Stücke von Boot an Ufer
AP/LaPresse/Antonino Durso
Nach Bootsunglück

Italien drängt EU zu Lösungen

Mehr als 50 Tote sind die Bilanz des Bootsunglücks vor der Küste Kalabriens am Sonntag. Ein Flüchtlingsboot war an Felsen zerschellt. Italiens Politik sieht die EU gefordert: Ein Abkommen mit den Herkunftsländern müsse her. Kommissionschefin Ursula von der Leyen ruft zu mehr Anstrengungen für den noch immer nicht vorhandenen Migrations- und Asylpakt auf.

Das überladene Fischerboot hatte laut Küstenwache circa 120 Personen aus dem Iran, Pakistan und Afghanistan an Bord. Es konnte dem rauen Meer nicht standhalten und prallte wenige Meter vor der Küste gegen Felsen. Es brach in zwei Teile. 27 Leichen wurden an den Strand gespült, die Zahl der Todesopfer belief sich insgesamt auf 59.

Es gebe 80 Überlebende, von denen 21 ins Krankenhaus gebracht worden seien, meldete die Nachrichtenagentur ANSA. Es sei „ein böses Erwachen, das die Gemeinschaft aufwecken muss, damit ähnliche Tragödien nicht passieren“, schrieb der Präsident von Italiens Rotem Kreuz, Rosario Valastro, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Ruf nach Abkommen

Das Unglück entfachte prompt die Debatte über Migration in die EU neu an. Italien drängte auf eine aktive Strategie zur Eingrenzung der Migrationsströme in Richtung Europa.

„Es ist kriminell, ein kaum 20 Meter langes Boot mit bis zu 200 Menschen an Bord bei schlechten Wettervorhersagen in See stechen zu lassen. Es ist unmenschlich, das Leben von Männern, Frauen und Kindern gegen den Preis einer Fahrkarte einzutauschen, die sie in der trügerischen Aussicht auf eine sichere Reise bezahlt haben“, kommentierte die italienische Premierministerin Giorgia Meloni. Ihre Regierung setze sich dafür ein, Migrantenabfahrten zu verhindern und die Kooperation mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu stärken. Die „Illusion einer Einwanderung ohne Regeln“ müsse bekämpft werden.

Neue Regeln für Retter

Die Regierung Meloni erließ neue Regeln für Seenotretter: So müssen sie nun nach der ersten Rettungsaktion einen Hafen ansteuern, anstatt womöglich mehrere Rettungen durchzuführen. Zudem werden ihnen oft Häfen zugewiesen, die weit vom Einsatzgebiet entfernt liegen.

„Dieser Schiffbruch muss zu Vereinbarungen mit den Herkunftsländern der Migranten führen, die die gesamte EU treffen muss“, so auch der italienische Außenminister Antonio Tajani. „Es müssen Abkommen abgeschlossen werden, um die Migration zu stoppen, und das bedeutet nicht nur die Kontrolle der Seegrenzen. Ich hoffe, dass man auf europäischer Ebene versteht, dass unsere Küste die europäische Grenze ist“, sagte Tajani im Interview mit RAI 3 am Sonntag.

Tajani verteidigte das vom italienischen Parlament verabschiedete Gesetz, mit dem die Rettungseinsätze der im Mittelmeer aktiven NGOs eingeschränkt wird. „Niemand führt einen Krieg gegen die NGOs, wir haben ihnen lediglich Regeln gegeben. Es ist gut, dass sie Menschenleben retten, sie dürfen aber keine Vereinbarungen mit den Schleppern treffen“, so Tajani, der auch Vizepremier in der Rechtsregierung in Rom ist.

EU „muss Verantwortung übernehmen“

Der Chef der rechten Regierungspartei Lega und Vizepremier Matteo Salvini machte die Schlepper für die Tragödie verantwortlich, die „immer unsicherere und schäbigere Boote ins Meer schicken und dafür Millionen von Dollar kassieren, die in Waffen und Drogen reinvestiert werden“. „Den Menschenhändlern das Handwerk zu legen ist jedermanns moralische Pflicht, vor allem um unschuldiges Leben zu retten“, sagte Salvini.

Der italienische Staatschef, Sergio Mattarella, forderte „ein starkes Engagement der internationalen Gemeinschaft, um die Ursachen der Migrationsströme zu beseitigen: Kriege, Verfolgung, Terrorismus, Armut und Klimawandel“. Die EU müsse „konkrete Verantwortung für die Steuerung des Migrationsphänomens übernehmen, um es den Menschenhändlern zu entziehen“.

„Ergebnis politischer Entscheidungen“

Die bei Rettungseinsätzen im Mittelmeer aktiven NGOs zeigten sich ebenfalls bestürzt, konterten aber, dass es politische Ursachen gebe. „Wieder eine Katastrophe im Mittelmeer: Schmerz und Bestürzung für die Opfer. Männer, Frauen und Kinder. Es ist unerträglich, dass der einzige Weg nach Europa über das Meer führt. Das Fehlen einer europäischen Such- und Rettungsmission ist ein Verbrechen, das sich jeden Tag wiederholt“, kommentierte die deutsche NGO Sea-Watch.

Italien: Tote bei Bootsunglück

Vor der Küste Kalabriens kamen Dutzende Menschen ums Leben. Italien ist wegen seiner geografischen Lage besonders häufig Ziel von Migrantinnen und Migranten, die von Nordafrika nach Europa gelangen wollen.

Die Tragödie sei „das Ergebnis politischer Entscheidungen, die legale und sichere Zugangswege nach Europa verhindern“, so die Hilfsorganisation Emergency in einer Presseaussendung. „Die Tatsachen zeigen, dass es für Italien und Europa notwendig ist, eine Such- und Rettungsaktion zu organisieren, das Zugangs-, Asyl- und Aufnahmesystem zu reformieren und legale Einreisewege für diejenigen zu öffnen, die ein besseres Leben suchen“, so die NGO.

„Es ist menschlich inakzeptabel und unverständlich, warum wir immer wieder solche vermeidbare Tragödien erleben müssen. Es ist ein Faustschlag in den Magen“, schrieb Sergio Di Dato, Projektleiter bei Ärzte ohne Grenzen, auf Twitter.

Migrationspakt in der Warteschleife

Die EU-Kommissionschefin wiederum drängte auf den Migrations- und Asylpakt – seit dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen 2015 streiten die EU-Staaten über eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik. Bisher konnten sich die Mitgliedsländer nur in wenigen Punkten wie auf die Einrichtung einer EU-Asylbehörde einigen.

Stücke von Boot an Ufer
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Das Boot dürfte an den Felsen vor der Küste zerschellt sein

Knackpunkt ist vor allem die Frage der Verteilung. Während Staaten wie Polen, Ungarn und Österreich eine verpflichtende Quote strikt ablehnen, fordern südliche Länder wie Italien und Griechenland seit Jahren mehr Unterstützung. Der derzeitige Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Mitgliedsstaaten in Ausnahmefällen wie bei hohen Ankunftszahlen zur „Solidarität“ mit den Ankunftsländern verpflichtet werden. Einige Länder, darunter auch Österreich, erteilten diesem Vorschlag bereits eine Absage.

„Ich bin zutiefst betrübt über das schreckliche Schiffsunglück vor der Küste Kalabriens. Der damit verbundene Verlust von unschuldigen Migranten ist eine Tragödie. Gemeinsam müssen wir unsere Anstrengungen für den Migrations- und Asylpakt und den Aktionsplan für das zentrale Mittelmeer verdoppeln“, schrieb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter.

Papst bestürzt

Jedes Jahr versuchen Tausende Migranten auf oft wenig seetauglichen Booten aus Nordafrika nach Italien und damit nach Europa zu gelangen. Immer wieder kommt es auch zu schweren Unglücken. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums sind in diesem Jahr bis einschließlich Donnerstag schon 13.067 Menschen auf dem Seeweg ins Land gekommen, weit mehr als doppelt so viele wie im gleichen Vorjahreszeitraum (5.273). Tausende Menschen sind in den vergangenen Jahren bei Schiffsbrüchen ums Leben gekommen.

Papst Franziskus drückte beim Angelus-Gebet seine Bestürzung wegen des Flüchtlingsunglücks aus. Er bete für die Todesopfer, für die Vermissten und die Überlebenden. Er dankte den Rettern und all jenen, die den Überlebenden Unterstützung leisten.