Luftaufnahme vom Gasleck der Pipeline Nord Stream 2
Reuters/Ritzau Scanpix
„Nord Stream“-Sabotage

USA sehen Spur zu proukrainischer Gruppe

Die US-Regierung geht einem Medienbericht zufolge davon aus, dass eine proukrainische Gruppe hinter der Sprengung der „Nord Stream“-Gaspipelines in der Ostsee im September steht. Die „New York Times“ („NYT“) berichtete am Dienstag unter Berufung auf mehrere anonyme US-Regierungsvertreter, darauf würden neue Geheimdienstinformationen hinweisen. Auch laut deutschen Medien, die am Dienstag ebenfalls von den Ermittlungen berichten, gibt es „Spuren in die Ukraine“.

Den Angaben zufolge gebe es aber keine Hinweise darauf, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder sein enges Umfeld in den Sabotageakt verwickelt sei. Laut „NYT“ hätten namentlich nicht genannte US-Regierungsvertreter zudem eingeräumt, dass vieles noch unklar sei – etwa wer genau die Sprengungen verübt, wer sie angeordnet und wer den Einsatz finanziert habe.

Es gebe aber Hinweise darauf, dass es sich um Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin handle. Verantwortlich seien vermutlich ukrainische oder russische Staatsbürger. Britische oder US-Staatsbürger seien nicht beteiligt gewesen, wie die „NYT“ über die US-Geheimdiensterkenntnisse weiter schreibt.

Luftaufnahme von Blasen auf der Wasseroberfläche oberhalb der Nord-Stream2-Gasleitung
APA/AFP/Airbus Ds 2022
Aus den Pipelines „Nord Stream 1“ und „2“ trat Ende September in der Ostsee an mehreren Stellen unkontrolliert Gas aus

ARD und „Zeit“: Boot identifiziert

Die Ermittler hätten eine fragliche Jacht identifiziert, die von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden sei, welche „offenbar zwei Ukrainern gehört“, berichteten am Dienstag schließlich auch die „Zeit“ und die ARD. Zudem habe ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, den Sprengstoff zu den Tatorten gebracht. Welchen Nationalitäten sie angehörten, sei unklar. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet.

Laut den deutschen Medienberichten sei somit das Boot identifiziert, das mutmaßlich für die Geheimoperation in der Nacht zum 26. September 2022 genutzt wurde. Bei dem Sabotageakt führten Spuren in die Ukraine, wie es unter Berufung auf deutsche Ermittlungsergebnisse dazu weiter heißt.

Dennoch „ist es den Ermittlern bislang nicht gelungen, herauszufinden, wer die mutmaßliche Tätergruppe beauftragt hat“, so die „Zeit“. In internationalen Sicherheitskreisen werde laut ARD nicht ausgeschlossen, dass bewusst Spuren gelegt worden sein könnten, um die Ukraine als Urheber hinzustellen. Hinweise auf eine solche False-Flag-Aktion lägen den Ermittlern aber offenbar nicht vor.

Deutsche Regierung nimmt Bericht „zur Kenntnis“

Ungeachtet noch bestehender „großer Lücken“ handle es sich womöglich um die „erste wichtige Spur“ – und sollte sich diese erhärten, könnte diese noch „tiefgreifende Auswirkungen auf die Koalition zur Unterstützung der Ukraine haben“. Jeder Hinweis auf eine, sei es direkt oder indirekt, ukrainische Beteiligung könnte laut „NYT“ Auswirkungen auf die heiklen Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland haben.

In Kiew dementierte Reuters-Angaben zufolge ein ranghoher Berater der Präsidialkanzlei jegliche Beteiligung der Ukraine. Man nehme den „NYT“-Bericht zur Kenntnis, sagte ein Sprecher des deutschen Kanzleramts und fügte an, Schweden, Dänemark und Deutschland hätten den UNO-Sicherheitsrat erst vor einigen Tagen darüber informiert, dass die Ermittlungen noch andauerten und noch keine Ergebnisse vorlägen.

US-Verweis auf laufende Ermittlungen

Von US-Seite verwies dann der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, auf die laufenden Ermittlungen in Deutschland und Skandinavien. „Wir glauben, dass es ein Sabotageakt war“, betonte er. Zunächst müssten die Ermittlungen beendet werden. Erst dann lasse sich über das weitere Vorgehen sprechen.

Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte auf einer Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er habe keine weiteren Kommentare dazu. Stoltenberg erklärte, man wisse, dass es ein Angriff, eine Sabotage war. Es wäre falsch, vor Abschluss der Untersuchungen darüber zu spekulieren, wer dahinterstecke.

Sprengstoffreste nachgewiesen

Explosionen hatten im September in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks in der Ostsee mehrere Lecks in die Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ gerissen, die für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden waren. Die Pipelines waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas. Nach Angaben Schwedens steckt Sabotage hinter dem Vorfall, es seien Sprengstoffreste nachgewiesen worden.

Über die Frage, wer hinter der mutmaßlichen Sabotage steckt, hat es viele Spekulationen gegeben. Verdächtigt wurde unter anderem Russland selbst – auch wenn unklar blieb, warum die Regierung in Moskau Pipelines sprengen sollte, die für den Export von russischem Erdgas bestimmt sind.

Dementi von Russland und USA

Die russische Regierung hat jegliche Verantwortung von sich gewiesen und mit dem Finger auf Washington gezeigt. Die US-Regierung hatte sich gegen den Bau von „Nord Stream 2“ gestemmt und das Projekt als geopolitisches Druckmittel des Kreml verurteilt.

Anfang Februar sorgte dann der bekannte US-Investigativreporter Seymour Hersh mit einem Bericht für Aufsehen, dem zufolge die USA die Pipelines gesprengt haben sollen. US-Marinetaucher hätten im Juni bei einer vom Weißen Haus angeordneten und vom US-Auslandsgeheimdienst CIA geplanten verdeckten Operation mit Hilfe Norwegens Sprengsätze an den Gaspipelines angebracht. Die Sprengsätze seien dann im September ferngezündet worden.

Die US-Regierung hat dies entschieden zurückgewiesen. „Das ist völlig falsch und eine vollkommene Erfindung“, erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Adrienne Watson. Unabhängige Faktenprüfer haben auf Ungereimtheiten in dem Hersh-Bericht hingewiesen. Der Journalist hatte den Bericht nicht in einem großen Medium, sondern auf seinem Blog veröffentlicht. Der 85-Jährige beruft sich zudem nur auf eine anonyme Quelle.