Der Internationale Gerichtshof in Den Haag
AP/Peter Dejong
Weltstrafgericht

Den Haag erlässt Haftbefehl gegen Putin

Wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Gegen Putin sei wegen der „unrechtmäßigen Deportation“ ukrainischer Kinder nach Russland Haftbefehl ergangen, erklärte das Gericht. Die Eröffnung des Verfahrens ist vor allem ein symbolischer Akt, ein tatsächlicher Prozess unwahrscheinlich.

Ein weiterer Haftbefehl erging demnach gegen die Kinderrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Maria Alexejewna Lwowa-Belowa, wegen des gleichen Vorwurfs. Einem entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan auf Ausstellung eines Haftbefehls hatten die Richter stattgegeben.

Es bestünden „vernünftige Gründe“ für die Annahme, dass Putin für die als Kriegsverbrechen einzustufende Verschleppung von Kindern auf russisches Territorium „persönlich verantwortlich“ sei, erklärte der Strafgerichtshof.

Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert, wird der Verdacht begründet. Der genaue Text der Haftbefehle wird nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen zu schützen, wie das Gericht mitteilte.

Haftbefehl gegen Putin

Der Internationale Strafgerichtshof IStGH) in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Das Gericht wirft ihm vor, für Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich zu sein.

Verfahren schon vor einem Jahr eingeleitet

Die Verbrechen hätten in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine „mindestens ab dem 24. Februar 2022“, dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, eingesetzt. Khan hatte vor einem Jahr Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. Er war dreimal persönlich in der Ukraine, unter anderem in der Region Kiew, wo es in Butscha ein Massaker gegeben haben soll.

Es ist der erste Haftbefehl, den das Gericht im Zusammenhang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen hat. Es ist aber unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch vor dem Gericht in Den Haag erscheinen wird. Aus früheren Verfahren wird deutlich, dass es schwierig ist, hochrangige Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen. In mehr als 20 Jahren gab es lediglich fünf Verurteilungen wegen Kernverbrechen – Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Bei keinem der Verurteilten handelt es sich um oberste Vertreter eines Machtapparats.

Keine Anerkennung durch Russland

Russland erkennt das Gericht nicht an, Moskau bezeichnete den Haftbefehl umgehend als „bedeutungslos“. „Die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofes sind für unser Land bedeutungslos, auch aus rechtlicher Sicht“, teilte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Freitag per Telegram mit, ohne Putin namentlich zu nennen. Moskau werde „nicht mit dem Gericht kooperieren“. Russland sei „kein Vertragspartner“ des IStGH und habe ihm gegenüber „keine Verpflichtungen“.

Der prominente Außenpolitiker Leonid Sluski regierte entsetzt. Er warf dem Gerichtshof in Den Haag vor, sich vom Westen politisch instrumentalisieren zu lassen. Das Gericht solle vielmehr einen Haftbefehl gegen den „ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seine Bande“ sowie gegen seine „westlichen Beschützer“ ausstellen. „Sie sind die wahren Kriegsverbrecher“, sagte Sluski weiter.

Lob aus Kiew

Die Kiewer Führung begrüßte die Entscheidung des IStGH. Der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Michailo Podoljak, sagte, die Entscheidung aus Den Haag sei „ein klares Signal an die (russischen) Eliten, was mit ihnen geschehen wird und warum es nicht ‚wie früher‘ sein wird“. Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak sagte, der Schritt sei „erst der Anfang“. Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte: „Internationale Verbrecher werden für den Diebstahl von Kindern und andere internationale Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Selenskyj selbst nannte die Entscheidung aus Den Haag eine historische Entscheidung. „Es wäre unmöglich gewesen, eine solche kriminelle Operation ohne die Zustimmung des Mannes an der Spitze des terroristischen Staates durchzuführen“, sagte er in seiner nächtlichen Videobotschaft.

Obgleich die Ukraine das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofes nicht ratifiziert hat, erkennt Kiew die Befugnis der Richterinnen und Richter für seit 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen die Ukraine an.

Könnte Putin vor Gericht landen?

Wegen russischer Kriegsverbrechen arbeitet der Internationale Strafgerichtshof an Anklagen. Russland erkennt den Strafgerichtshof aber nicht an.

Schwere Vorwürfe von UNO-Untersuchungskommission

Am Donnerstag hatte eine Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrats ihren Bericht veröffentlicht und darin zahlreiche Kriegsverbrechen durch russische Truppen aufgelistet. Dazu zählen vorsätzliche Tötungen, Angriffe auf Zivilistinnen und Zivilisten, rechtswidrige Gefangenschaft, Vergewaltigung und die Verschleppung von Kindern, hieß es in dem in Genf vorgelegten Bericht. Auch die Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine und der Einsatz von Folter könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.

Der zwangsweise Transfer ukrainischer Kinder nach Russland oder in von Russland kontrollierte Gebiete der Ukraine stellt nach Einschätzung von UNO-Ermittlern ein Kriegsverbrechen dar. Die Deportation von Kindern im großen Stil „verstößt gegen internationales humanitäres Recht und kommt einem Kriegsverbrechen gleich“, so die Ermittler. Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden bis Februar mehr als 16.000 Kinder aus der Ukraine nach Russland oder in russisch kontrollierte Gebiete verschleppt.

Erlass von Putin unterzeichnet

Das Ermittlerteam verwies auf Hinweise, laut denen russische Behörden ukrainische Kinder in Kinderheimen oder Pflegefamilien unterbringen und ihnen die russische Staatsbürgerschaft verleihen. Unter anderem habe Putin einen Erlass unterzeichnet, durch den Kinder unter bestimmten Bedingungen in vereinfachtem Verfahren russische Staatsbürgerinnen und -bürger werden können.

Die Experten untersuchten nach eigenen Angaben detailliert einen Fall, in dem 164 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 18 Jahren aus den ukrainischen Regionen Donezk, Charkiw und Cherson deportiert wurden. Den Eltern und den Kindern selbst sei von den russischen Sozialbehörden mitgeteilt worden, dass die Kinder in Pflegefamilien kommen oder adoptiert werden sollten. Die Kinder hätten die Furcht gehabt, dauerhaft von ihren Familien getrennt zu werden.

Genaue Datenauswertung

Für die Ermittlungen reiste die Kommission nach eigenen Angaben achtmal in die Ukraine und besuchte 56 Städte und Siedlungen. Außerdem seien Gräber, Haft- und Folterstätten inspiziert sowie Fotos und Satellitenbilder ausgewertet worden. Insgesamt seien 600 Betroffene befragt worden. Laut UNO-Zahlen wurden seit Beginn des Krieges mehr als 8.000 Zivilistinnen und Zivilisten getötet und mehr als 13.000 verletzt. Diese Zahlen spiegeln aber wohl nur einen Teil der wirklichen Zahlen wider, hieß es.

„Viele der vorsätzlichen Tötungen, rechtswidrigen Einsperrungen, Vergewaltigungen und sexuellen Gewalttaten wurden im Rahmen von Hausdurchsuchungen begangen, die darauf abzielten, Anhänger der ukrainischen Streitkräfte ausfindig zu machen oder Waffen zu finden“, stellte der Bericht fest. Die willkürlich verhafteten Menschen seien von den russischen Streitkräften oft in überfüllten Zellen unter schlimmsten Umständen gefangen gehalten worden.

Kommission drängt auf Strafverfolgung

Auch die ukrainischen Streitkräfte seien in einigen Fällen zu kritisieren. Willkürliche Angriffe und zwei Fälle von Folterung russischer Kriegsgefangener seien Kriegsverbrechen, so die Kommission.

Die Kommission drängt auf die Verfolgung der Straftäter. Eine Liste der mutmaßlichen Verantwortlichen sei erstellt und beschränke sich nicht nur auf das Militär, sagte der norwegische Vorsitzende der Kommission, Erik Mose. Das Mandat der Kommission umfasse vielmehr alle Ebenen. „Wir haben Fortschritte bei der Identifizierung von Personen und zum Beispiel Einheiten gemacht“, sagte Kommissionsmitglied Pablo de Greiff. Diese Liste werde dem UNO-Hochkommissar für Menschenrechte übergeben und sei nicht Teil des Berichts, hieß es.