Silicon Valley Bank
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Silicon-Valley-Crash

US-Bankenpleite stellt Zinspolitik infrage

Der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) letzte Woche hat den US-Finanzmarkt stärker in Turbulenzen versetzt als ursprünglich erhofft. Die Befürchtung, Investoren könnten die Flucht in Richtung Großbanken antreten, ist eingetreten. Die Bankenpleite – die größte seit der Finanzkrise 2008 – bringt auch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im Kampf gegen die Inflation in die Bredouille.

Es gebe eine Art Sprichwort, laut der die Fed ihren Leitzinssatz erhöhe, „bis irgendetwas zerbricht“, hieß es am Dienstag in einer Analyse des „Wall Street Journal“. Es sei eine große Überraschung, dass das bisher nicht geschehen sei – bis die SVB nach Liquiditätsproblemen mit einer Kapitalerhöhung scheiterte und am Freitag geschlossen und der Aufsicht der US-Einlagensicherung Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) unterstellt wurde.

Ein Ausverkauf der Aktien regionaler Banken – aus Angst, auch die könnten unter die Räder kommen, bringe die US-Notenbank in eine missliche Lage, in die diese im letzten Jahr nie geraten hätte wollen: den Finanzmarkt stabil zu halten und gleichzeitig mit Leitzinserhöhungen die Inflation zu bekämpfen. Die Teuerungsrate war in den USA im Februar bei 6,0 Prozent gelegen, wie das Arbeitsministerium in Washington am Dienstag mitteilte, deutlich niedriger als in vielen Ländern der Euro-Zone, aber dennoch weit weg vom Ziel von zwei Prozent, das auch die Europäische Zentralbank (EZB) vorgibt.

Strikte Geldpolitik vorerst zu Ende?

Zuletzt hatte die Fed ihren Referenzzinssatz im Februar um 0,25 Prozent auf eine Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent angehoben und etwas Tempo herausgenommen. Im Dezember hatte sie den Leitzins noch um 0,5 Prozentpunkte erhöht, insgesamt achtmal seit März des Vorjahres. Zum Vergleich: In der Euro-Zone liegt der Zinssatz nach fünf Erhöhungen seit Juli bei 3,0 Prozent.

Federal Reserve Bank in New York
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Acht Leitzinsschritte seit März letzten Jahres

Die aktuelle Situation nach dem Zusammenbruch des Start-up-Finanzierers SVB, die Pleite war die größte seit der Finanzkrise ab 2008, stelle Fed-Chef Jerome Powell nun vor eine schwierige Entscheidung, schrieb am Mittwoch das „Wall Street Journal“.

Zuletzt hatte er weitere größere Zinsschritte nicht ausgeschlossen und letzten Dienstag vor einem Senatsausschuss in Washington erklärt: „Obwohl sich die Inflation in den letzten Monaten abgeschwächt hat, ist es noch ein weiter Weg bis zur Rückkehr zu einer Inflationsrate von zwei Prozent, der wahrscheinlich holprig sein wird.“ Das war noch bevor zwei Tage später die Schieflage der SVB bekannt wurde. Jetzt könnte es sein, dass die Fed bei ihrer nächsten Sitzung kommende Woche auf die Bremse treten muss.

Neue Sorgen

Mittlerweile, so das „Wall Street Journal“, sorgten sich Investorinnen und Investoren nicht mehr um Inflation und Leitzinserhöhungen, sondern darum, wie Probleme im Bankensektor der gesamten Wirtschaft schaden könnten. Bis letzte Woche hätte diese wenige „Seiteneffekte“ der „aggressiven“ Zinspolitik der Fed gespürt, der Immobiliensektor ausgenommen.

Ken Griffin, Gründer des Hedgefonds Citadel, sah am Dienstag gegenüber der „Financial Times“ einen Mangel an Disziplin als Mitursache für den Zusammenbruch der SVB, bedingt durch die Garantien der US-Regierung für die Anlegerinnen und Anleger der kalifornischen Bank. Der Kapitalismus zerbreche „vor unseren Augen“, sagte er der Zeitung.

„Schattenseiten der Zinswende“

Und jetzt? „Wir erleben die Schattenseite der Zinswende“, sagte am Dienstag Florian Heider, Leiter des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE) in Frankfurt, dem deutschen „Spiegel“, und erklärte, warum: „Jahrelang waren die Leitzinsen extrem niedrig. Nun, da die Notenbanken die Zinsen immer weiter erhöhen, zeigen sich plötzlich die verdeckten Probleme in manchen Bankbilanzen. Steigende Zinsen gelten meist als gute Nachricht für Banken, weil sie für höhere Erträge sorgen. Aber die Pleite der Silicon Valley Bank lässt dieses Mantra bröckeln.“

Die SVB habe ein spezielles Geschäftsmodell gehabt, quasi als „die Hausbank des Silicon Valley“. Viele Unternehmen dort „wurden jahrelang regelrecht mit Geld überschüttet. Dieses Geld haben die Firmen bei der SVB geparkt – und die Bank hat diese Gelder sehr langfristig angelegt“. Das habe „ihr nun das Genick gebrochen“, nachdem die Bank größtenteils in lang laufende Staatsanleihen investiert habe. Das Problem sei jetzt, „dass die Kurse dieser Anleihen durch die höheren Leitzinsen massiv unter Druck geraten sind. Wenn die Zinsen steigen, werden alte Anleihen mit niedrigerer Verzinsung schlagartig weniger attraktiv“, so Heider.

Flucht in Richtung Großbanken

Es gebe inzwischen Zweifel an der „Gesundheit“ kleinerer und mittelgroßer US-Banken, schrieb die „Washington Post“ am Dienstag – untermauert von Kursstürzen um die 60 Prozent. Investoren schichteten ihr Kapital in Richtung als sicher geltender Großbanken um, aber selbst deren Aktien gerieten zeitweise unter Druck.

Daran änderte offensichtlich auch die Versicherung von US-Präsident Joe Biden, die Amerikaner und Amerikanerinnen könnten Vertrauen in die Banken haben und ihre Einlagen würden „hier sein, wenn sie sie brauchen“ nicht wirklich etwas. „Wir werden tun, was immer wir müssen“, zitierte ihn der TV-Sender CNN.

Wie reagiert die EZB?

Die nächste Sitzung der EZB findet am Donnerstag statt. Im Vorfeld hatte Notenbank-Chefin Christine Lagarde ihre Absicht durchblicken lassen, den Leitzins um weitere 0,5 Prozent erhöhen zu wollen. Das Deutsche Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) rechnete am Dienstag aber mit einer vorerst zurückhaltenderen EZB-Zinspolitik. „De facto dürften die Ereignisse in den USA die EZB zu einer etwas langsameren Gangart bewegen“, sagte der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts, Sebastian Dullien.

Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt (Deutschland)
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Die EZB will den Leitzins im Kampf gegen die Inflation vorerst weiter erhöhen

Die von der Pleite ausgelösten Finanzmarktturbulenzen in den USA dürften dort zu einer gewissen Vorsicht bei Investitionen und Kreditvergabe führen und von sich aus das Wachstum bremsen. Dadurch werde die Fed ihre Zinsen nun langsamer erhöhen. „Das dämpft auch das Wachstum in Europa“, sagte Dullien. „Außerdem reicht bei niedrigeren US-Zinsen auch ein etwas niedrigerer EZB-Zins, um den Euro-Wechselkurs stabil zu halten.“

Größter Crash seit Washington Mutual 2008

Die Nachrichten über Probleme bei der SVB, die vor allem kleinere und mittlere Technologie- und Biotechnologieunternehmen finanzierte, waren überraschend gekommen. Am Donnerstag war bekannt geworden, dass sie zum Ausgleich von Verlusten aus ihrem Portfolio eine Kapitalerhöhung in Milliardenhöhe benötigte. Die Verhandlungen darüber scheiterten. Am Freitag (Ortszeit) schließlich wurde die kalifornische Regulierungsbehörde aktiv und unterstellte die Bank mit Sitz in Santa Clara der Aufsicht der FDIC, alle Aktiva von dieser wurden eingezogen.

Vor dem Kollaps der Bank, dem zweitgrößten seit dem von Washington Mutual (WaMu) 2008, war es zu einem Bank Run gekommen, Risikokapitalgesellschaften und Fonds hätten ihr Geld abgezogen, insgesamt, hatte die „Los Angeles Times“ am Wochenende berichtet, immense 42 Mrd. Dollar (rund 40,5 Mrd. Euro).

Passanten vor Filiale der Washington Mutual 2008
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Der US-Finanzdienstleister Washington Mutual, Börsenwert seinerzeit rund 350 Mrd. Dollar, brach im September 2008 zusammen

Der Fall der Bank habe nun das „Gespenst“ nicht nur von Liquiditätsproblemen bei Start-ups, sondern „größerer Instabilität“ im US-Finanzsektor wieder geweckt. Der Finanzdienstleister WaMu war am 28. September 2008, zehn Tage nach der Pleite von Lehman Brothers, zusammengebrochen. Die Insolvenz von Lehman Brothers gilt als so etwas wie der Funke, der damals die US-Finanzkrise auf die globale Wirtschaft überspringen ließ.

Vorbei mit der Ruhe

„Bewahren Sie Ruhe“, hatte laut US-Medien Greg W. Becker, der Vorstandschef der SVB, noch am Donnerstag an Anlegerinnen und Gläubiger appelliert. Mit der Ruhe war es allerdings spätestens am Freitag vorbei. Die Angst vor möglicherweise tatsächlich größeren Problemen im US-Finanzsektor zog die Aktien von Banken am letzten Börsenhandelstag der Woche nicht nur in New York nach unten. Die Papiere der SVB waren am Freitag vom Handel ausgesetzt, nachdem der Kurs zuvor am Donnerstag um rund 60 Prozent eingebrochen war.

Hinweis auf geschlossener Filiale der SVB
Reuters/Krystal Hu
Aktiva wurden von der US-Einlagensicherung in eine eigene Gesellschaft ausgelagert

Laut CNN hätte sich die Kapitalerhöhung bei der kalifornischen Bank, gegründet 1983, auf 2,25 Mrd. Dollar (rund 2,12 Mrd. Euro) belaufen sollen. Das hätte zu „Panik“ bei Venture-Capital-Unternehmen geführt, sie hätte Unternehmen empfohlen, ihr Geld aus der SVB abzuziehen. Die FDIC (sie garantiert für Einlagen bis 250.000 Dollar pro Kunde bzw. Kundin) zog laut Medienberichten vom Wochenende grob 175 Mrd. Dollar (knapp 165 Mrd. Euro) an Anlegervermögen aus der SVB ein.