suche auf Seiten wie „The Man in Seat 61“, eine private Website eines bahnbegeisterten Briten, der darauf den Ticketkauf für praktisch jede Route in Europa detailliert aufschlüsselt. Andere greifen gar zu einem Fahrplan auf Papier, um sich einen Überblick über die möglichen Strecken zu verschaffen.

Umständliche Buchung und kaum Garantien

Am Ende steht man im Idealfall mit mehreren Fahrkarten aus verschiedenen Ländern da – und muss darauf hoffen, dass die Verbindungen so wie angegeben funktionieren, denn Reklamationen sind im Normalfall nur bei durchgängigen Tickets vorgesehen. Auch ein Interrail-Pass ist eine Möglichkeit – bietet aber rechtlich ähnlich wenig Schutz, die oft nötigen Zugsreservierungen sind häufig noch komplizierter zu erwerben als entsprechende Tickets.

Menschen am Bahnsteig des Nordbahnhofs in Bukarest
IMAGO
Sobald mehrere Grenzen mit dem Zug überquert werden müssen, wird es kompliziert

Im Jahr 2023 wirkt das alles andere als zeitgemäß – Eisenbahnunternehmen und auch die EU versprechen mittlerweile seit Jahren Besserung. Erst im vergangenen Herbst übte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans Druck auf die Bahnunternehmen aus und forderte Bewegung bei einer App zum gemeinsamen Ticketkauf.

Reiseplanung als größte Hürde

Doch das scheitert schon am Grundlegenden, sagt der britische EU-Politikexperte und Mitglied der deutschen Grünen, Jon Worth, im Gespräch mit ORF.at. „Es geht nicht nur darum, Tickets zu verkaufen, sondern eine Reise zu planen.“ Erst dann könne man an Dinge wie den Kauf denken. Und ausgerechnet bei der ersten und ältesten Problematik, den Fahrplandaten, „gehen wir in Europa rückwärts“.

Vor zwanzig Jahren habe man auf den Seiten der ÖBB und auch der Deutschen Bahn (DB) Verbindungen „sogar bis in die Türkei und Syrien“ anzeigen können. Doch: Dass das jetzt nicht mehr gehe, „daran sind Deutsche Bahn und ÖBB nicht schuld“, so Worth. Denn im Hintergrund bei den Fahrplänen werkt ein System des Internationalen Eisenbahnverbandes (UIC).

Zwar seien alle Staatsbahnen Mitglied dieses Verbandes, so Worth. Doch im Gegensatz zu früher würden die Mitglieder oft keine Daten mehr in das System einpflegen. Das führt dazu, dass manche Züge in dem System einfach nicht gefunden werden können, obwohl sie existieren. Verschärft wird das dadurch, dass viele private Anbieter und regionale Verkehrsunternehmen, die ebenfalls wichtige Verbindungen bereitstellen, gar nicht erst zum UIC gehören.

Offenbar wenig Anreiz für gute Datenlage

Hinzu kommt, dass der Zugriff auf dieses Datenbanksystem, MERITS, enorm kostspielig ist – regelmäßig aktualisierte Fahrplandaten kosten laut der UIC-Seite 50.000 Euro im Jahr. Alternativen gibt es zwar, oft etwa in Form von kostenlosen Daten, die direkt von den jeweiligen Bahngesellschaften angeboten und dann etwa für den Einsatz in Google Maps verwendet werden. Doch auch diese sind oft unvollständig, wie Worth sagt.

Das liegt wohl auch daran, dass die Datenweitergabe den Bahnen recht wenig bringt, vor allem finanziell. Wird ein Ticket über eine andere Plattform als die eigene verkauft, erhält die Bahngesellschaft zwar Geld, der Vertrieb, der sich um Verkauf und Datenpflege kümmert, geht dabei aber in der Regel leer aus.

Preisvergleichsportal als kaum lukrativer Traum

Das sorgt also auch für internen Druck innerhalb der jeweiligen Unternehmen. Der Verkauf über andere Gesellschaften oder gar Vergleichsplattformen, wie es sie etwa für Flüge gibt, ist dadurch umstritten. Das Quasimonopol auf Fahrkarten sei wesentlich lukrativer – und die Züge oft ohnehin recht voll, so Worth.

Spanischer Regionalzug auf offener Strecke zwischen Sevilla und Almeria
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Die Datenlage ist schlecht, Anreiz zur Verbesserung gibt es kaum

Aus Sicht der Reisenden macht das den Zug allerdings nicht attraktiver. Während man zum Flugticket zwischen zwei beliebigen Orten weltweit innerhalb von Minuten kommt, ist die Buchung eines Zuges immer noch problematisch. Dabei ist das Interesse an Bahnreisen in den letzten Jahren enorm gestiegen, wie man nicht nur an den stark ausgebauten Nachtzügen der ÖBB sieht. Auch die DB meldete zuletzt einen Rekord beim internationalen Fernverkehr.

EU verschiebt Pläne nach hinten

Das rief auch die EU – schon vor geraumer Zeit – auf den Plan. In Brüssel will man die Reiseplanung deutlich vereinfachen, wozu eine sperrig benannte Initiative für „multimodale digitale Mobilitätsdienste“ ins Leben gerufen wurde. So will man per App die Reiseplanung über Grenzen und Verkehrsmittel – und damit auch den Zug – hinweg vereinen.

Doch selbst, nachdem der zuständige Kommissionsvize Timmermans Druck gemacht hat, ist noch relativ wenig Konkretes auf dem Tisch. Eigentlich wären, wie es gegenüber ORF.at hieß, noch für Juni entsprechende Ankündigungen vorgesehen gewesen, mittlerweile rechnet man offenbar frühestens im Herbst mit einem EU-Vorstoß.

Worth verweist hier auch auf eine stärkere Lobby hinter den Bahngesellschaften: Während die staatlichen Eisenbahnen stark in Brüssel vertreten sind, spielen Fahrgastvertretungen bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Dabei sind die Bahnen mit einem eigenen Modell vorgeprescht, das eine einheitliche Lösung bis 2025 versprochen hätte. Hier gebe es zwar in einigen Ländern Fortschritte, die Chancen, dass bis zum versprochenen Datum das versprochene einheitliche Buchungssysteme stehe, hält Worth „für null“.

Eines der „unangenehmsten Probleme aus Kundensicht“

Bei einem Interview mit dem Chef der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA), Josef Doppelbauer, verwies dieser gegenüber dem ORF darauf, dass man in Europa allgemein den Zugang habe, zuerst „die Stakeholder selber eine Lösung finden zu lassen“. Erst dann könne man über die Regulierung einheitliche Fahrkarten vorschreiben. Er bestätigte jedenfalls, dass es sich bei den grenzüberschreitenden Fahrkarten um eines der „unangenehmsten Probleme aus Kundensicht“ handle, der Fortschritt fehle aber bisher.

Damit der Boom um den Zug der vergangenen Jahre anhalten kann, werden solche Fragen entscheidend sein, nicht zuletzt, weil für Kundinnen und Kunden Reisen mit der Bahn oft teurer als mit dem Flugzeug und je nach Distanz auch mit längeren Reisezeiten verbunden sind. Zumindest die Planung könnte aber gleichziehen – und besteht in erster Linie aus Hürden, die ganz ohne neue Gleise und Züge bewältigt werden könnten.