EZB-Chefin Christine Lagarde
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Bankturbulenzen

EZB setzt nach Zinsschritt auf Beruhigung

Es sind turbulente Tage auf den Finanzmärkten: Erst sorgte die Pleite der US-amerikanischen Silicon Valley Bank (SVB) weltweit für Schockwellen an den Börsen. Dann ließ die Vertrauenskrise bei der Schweizer Großbank Credit Suisse (CS) Bankaktien erneut abstürzen. In dieser volatilen Lage musste die Europäische Zentralbank (EZB) über den Leitzins entscheiden – und stimmte für eine weitere Erhöhung auf 3,5 Prozent. Zugleich sendet die EZB Signale der Beruhigung an den Finanzmarkt.

Die Lage, in der das Gremium um EZB-Chefin Christine Lagarde zu entscheiden hatte, glich einer Zwickmühle: Einerseits haben die hohen Zinsen zuletzt für Schwierigkeiten an den Finanzmärkten gesorgt. Doch blieb der EZB zu einer weiteren Erhöhung keine gute Alternative: Die Zinserhöhung zu verschieben, um die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen, hätte in der angespannten Lage für noch mehr Unruhe sorgen können und Spekulationen zur Frage befeuert, ob die EZB möglicherweise schon über Problemlagen bei Banken weiß.

Was die Entscheidung der EZB wohl auch zusätzlich stützte, war das Bewahren ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, wenn es um die Fortsetzung des entschiedenen Kampfes gegen die hohe Inflation geht. Diese hohe Inflation ist ja die Folge einer langfristigen Entwicklung: Jahrelang war der Zinssatz bei 0,0 Prozent gelegen. Doch mit dem Ende der Pandemie sprang die Wirtschaft rasch wieder an, was wiederum die Inflation anheizte. Um diesem Vorgang zu entgegnen, kam es zur Zinsanhebung.

Grafik zeigt Leitzinsentwicklung seit 2000
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Doch kamen Faktoren hinzu, die die Lage verschärften: So sind die hohen Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen starke Inflationstreiber. Höhere Zinsen befeuern die Unruhe auf den Finanzmärkten, weil teureres Geld dazu führt, dass Schwächen in den Gebarungen der Banken zutage treten – so geschehen etwa bei der SVB, die zu Anleihenkäufen zu nachteiligen Konditionen gezwungen war, weil Kundinnen und Kunden ihr Geld abzogen.

Euro-Banken „widerstandsfähig und gut kapitalisiert“

Ein Umstand, den die EZB in ihrer Verantwortung für die Stabilität auf den Finanzmärkten freilich aufzugreifen hatte: Im Zuge der Verkündung des Zinsschritts erklärte EZB-Chefin Lagarde, dass sie bei Bedarf bereit sei, den Banken zu helfen. Es stehe eine Reihe von Instrumenten bereit, um die Stabilität des Finanzsystems zu stärken und die Geldhäuser mit Liquidität zu versorgen. Aus Sicht der EZB-Präsidentin ist der Bankensektor der Euro-Zone aber „widerstandsfähig und gut kapitalisiert“.

Zudem wurde erklärt, dass die Situation der Banken nicht mit jener vor der Finanzkrise 2008 (Stichwort Lehman-Pleite) zu vergleichen sei. Und tatsächlich sind die Kennzeichen andere: 2008 kollabierte das Finanzsystem unter der Vielzahl an faulen Krediten. Auslöser für die derzeitigen Turbulenzen ist erodiertes Vertrauen, ausgelöst durch grundlegend unterschiedliche Problemszenarien bei den betroffenen Banken. Die Fälle haben aber mit der Lage auf den Finanzmärkten nichts zu tun.

Keine Ansteckung von Euro-Banken geortet

Das versuchte die EZB – sie ist ja auch für die Kontrolle der Banken im Euro-Raum zuständig – am Freitag offenbar zu unterstreichen. Auf einer Sondersitzung des Gremiums der EZB-Bankenaufsicht sahen die Aufseher laut Reuters-Angaben die Stabilität der Branche in der Euro-Zone nach den jüngsten Turbulenzen nicht beeinträchtigt. Die Einlagen bei den Instituten seien stabil geblieben, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person nach der Sitzung.

Die Kontrolleure hätten auf der Sondersitzung keine Ansteckung von Geldhäusern der Euro-Zone durch die jüngsten Börsenturbulenzen ausgemacht. Zudem seien die Aufseher informiert worden, dass das Risiko der Banken bezüglich der strauchelnden Credit Suisse unwesentlich sei, wie Reuters unter Berufung auf eine informierte Person berichtete. Die Credit-Suisse-Aktien brachen am Freitag trotz eines milliardenschweren Stützungspakets der Schweizerischen Nationalbank (SNB) erneut ein.

Nachbörslich bekamen die Aktien jedoch wieder einen Schub nach oben: Denn laut einem Bericht der „Financial Times“ („FT“) spricht die Schweizer Großbank UBS mit der CS über eine Übernahme. Die UBS könnte dabei die CS komplett erwerben oder auch nur teilweise, berichtete das Blatt am späten Freitagabend unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. UBS und Credit Suisse lehnten einen Kommentar zu dem Bericht ab.

Kein Signal für weitere Zinserhöhungen

Und wie geht’s weiter? Die Märkte interpretierten die Beschlüsse der EZB offenbar als Signal für ein Ende des Zinserhöhungszyklus. Auch die EZB selbst ließ den weiteren Kurs im Kampf gegen die Teuerung offen: Anders als im Dezember und Februar gab die Notenbank kein Signal für weitere Zinserhöhungen über die aktuelle Sitzung hinaus. Doch strich Lagarde heraus, die Inflation weiter entschlossen bekämpfen zu wollen. Ein wichtiger Gradmesser für weitere Entscheidungen sei, wie schnell sich die höheren Zinsen auf die Wirtschaft niederschlagen.

OECD: Zentralbanken sollen „Kurs halten“

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) forderte die Zentralbanken am Freitag indes auf, trotz der Turbulenzen auf den Finanzmärkten „Kurs zu halten“ und die Zinssätze weiter anzuheben. Die Inflation stelle nach wie vor die größte Gefahr für die Weltwirtschaft dar. Gleichzeitig blickt die OECD verhalten auf die Entwicklung der Weltwirtschaft. Nach 3,2 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung dieses Jahr nur 2,6 Prozent wachsen und nächstes Jahr 2,9 Prozent.

Das sei unterhalb des langfristigen Wachstumstrends, teilte die OECD zudem mit. Aber die Stimmung bei Verbrauchern und Unternehmerinnen helle sich langsam auf – diese „zerbrechliche Erholung“ sei auf den Rückgang der Energie- und Lebensmittelpreise, die Lockerung der Pandemiebestimmungen in China und das steigende Vertrauen der Unternehmen zurückzuführen. Die „Financial Times“ zitierte OECD-Chefökonom Alvaro Pereira: Die Geldpolitik müsse so lange restriktiv bleiben, bis es klare Anzeichen dafür gebe, dass der Inflationsdruck dauerhaft gesenkt werde.

Fed entscheidet kommende Woche

Kommende Woche muss die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im Schatten der weiter schwelenden Bankenkrise ihren Zinskurs abstecken. Für die Sitzung am Mittwoch gilt eine kleine Erhöhung um einen Viertel-Prozentpunkt als wahrscheinlich. Die aktuelle Spanne liegt zwischen 4,50 und 4,75 Prozent. Die Fed versucht ebenso wie die EZB, mit ihrer strafferen Geldpolitik die Inflation einzudämmen – bis jetzt mit mäßigem Erfolg. Im Februar lag die Teuerungsrate mit 6,0 Prozent noch immer weit über der Zielmarke der Zentralbank von 2,0 Prozent.

In den USA bleibt die Situation derzeit weiter angespannt, so musste nach der CS in der Schweiz auch dort einer Bank geholfen werden: Die Regionalbank First Republic erhält angesichts von Liquiditätssorgen und heftigen Kursverlusten an der Börse eine insgesamt 30 Mrd. Dollar schwere Finanzspritze von den größten US-Geldhäusern, darunter JPMorgan Chase, Citigroup, Bank of America und Wells Fargo. Der Schritt sei „höchst willkommen“ und zeige die Widerstandskraft des Bankensystems, hieß es von US-Finanzministerium und Fed.