Demonstrierende junge Ärzte in Manchester (Großbritannien)
APA/AFP/Paul Ellis
Großstreiktag

Stillstand in britischen Schulen und Spitälern

Mit flächendeckenden Streiks fordern am Mittwoch in Großbritannien Hunderttausende Lehrerinnen und Lehrer und Assistenzärzte und -ärztinnen höhere Löhne. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehrerer Regierungsbehörden, Hochschuldozenten und Beschäftigte der Londoner U-Bahn sind beteiligt. Die BBC berichtete, dass mehr als 400.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes mitmachen wollten.

Die britische Nachrichtenagentur PA sprach vom größten Ausstand seit Beginn der Streikwelle im Vorjahr. Auch mehrere BBC-Journalisten legten aus Protest gegen Einsparungen bei Lokalsendern die Arbeit nieder. Auftakt des dreitägigen Streiks war bereits zu Wochenbeginn. Vor britischen Krankenhäusern soll es bereits seit Montag Streikposten der Gewerkschaft British Medical Association (BMA) geben.

In Großbritannien wird seit Monaten in zahlreichen Branchen gestreikt, meist geht es den Beschäftigten angesichts der hohen Inflation und gestiegener Energiepreise um kräftige Lohnerhöhungen. Betroffen sind neben dem Gesundheitssektor unter anderem die Bahn, die Post und die Grenzpolizei. Allein bei Ministerien und Behörden wird Medienberichten zufolge mit rund 150.000 streikenden Beamtinnen und Beamten gerechnet.

Demonstrierende Lehrer in London
Reuters/Kevin Coombs
Auch an den britischen Unis und Schulen legten am Mittwoch Tausende ihre Arbeit nieder

26 Prozent Reallohnverlust

Der Streik der Ärztinnen und Ärzte ohne Facharztausbildung bildete den Auftakt der laufenden Streikwelle und ist der längste, den die Berufsgruppe je geführt hat. Verantwortliche des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS zeigten sich besorgt über die Auswirkungen des Streiks auf die Patientinnen und Patienten. BBC-Angaben zufolge machen Assistenzärztinnen und -ärzte etwa 45 Prozent des medizinischen Personals aus und spielen im britischen Gesundheitssystem somit eine tragende Rolle.

Laut BMA haben die nun streikenden Nachwuchsärztinnen und -ärzte seit 2008 real 26 Prozent ihres Gehalts verloren. Sie arbeiten hauptsächlich in Krankenhäusern, teilweise auch in Hausarztpraxen. Die Gewerkschaft hatte vor dem Streik erklärt, Ärztinnen und Ärzte verdienten zu Beginn ihrer Karriere teilweise weniger als Beschäftigte mancher Cafes.

Britische Jungärzte streiken für mehr Geld

Mit flächendeckenden Streiks fordern Assistenzärzte und -ärztinnen in Großbritannien höhere Löhne. Laut der Gewerkschaft British Medical Association (BMA) sind deren Reallöhne in den vergangenen 15 Jahren um 26 Prozent gesunken.

Bildungsministerin enttäuscht

Im Fokus der Streikenden steht am Mittwoch das Parlament in London. Hintergrund ist die dort anstehende Budgetrede von Finanzminister Jeremy Hunt. Der Streit zwischen Gewerkschaften und der konservativen Regierung scheint festgefahren. Mark Serwotka, der Chef der Gewerkschaft PCS, die Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vertritt, warnte, die Streiks könnten bis Jahresende andauern.

Er forderte eine faire Lohnerhöhung. „Die Regierung kann diese Streiks heute beenden, indem sie Geld für unsere Mitglieder auf den Tisch legt“, sagte PCS-Chef Serwotka. „40.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes nutzen Lebensmitteltafeln, und 45.000 beanspruchen Unterstützungsleistungen, weil sie so arm sind.“

Bildungsministerin Gillian Keegan zeigte sich enttäuscht. Zahlreiche junge Menschen würden wichtige Unterrichtsstunden verpassen, schrieb die Tory-Politikerin in einem offenen Brief. Sie habe der Gewerkschaft Gespräche angeboten mit der einzigen Bedingung, dass die Streiks dafür ausgesetzt werden. „Doch scheint es nur um Streiks und unnötige Störungen zu gehen.“ Der Lehrerstreik findet nur in England statt, nachdem es in Wales und Schottland Fortschritte bei den Verhandlungen gegeben hat.

Überfüllte Londoner Bushaltestelle
IMAGO/I-Images/Martyn Wheatley
In London machte sich der Streik mit überfüllten Busstationen bemerkbar

Londoner U-Bahn lahmgelegt

Aufgrund eines Streiks der U-Bahn-Fahrer war auch der Nahverkehr in London weitgehend lahmgelegt. Wegen des Streiks – der erste seit acht Jahren – fuhr kein Zug der „Tube“. Die Verkehrsbehörde TFL warnte, andere Verkehrsmittel wie Busse, S-Bahn (Overground) und Straßenbahnen seien deutlich voller als sonst.

Die Gewerkschaft ASLEF betonte, es gehe ihren Mitgliedern nicht um mehr Geld. „Wir wollen nur, dass sich TFL dazu verpflichtet, mit uns über Änderungen zu verhandeln, anstatt zu versuchen, Änderungen durchzusetzen“, sagte ASLEF-Organisator Finn Brennan dem Radiosender LBC. „Wegen der Pandemie klafft ein riesiges Loch im TFL-Budget, und sie wollen dieses Loch füllen, indem sie Personal abbauen, die Arbeitsbedingungen beschneiden und die Pensionen entscheidend kürzen.“

Hunt verspricht Entlastung

Finanzminister Hunt kündigte bei der Vorstellung des erwarteten Budgetplans im Parlament auch ein milliardenschweres Hilfspaket zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger an. Konkret sollen die Strom- und Gasrechnungen für weitere drei Monate bezuschusst und die Kinderbetreuung verbessert werden.

Hunt prophezeite zudem eine deutliche Entspannung in Sachen Inflation. Diese liegt aktuell bei zehn Prozent. Laut Hunt wird sie sich zum Jahresende auf etwa 2,9 Prozent verringern. Damit sei Großbritannien entgegen früheren wirtschaftlichen Vorhersagen „in diesem Jahr technisch nicht in einer Rezession“.