Der französische Präsident Emmanuel Macron
APA/AFP/Michel Euler
Ohne Abstimmung

Macron boxt Pensionsreform durch Parlament

Frankreichs Regierung hat die umstrittene Pensionsreform ohne finale Abstimmung durch das Parlament geboxt. Sie entschied am Donnerstag, das wichtigste Reformprojekt von Präsident Emmanuel Macron mit einem Sonderartikel der Verfassung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung umzusetzen. Das Vorhaben kann theoretisch noch durch ein Misstrauensvotum gekippt werden.

Premierministerin Elisabeth Borne sagte begleitet von lautem Protest der Opposition: „Diese Reform ist notwendig.“ Sie übernehme mit ihrer Regierung die Verantwortung, so Borne unter empörten Buh-Rufen in der Nationalversammlung und kündigte offiziell die Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 an, der die Verabschiedung eines Gesetzes ohne parlamentarische Abstimmung ermöglicht, falls die Regierung einen oder mehrere damit verbundene Misstrauensanträge übersteht.

„Wir sind uns bei einigen Stimmen nicht sicher, wir können das Risiko nicht eingehen“, begründete Borne die Entscheidung, auf die ursprünglich für 15.00 Uhr geplante Abstimmung in der Nationalversammlung zu verzichten. Die Premierministerin warf der Opposition vor, die Debatten blockiert zu haben.

Macron boxt Pensionsreform durch Parlament

Frankreichs Regierung hat die umstrittene Pensionsreform ohne finale Abstimmung durch das Parlament geboxt. Sie entschied am Donnerstag, das wichtigste Reformprojekt von Präsident Emmanuel Macron mit einem Sonderartikel der Verfassung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung umzusetzen. Das Vorhaben kann theoretisch noch durch ein Misstrauensvotum gekippt werden.

Aufgeheizte Stimmung

Die Opposition hat jetzt 24 Stunden Zeit, um einen oder mehrere Misstrauensanträge zu stellen. Die rechtspopulistische Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen kündigte umgehend einen Antrag ihrer Gruppe an. Falls die Regierung die Abstimmung verliert, läuft das auf Neuwahlen hinaus. Die Stimmung in der Nationalversammlung war stark aufgeheizt. Teile der Abgeordneten sangen lautstark die Nationalhymne, es gab zahlreiche wütende Zwischenrufe.

Abgeordnete im französischen Parlament
APA/AFP/Alain Jocard
In der Nationalversammlung ging es turbulent zu

Zwar hatte der Senat als Zweite Kammer des Parlaments in der Früh für die Reform zur Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre votiert. Eine Zustimmung in der Nationalversammlung schien aber nicht sicher.

Reform soll Finanzierungslücken schließen

Derzeit liegt das Pensionsantrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Pension nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer eine Pension ohne Abschlag – das will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Pension schneller steigen soll. Die monatliche Mindestpension will sie auf etwa 1.200 Euro hochsetzen. Mit der Reform will die Regierung eine drohende Lücke in der Pensionskasse schließen.

Auf Konservative angewiesen

Die Mitte-Regierung muss in der Nationalversammlung nun mit einem Misstrauensvotum rechnen. Die Opposition hatte damit gedroht, sollte die Regierung den Sonderartikel nutzen, um eine Abstimmung im Unterhaus zu umgehen. Die Regierung hat in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit. Für die Reform setzte sie auf die Unterstützung der konservativen Republicains. Bis zuletzt war jedoch unklar, ob ausreichend Abgeordnete der gespaltenen Fraktion das Vorhaben billigen würden. Dieses Risiko wollte die Regierung wohl nicht eingehen.

Proteste und Streiks

Nicht nur im Parlament waren die Pensionspläne äußerst umstritten. Die Gewerkschaften halten sie für brutal und ungerecht. Seit Wochen gingen immer wieder Hunderttausende zum Protest auf die Straße. Streiks sorgten für Chaos im Bahn- und Flugverkehr, es gab Müllberge auf den Straßen und ausfallende Unterrichtsstunden. Am Höhepunkt der Proteste beteiligten sich laut Innenministerium mehr als eine Million Menschen daran, die Gewerkschaft CGT sprach von 3,5 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Brennende Mistkübeln in Nantes (Frankreich) während Protesten gegen die Pensionsreform
APA/AFP/Loic Venance
Seit Wochen gibt es Proteste gegen die Reform

Auch nach der Entscheidung formierten sich in Paris spontane Proteste. Hunderte strömten am Donnerstagnachmittag auf die Place de la Concorde im Zentrum der französischen Hauptstadt. Die Gewerkschaften kündigten die Fortsetzung der Proteste und Streiks an, die Frankreich in den vergangenen Wochen in Atem gehalten hatten.

Riskanter Joker für Regierung

Der Artikel 49.3 gilt als Brechstange oder auch als Joker, der unter Umständen aber einen hohen politischen Preis fordert. Um ihn geltend zu machen, muss zunächst der Ministerrat grünes Licht geben. Die Premierministerin oder der Premierminister kündigt anschließend in der Nationalversammlung an, mit seiner Regierung die Verantwortung für das betreffende Gesetz zu übernehmen.

„Macron steckt in tiefster politischer Krise“

ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch analysiert die Lage und sagt: „Macron steckt in tiefster politischer Krise.“

Als Macron noch Wirtschaftsminister unter seinem Vorgänger Francois Hollande war, stand er der Nutzung des Artikels skeptisch gegenüber. Seit 1958 wurde der Artikel mehr als 40-mal genutzt. Bisher haben alle Regierungen die damit verbundenen Misstrauensanträge überstanden. Die derzeitige Premierministerin Borne hat den Artikel bereits elfmal genutzt.