Seit mehr als 60 Jahren existiert die Fragestunde, die in der Regel zu Beginn der Plenarsitzung stattfindet. Am Konzept hat sich seither nichts geändert. Abgeordnete stellen dem Minister bzw. der Ministerin abwechselnd eine Stunde lang Fragen, um Auskünfte über die Arbeit der Regierung zu erhalten. Am Donnerstag ist etwa ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher an der Reihe.
Der Ablauf der 60 Minuten ist ganz klar geregelt: Dem Fragesteller steht eine Minute Redezeit zur Verfügung, der Minister hat für seine Antwort zwei Minuten Zeit. Ist die Hauptfrage beantwortet, folgen Zusatzfragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Anfrage stehen müssen. Sind diese erledigt, geht es wieder von vorne los, bis der Vorsitz die Fragestunde für beendet erklärt.
Aber was sich wie ein rasantes Wechselspiel zwischen Parlamentarier und Minister anhört, entspricht nur sehr selten der Realität. Es scheint, als sei bereits zum Start der Sitzung die Luft draußen. Politiker und Referenten bezeichnen das Format gegenüber ORF.at schon einmal als „einstudiertes Drama“ oder als „große Ministerfestspiele“. Zwar sei die Fragestunde ein wichtiges Instrument, um die Regierung kontrollieren zu können. Aber die 60 Minuten seien „langweilig“ und „unflexibel“.
Plenarsitzung
Wenn die Plenarsitzung nicht mit einer Aktuellen Stunde beginnt, dann kommt es in der Regel zu einer Fragestunde. Dazu werden die Mitglieder der Regierung reihum in das Parlament geladen. Befragt wird sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat.
Wichtiger Teil des Parlaments
Das Interpellationsrecht gilt als wichtige Säule des Parlamentarismus. Nationalrat und Bundesrat haben das Recht, die Regierung und deren Arbeit zu kontrollieren. Um an Informationen zu gelangen, werden die Regierungsmitglieder von den Parlamentariern befragt. Das erfolgt in der Regel schriftlich über parlamentarische Anfragen oder mündlich über Fragestunden. Eine besondere Form ist die Dringliche Anfrage, die noch in derselben Plenarsitzung behandelt werden muss.
Die Fragestunde gehört zum Parlament wie interne Debatten über die Fragestunde selbst. Vor Wochen hatte Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer von den Diskussionen „über die Sinnhaftigkeit“ des Formats gesprochen. Bei allen Fragen, die den Parlamentarismus betreffen, gebe es Für und Wider, die Fragestunde sei keine „Einrichtung im Sinne einer dynamischen Auseinandersetzung“, sagte sie in der „Tiroler Tageszeitung“. Dieser Ansicht stimmen mehrere Abgeordnete und Referenten diverser parlamentarischer Klubs gegenüber ORF.at zu.
„Ablesestunde“ statt lebendigen Wortwechsels
Manche gehen sogar weiter. Ein Mandatar attestiert der Fragestunde eine Sinnkrise. Im Parlament erhalte man nämlich entweder nützliche Informationen oder zumindest eine „nachvollziehbare Debatte“. Das eine gelinge mit schriftlichen Anfragen, das andere im Zuge einer Dringlichen Anfrage, sagt der langdienende Mandatar aus Wien. Die Fragestunde liefere weder das eine noch das andere. „Das mündliche Fragerecht ist für den Parlamentarismus wichtig, aber spannender sind schriftliche Anfragen und Debatten.“
Ein anderer Parlamentarier, der sowohl aus einer Koalition heraus als auch in Oppositionsrolle Fragen stellte, erkennt eher Vorteile für die Regierungsmitglieder. „Ein Minister kann sich dank vorab definierter Fragen perfekt in Szene setzen“, betont er. Kern der Kritik ist, dass die Fragestellungen 48 Stunden vor der Plenarsitzung der Ministerin bzw. dem Minister übermittelt werden müssen.
Durch die vorproduzierten Antworten werde das Format zu einem „langweiligen Bühnenstück“ degradiert, bemängeln Kritiker. Statt einer lebendigen Fragestunde erlebe man eine „Ablesestunde“. Die andere Sicht auf die 48-Stunden-Regel lautet: Wenn ein Minister dem Hohen Haus auch gute Antworten liefern soll, muss es ihm möglich sein, sich zumindest von seinen Fachleuten aus dem Ministerium zuvor über das Thema informieren zu lassen.
Zusatzfragen als „Hebel“, um Minister aus Reserve zu locken
Über die Beantwortung parlamentarischer Fragen scheiden sich aber ohnehin die Fraktionsgeister. Während für die Opposition Antworten nicht ausführlich genug sein können, verweisen Koalitionsparteien und Regierungsmitglieder darauf, dass die gelieferten Antworten halt nicht jene sind, die die Opposition hören will. Mit der Zusatzfrage gebe es in der Fragestunde aber einen „Hebel“, um den Minister aus der Reserve zu locken, sagt ein Referent einer Oppositionspartei. Diese muss nämlich nicht vorab an den Befragten übermittelt werden. „Sollte jemand Hoffnung auf spontane Antworten haben, dann bei der Zusatzfrage“, sagt er.
Laut Geschäftsordnung sind nach der vorab bekannten Hauptfrage sowohl der Fragesteller als auch alle anderen Mandatare berechtigt, der Ministerin bzw. dem Minister Zusatzfragen zu stellen. Das soll das sonst eher steife Frageformat etwas auflockern. So wurde Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ) in einer Fragestunde wegen der künftigen Zahl der Staatssekretäre mit Zusatzfragen befeuert. Verbal könne ein Minister Fragen immer parieren, meint der Referent. Die Öffentlichkeit schaut aber dabei zu, wie der Kanzler auf bestimmte Themen reagiert.
Fragestunde im Nationalrat
Auszug aus der Fragestunde im Nationalrat mit Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) aus dem Jahr 1979.
„Die Öffentlichkeit kann daran teilhaben und sich davon selbst ein Bild machen“, sagt Staatswissenschaftler Wolfgang C. Müller im Gespräch mit ORF.at. Wenn das geladene Regierungsmitglied keine Antwort parat hat, zögen Wähler und Wählerinnen andere Schlüsse, als wenn der Minister das Parlament ausführlich informiert. Die „Vorderbühne“ werde zwar mehrmals als „Showpolitik“ bezeichnet. Aber ein Teil der Kontrolle sei eben die Öffentlichkeit. „Bei der Fragestunde geht es mehr um den Eindruck, weniger um die Information“, sagt Müller.
„Kein Haxl stellen“
Das betrifft jedoch nicht nur die Minister und Ministerinnen, sondern auch die Parlamentarier selbst. Fragestunden, so heißt es, hätten den Vorteil, dass erstens aktuelle Themen und zweitens Themen ins Zentrum rücken, die sonst nirgends aufschlagen. Mandatare könnten etwa Fragen stellen, die speziell ihren Wahlkreis betreffen, sagt eine Abgeordnete einer Regierungsfraktion. Die Fragesteller profitierten von der unmittelbaren Beantwortung der Fragen, während man bei schriftlichen Anfragen acht Wochen auf die Antworten wartet.
„Nicht nur die Regierung kann sich präsentieren, auch Parlamentarier können Schwerpunkte setzen“, sagt die Abgeordnete. Klar ist auch, dass Oppositionspolitiker die Ministerin bzw. den Minister kritischer befragen als Mitglieder der Koalitionsparteien. „Es kommt selten bis gar nicht vor, dass Regierungsfraktionen dem eigenen Minister ein Haxl stellen“, sagt ein Klubmitarbeiter. Wenn das doch einmal passiere, dann eher durch Zufall. Denn für gewöhnlich werden Fragestunden dafür genutzt, die Regierungsarbeit ins rechte Licht zu rücken.
Andere Schule im britischen Parlament
Wenn es um die Fragestunde geht, wird gerne auf die britische Version verwiesen. Das Format „Prime Minister’s Questions“ gilt nämlich als Vorbild eines lebendigen Debattierstils. Jeden Mittwoch um 12.00 Uhr muss der Premierminister dem Unterhaus für eine halbe Stunde Rede und Antwort stehen. „Es geht stets darum, ob der Regierungschef mit seinen Argumenten gut oder schlecht aussteigt“, sagt Müller. Es sei ein Kampf, in dem aber selten Fragen gestellt werden, um Sachverhalte zu ergründen. „Man will den Premier in die Bredouille bringen.“
Im Vergleich zur britischen sei die österreichische Fragestunde zwar „harmlos“, wie der Staatswissenschaftler sagt. Aber für politische Quereinsteiger könnten Auseinandersetzungen vor laufender Kamera auch unangenehm sein. Müller erinnert an SPÖ-Verteidigungsminister Johann Freihsler: Kollegen des Brigadiers hätten berichtet, dass der Minister trotz versierter Fachkenntnis vor Fragestunden extrem nervös gewesen sei. „Erfahrene Politiker, die die Öffentlichkeit gewohnt sind, haben das Problem eher nicht.“
Doch auch Routiniers geraten unter Druck, wenn Abgeordnete quasi die Gunst der Stunde nutzen. Im Jahr 2000 hatte FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer mit einigen Vorwürfen zu kämpfen. Im Hohen Haus wurde er mit diesen gleich mehrmals konfrontiert – davon siebenmal allein von Mandatarin Terezija Stoisits (Grüne).
Das ist für Fragestunden eher unüblich. Denn normalerweise wechseln sich Parlamentarier bei der Befragung ab, damit mehrere zum Zug kommen. Die Grünen hatten aber Stoisits den Vortritt gelassen. Sie war omnipräsent, das Klima im Saal „sensibel“, wie Nationalratspräsident Heinz Fischer (SPÖ) sagte.
Fragestunde für bunteres Parlament
In den Anfangsjahren dürfte das wohl kaum so gewesen sein. Denn die Fragestunde wurde zu einer Zeit eingeführt, als das Parlament in den Farben Rot und Schwarz austariert war. „Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten sich SPÖ und ÖVP die Sitze im Hohen Haus unter sich auf“, sagt Staatswissenschaftler Müller. Bei der Nationalratswahl 1959, also kurz vor Einführung der Fragestunde, erhielten SPÖ und ÖVP gemeinsam fast 95 Prozent der Mandate.
Weil die KPÖ damals noch dazu den Einzug in das Parlament verpasst hatte, saßen am Ende 157 Abgeordnete einer SPÖ-ÖVP-Koalition acht Mandataren der oppositionellen FPÖ gegenüber. Für die Kontrolle der Regierungsarbeit sollte das eigentlich keine Rolle spielen, weil dieses zweite Standbein der parlamentarischen Arbeit allen Parlamentsklubs zukommt. In der Regel schaut aber die Opposition etwas genauer auf die Finger der Minister und Ministerinnen.
In den Nachkriegsjahren wollte die Politik aber in erster Linie Stabilität vermitteln, sagt der Forscher Müller. Zwar sei es im Plenum hin und wieder zu teils hitzigen Debatten gekommen. Von einem Schlagabtausch, wie man ihn heute im Hohen Haus kennt, könne man aber nicht sprechen. Damals hätten Abgeordnete nicht selten Reden vorgetragen, die sie gar nicht selbst geschrieben hatten, so Müller.
Kummer mit erster Frage, Gorbach mit erster Antwort
Erst zu Beginn der 60er Jahre habe sich das allmählich geändert. „Ein paar Reformer waren bemüht, das Parlament nach innen und außen zu öffnen“, sagt Müller. Damals drängte insbesondere die FPÖ auf die Einführung einer Fragestunde. Als Vorbild diente etwa der Deutsche Bundestag, der seit den frühen 50er Jahren auf dieses Instrument zurückgreifen konnte. Dass sich Freiheitliche dessen stärker annahmen als SPÖ und ÖVP, sei wenig überraschend gewesen, sagt der Experte.
Buchhinweis
Barbara Beclin, Sebastian Reinfeldt, Clemens-Maria Sampl, Jakob Tschachler, Susanne Zöhrer: „Parlamentarische Praxis. Leitfaden zur Arbeitsweise im Nationalrat“, Facultas, 204 Seiten, 28 Euro.
Zu der Zeit hätte die Partei nämlich wenige Möglichkeiten gehabt, sich stärker zu präsentieren. Die Ausweitung des Interpellationsrechts sei daher eine Chance für die Opposition gewesen. Allerdings musste das Dritte Lager, das 1952 den ersten Antrag stellte, ein paar Jahre warten, bis die Fragestunde in ein Gesetz gegossen wurde. SPÖ und ÖVP zeigten sich zwar nie abgeneigt, wollten aber zuerst die damals komplizierte Geschäftsordnung auf neue Beine stellen – was auch 1961 dann mit Stimmen aller Parlamentsklubs wirklich geschah.
Im November 1961 feierte die Fragestunde ihre Feuertaufe. Als erster Fragesteller wollte ÖVP-Mandatar Karl Kummer wissen, wann mit der „verfassungsrechtlichen Regelung des Gemeinderechtes“ zu rechnen sei. Die Antwort von Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) fiel wenig spektakulär aus: Man habe sich bereits mit der Ausarbeitung der Novelle befasst. Der Entwurf sei fast fertig und werde „demnächst dem Begutachtungsverfahren unterzogen werden“.