Oscars: „Everything Everywhere All at Once“ liegt vorn

Bei der 95. Oscar-Verleihung in Los Angeles sind fünf Preise an den mit elf Nominierungen als großen Favoriten gehandelten „Everything Everywhere All at Once“ gegangen. Die Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert wurden sowohl für ihre Regie, als auch für das Drehbuch ausgezeichnet, Paul Rogers für den Schnitt, Jamie Lee Curtis wurde als beste Nebendarstellerin, Ke Huy Quan als bester Nebendarsteller gewürdigt.

Scheinert brach in seiner Ansprache eine Lanze für Diversität, indem er seinen Eltern dafür dankte, dass sie ihn als Kind in „Frauenfummel“ herumlaufen ließen: „Ich war für niemanden eine Gefahr“. Kwan wiederum ließ seiner Freude freien Lauf: „Das ist nichts Normales. Das ist völlig abgefahren. Das ist völlig verrückt.“

Ke Huy Quan hielt die wohl schönste Oscar-Rede des Abends. Als Bootsflüchtling sei er in Amerika angekommen, jetzt stehe er auf der Bühne – wo er in das Mikro brüllte: „Mama, ich habe gerade den Oscar gewonnen, kannst du das glauben?“ Auch Curtis zeigte große Gefühle. Sie bedankte sich bei den Tausenden Menschen, die ihr im Laufe ihrer Karriere geholfen haben. Überraschend: Es war Curtis‘ erste Nominierung.

Fast ein Oscar für Österreich

Es folgt in der Rangliste „Im Westen nichts Neues“ von Regisseur Edward Berger, der als bester internationaler Film ausgezeichnet wurde. Auch die Preise für die beste Kamera, die beste Filmmusik und das beste Produktionsdesign gingen an die deutsche Verfilmung des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque, in dem die Gräuel des Ersten Weltkriegs beschrieben werden.

Berger hob in seiner Ansprache vor allem die Leistung des österreichischen Hauptdarstellers Felix Kammerer hervor: "Es war dein erster Film – und du hast uns auf deinen Schultern getragen. Ohne dich wäre der Film nichts gewesen. Danke für deine wundervolle Arbeit!“ Jung-Burgschauspieler Kammerer strahlte über beide Ohren. Somit geht der Preis fast schon als heimischer Oscar durch.

Ein tatsächlicher Oscar blieb Österreich verwehrt: Die verdiente Nominierung von Monika Willi für ihren Schnitt von „Tar“ führte nicht zum Preis.

Kimmels Witzkiste

Als erster Star des Abends war zuvor Regisseur Guillermo del Toro für „Pinocchio“ mit dem Preis für den besten Animationsfilm geehrt worden. Was die Moderation betrifft, setzte man, nachdem Chris Rock letztes Jahr polarisiert und eine Ohrfeige von Will Smith kassiert hatte, heuer mit Jimmy Kimmel wieder auf eine sichere Bank.

Seine Witze waren böse, aber nur ein wenig. Warum drehte Steven Spielberg mit „The Fabelmans“ einen Film über sich selbst? „Weil ihm sonst nichts mehr einfällt.“ Das ist keine Watsche wert. Und, so Kimmel in Anspielung auf Smith: Wer diesmal auch immer Gewalt anwende – werde mit einem Oscar belohnt.

Julija Nawalny: „Bleib stark, meine Liebe!“

Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging wenig überraschend an das Team von „Navalny“. Mit auf der Bühne war die Ehefrau des russischen Oppositionellen Alexei Anatoljewitsch Nawalny, Julija Nawalnaja. Sie sorgte mit ihrer Ansprache für den emotionalsten Moment des Abends: „Alexei ist eingesperrt, er ist in Haft, nur weil er die Wahrheit sagt, nur weil er die Demokratie verteidigt. Ich träume von dem Tag, an dem du frei sein wirst, an dem das Land frei sein wird. Bleib stark, meine Liebe!“

Aufregung über den Teppich

Schon kurz vor der Zeremonie gab es im Dolby Theatre in Los Angeles große Aufregung: Zum ersten Mal seit 1960 wurde die Farbe des Teppichs im Eingangsbereich geändert. Heuer war er nicht klassisch rot – sondern champagnerfarben.

Das sorgte für gehörig Ärger bei den Management-Teams der Stars. Schließlich wurden die Roben extra so ausgesucht, dass sie sich gut vom üblichen Rot abheben. Laut Veranstaltern soll der Teppich an einen Strand im Sonnenuntergang erinnern, an dem man ein Glas Champagner trinkt – und er soll beruhigend wirken. Das funktionierte weniger gut.

Zuvor hatte auf dem champagnerfarbenen Teppich die meisten Blicke von den Stars Fan Bingbing auf sich gezogen, die in „The 355“ neben Penelope Cruz, Lupita Nyong’o und Jessica Chastain spielt. Sie trug ein silberfarbenes Kleid, das von einer körpergroßen grünen Masche umgeben war und erinnerte damit an einen Schmetterling.

Hugh Grant: „Ein Anzug halt“

Curtis wiederum trug ein schlichtes Glitzerkleid, das, genauso wie der Anzug von Samuel L. Jackson, in der heurigen Oscar-Farbe „Champagner“ gehalten war. Dem ganzen Jahrmarkt der Eitelkeiten entzog sich Hugh Grant. Auf die Frage, was er da trage, sagte er lapidar: „Einen Anzug halt. Den Namen des Schneiders habe ich vergessen.“ Den seinen hat Dwayne Johnson sicher nicht vergessen: Sein zartrosafarbener Satin-Anzag wird in Erinnerung bleiben, nicht nur bei ihm.

Angela Bassett, die in „Black Panther: Wakanda Forever“ die Königsmutter Ramonda spielt, sah jedenfalls in ihrem violetten Kleid spektakulärer aus, vor allem wegen ihrer silbernen Schlangen-Halskette. Der Halsschmuck bleibt auch von „Elvis“-Regisseur Baz Luhrmann in Erinnerung: ein riesiger grüner Stein auf einer silberfarbenen Platte. Michelle Yeoh hingegen setzte auf Schlichtheit, sie trat in einem weißen Rüschenkleid auf. Ebenfalls schlicht und ebenfalls würdig war Michael B. Jordans glänzend-samtiges Outfit von Louis Vuitton.

Viel Schmacht bei den Showeinlagen

Die Showeinlagen des Abends werden nicht in die Geschichte eingehen. Rihanna sang einen schönen Wakanda-Kitschsong mit viel „I need love“, eine ungeschminkte Lady Gaga griff mit ihrer Ballade „Hold My Hand“ aus „Top Gun: Maverick“ tief in die Gefühlskiste.

Viel getan hat sich auf der Bühne bei „Naatu Naatu“, dem ersten indischen Filmsong, der jemals für einen Oscar nominiert wurde. Mehr Energie geht nicht – und die Hollywoodstars im Publikum johlten. Und ein Publikumsliebling war auch David Byrnes Hotdog-Finger im Song „This is A Life“ aus „Everything Everywhere All At Once“. Lenny Kravitz langweilte mit einem mäßig gefühlvollen Song, der die alljährliche Nachruf-Sektion verstorbener Stars begleitete.