Deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz
Reuters/Annegret Hilse
Ukraine-Krieg

Scholz ruft Peking zu mehr Engagement auf

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in seiner Regierungserklärung am Donnerstag China im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine kritisiert und Peking dazu aufgerufen, sich gegenüber Moskau für einen Truppenabzug im Nachbarland einzusetzen. Scholz wies auch Kritik an den deutschen Waffenlieferungen zurück. Energieversorgung war in der Rede ebenfalls ein großes Thema.

In Sachen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine appellierte Scholz an China. „Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen!“, so der deutsche Kanzler. „Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!“, appellierte Scholz an Peking. Scholz lobte zwar, dass sich Chinas Präsident Xi Jinping „unmissverständlich gegen jede Drohung mit Atomwaffen oder gar deren Einsatz im Krieg Russlands gegen die Ukraine“ gestellt habe. Das habe zur Deeskalation beigetragen.

Es sei gut, dass China die klare Botschaft gegen den Einsatz von Nuklearwaffen jüngst in seinem Zwölfpunkteplan wiederholt habe. Er nannte es aber „enttäuschend“, dass Peking beim jüngsten Treffen der G-20-Finanzminister in Indien nicht mehr bereit gewesen sei zu bekräftigen, was noch auf dem G-20-Gipfel im vergangenen Jahr auf Bali Konsens gewesen sei: „eine klare Verurteilung des russischen Angriffs“.

Kritik an Waffenlieferungen zurückgewiesen

Der deutsche Kanzler wies innerdeutsche Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. Es werde keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben, sagte er. "Man schafft auch keinen Frieden, wenn man hier in Berlin „‚Nie wieder Krieg‘ ruft – und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen“, sagte er. „Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn. Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern das Ende der Ukraine.“

Vor diesem Hintergrund kritisierten Scholz und die Fraktionschefs von Union, Grünen und FDP einmütig die Demonstration gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen, zu der die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer aufgerufen hatten.

In der „Zeitenwende-Rede“ hatte Scholz am 27. Februar 2022 – drei Tage nach Kriegsbeginn – in einer Sondersitzung des Bundestags ein 100-Milliarden-Euro-Programm zur Aufrüstung der deutschen Bundeswehr ankündigt. Bereits am Vortag waren die ersten Waffenlieferungen an die Ukraine für den Abwehrkampf gegen Russland beschlossen worden – ein Tabubruch.

Zweiprozentziel der NATO erneuert

In der Regierungserklärung am Donnerstag bekräftigte Scholz, Deutschland werde das Zweiprozentziel der NATO bei den Verteidigungsausgaben dauerhaft erreichen. „Diese Zusage, die ich hier am 27. Februar vergangenen Jahres gegeben habe, gilt“, sagte Scholz im Bundestag. In der deutschen „Ampelkoalition“ und auch innerhalb der SPD wird noch diskutiert, ob zusätzlich zum 100-Milliarden-Euro-Topf für die deutsche Bundeswehr – einem Sondervermögen – auch der reguläre Verteidigungshaushalt um weitere Milliarden erhöht werden soll.

Verena Gleitsmann (ORF) meldet sich aus Berlin und spricht über die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, der erneut Bilanz über den Ukraine-Krieg gezogen und dem Land weiter Unterstützung zugesichert.

Merz: Wir entfernen uns von dem Ziel

Der Chef der größten Oppositionsfraktion aus CDU und CSU im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), warf Scholz vor, sein vor einem Jahr ausgerufenes Ziel bei der Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht eingehalten zu haben. Statt sofort das NATO-Ziel von mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen, sei der Verteidigungshaushalt in diesem Jahr sogar um 300 Millionen Euro gesunken, sagte Merz am Donnerstag in seiner Replik auf die Regierungserklärung. „Wir entfernen uns von diesem Ziel“, so das Fazit Merzens.

Von dem nach Kriegsbeginn beschlossenen Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr seien bisher erst 600 Millionen Euro ausgegeben. „Und weitere Bestellungen lassen auf sich warten.“ Sicherheit in Europa müsse nun gegen Russland organisiert werden, sagte Merz. „Und dazu, Herr Bundeskanzler, müssen Entscheidungen getroffen werden und nicht nur Regierungserklärungen abgegeben werden.“

NATO: Verteidigungsausgaben 2022 bei 1,5 Prozent

Nach NATO-Angaben lag der Anteil der deutschen Verteidigungsausgaben an der Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr unter 1,5 Prozent. Der eigentliche Verteidigungshaushalt schrumpft von 2022 auf 2023 um knapp 300 Millionen Euro auf 50,1 Milliarden Euro, nachdem der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) ab diesem Jahr wieder die Schuldenbremse im Grundgesetz einhält.

Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird Deutschland das Zweiprozentziel voraussichtlich erst 2024 und 2025 erreichen – nämlich dann, wenn Ausgaben aus dem Sondervermögen zu Buche schlagen. Ab 2026 wäre Deutschland voraussichtlich wieder unter zwei Prozent, wenn der reguläre Verteidigungshaushalt nicht „um mindestens fünf Prozent“ pro Jahr steigt.

Energieversorgung: "Gut durch den Winter gekommen

Ein weiteres Thema in Scholz’ Rede war die Energieversorung – ebenfalls mit Hinblick auf den Angriffskrieg Russland auf die Ukraine. Scholz blickte zuversichtlich auf den kommenden Winter. Der SPD-Politiker: „Wir sind gut durch diesen Winter gekommen – auch ohne russische Gaslieferungen.“ Es sei zuvor die Rede von kalten Wohnungen gewesen, von der Zwangsabschaltung ganzer Industriezweige, von Produktionsstillstand, einem „heißen Herbst“ und „Wutwinter“, so der deutsche Kanzler: „Nichts davon ist eingetreten.“

Die Gasspeicher seien derzeit noch zu mehr als 70 Prozent gefüllt. „Das ist ein gutes Polster, um sicher auch durch den nächsten Winter zu kommen“, so Scholz weiter.

Neue „Deutschland-Geschwindigkeit“

Die Regierung habe geschlossen gehandelt, so das Fazit des deutschen Regierungschefs. Scholz verwies auf umfangreiche Entlastungspakete und den Bau von Terminals zum Import von Flüssigerdgas in Deutschland – in „Rekordtempo“.

Scholz sagte, er habe von der neuen „Deutschland-Geschwindigkeit“ gesprochen. „Ich wünsche mir, dass wir diese Deutschland-Geschwindigkeit beibehalten – als Fortschritt, den unser Land aus der Zeitenwende mitnimmt. Besonders wichtig ist das mit Blick auf die industrielle Transformation und den Ausbau der erneuerbaren Energien.“

Der Ausbau der erneuerbaren Energien solle verdreifacht werden, zu Wasser, zu Land und auf dem Dach. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert werden, derzeit ist es knapp die Hälfte. „All das war schon vor der Zeitenwende richtig. Jetzt aber sind all diese Aufgaben noch wichtiger, noch dringlicher“, so Scholz.