Polizisten am Tatort in Hamburg
AP/Markus Schreiber
„Amoktat“ in Gebetshaus

Rascher Einsatz rettete Menschenleben

Nach den tödlichen Schüssen in einem Gebetshaus der Zeugen Jehovas im deutschen Hamburg haben der Innensenator der Hansestadt, Andy Grote (SPD), und Behördenvertreter am Freitag weitere Details genannt. Grote sprach von einer „Amoktat“. Insgesamt starben acht Menschen. Auch der Schütze, ein 35-jähriger Deutscher, ist tot. Das schnelle Eingreifen der Polizei verhinderte laut Grote eine noch höhere Opferzahl.

„Eine Amoktat dieser Dimension – das kannten wir bisher nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt“, sagte der SPD-Politiker Freitagmittag bei einer Pressekonferenz. „Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind“, so Grote.

Die Tat habe sich am Donnerstag gegen 21.00 Uhr ereignet. Um 21.04 Uhr seien die ersten Notrufe eingegangen, so Grote. „Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort.“ Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen. Diese Einheit für Einsätze, die eine erhöhte Gefährdung für die Beamtinnen und Beamten erwarten lassen, habe sich um 21.11 Uhr Zutritt zum Gebäude verschafft und das Tatgeschehen unterbrochen.

Acht Tote, acht Verletzte

Bei den acht Todesopfern handelt es sich um vier Männer, zwei Frauen, einen weiblichen Fötus im Alter von 28 Wochen und den Schützen. Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt gewesen, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit.

Polizisten am  Tatort in Hamburg
Reuters/Fabrizio Bensch
Polizei am Tatort: Acht Menschen starben bei der Attacke, darunter auch der Angreifer

Weitere acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Sechs der Verletzten seien deutsche Staatsangehörige, je eine Frau ist ugandischer beziehungsweise ukrainischer Staatsangehörigkeit. Unter den Schwerverletzten befindet sich auch die werdende Mutter.

Angreifer war Sportschütze

Der Angreifer wurde als 35-jähriger Deutscher identifiziert: Philipp F. sei ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas gewesen und habe diese vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen, hieß es auf der Pressekonferenz.

Der im bayrischen Memmingen geborene F. sei Sportschütze gewesen und habe die bei der Tat verwendete Waffe – eine halbautomatische Pistole – legal besessen, so Radszuweit. Bei dem Verbrechen habe F. insgesamt neun Magazine mit mehr als 130 Schuss verschossen, weitere 22 Magazine habe er bei sich getragen.

Auch in der Wohnung des Schützen wurde eine größere Menge Munition gefunden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und vier Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet werden.

Anonymer Hinweis an Waffenbehörde

Das genaue Tatmotiv ist Gegenstand von Ermittlungen. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagte am Freitag, es gebe Hinweise auf einen Streit „möglicherweise aus dem Bereich der Zeugen Jehovas“. Das müsse geprüft werden, in den Akten habe man dazu nichts gefunden. Einen politischen oder extremistischen Hintergrund schloss die Polizei aus.

Schock und Trauer nach Massenmord in Hamburg

In Hamburg ist am Donnerstagabend ein bewaffneter Mann in einen Saal der Zeugen Jehovas eingedrungen und hat sieben Menschen getötet. Beim mutmaßlichen Täter, der ebenfalls tot ist, soll es sich um ein früheres Mitglied der Gemeinde handeln.

Die für die Zulassung von Schusswaffen zuständige Behörde erhielt nach Angaben Meyers im Jänner einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung des 35-Jährigen. Das ehemalige Mitglied der Zeugen Jehovas hege eine besondere Wut auf Anhängerinnen und Anhänger der Religionsgemeinschaft, habe es im Schreiben geheißen.

Im Februar hätten zwei Beamte der Behörde F. unangekündigt aufgesucht. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer. Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen.

Scholz: „Brutale Gewalttat“

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) reagierte betroffen. „Wir sind fassungslos angesichts dieser Gewalt. Meine Gedanken sind in den schweren Stunden bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir trauern um diejenigen, die so brutal aus dem Leben gerissen wurden“, sagte er.

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich „erschüttert“. „Meine Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Gemeindemitgliedern und auch bei den Einsatzkräften“, sagte Faeser.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt über die Schüsse. „Die Meldungen aus Alsterdorf/Groß Borstel sind erschütternd“, so Tschentscher auf Twitter. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl“, schrieb er. Tschentscher rief die Menschen auf, die Hinweise der Polizei zu beachten.

Zeugen Jehovas „tief betroffen“

Die Zeugen Jehovas zeigten sich „tief betroffen von der schrecklichen Amoktat“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen“, erklärte die Religionsgemeinschaft. „Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten.“

Zeuge berichtet von „bestimmt 25“ Schüssen

Ein Anrainer hat den Schusswaffenangriff in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg von seinem Fenster aus mitverfolgt und die Tat zeitweise auch gefilmt. Er berichtet von „bestimmt 25“ Schüssen, die in der Nacht gefallen sein sollen.

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Auslegung der Bibel. Die Anhängerinnen und Anhänger glauben an Jehova als „allmächtigen Gott und Schöpfer“ und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden.

Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die „Weltzentrale“ ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft hat etwa 169.000 Mitglieder und zählt zu den größten in Europa, jene in Österreich etwa 22.000.