Flaggen im Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel
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Nach deutscher Blockade

EU-Gipfel im Schatten des Verbrennerstreits

Am Donnerstag und Freitag kommen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfel zusammen. Auf der Agenda steht neben der Wettbewerbsfähigkeit und dem Ukraine-Krieg erneut das Thema Migration. Überschattet werden dürfte der Gipfel allerdings von Streitigkeiten über das Verbrenner-Aus und „grüne“ Atomkraft.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Gespräche über das Verbrenner-Aus zwischen dem deutschen FDP-geführten Verkehrsministerium und der EU-Kommission auf einem „guten Weg“. Das sagte er bei seiner Ankunft in Brüssel. Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) erwartete indes keine schnelle Einigung. Befürchtet wurde bis zuletzt, dass der Streit über das geplante Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor auch bis zum Beginn des Gipfels ungelöst bleibt.

Eigentlich hatten sich Unterhändler der Kommission, des Europaparlaments und der EU-Staaten schon im Herbst darauf verständigt, dass in der EU ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Eine für Anfang März vorgesehene Bestätigung des Deals durch die EU-Staaten – eigentlich eine Formalie – wurde wegen Drucks aus Deutschland abgesagt. Konkret fordert die deutsche FDP, dass auch nach 2035 noch Neuwagen mit Verbrenner zugelassen werden dürfen, die klimaneutrale E-Fuels tanken.

Berlin verwies am Mittwoch auf Nachfrage auch auf einen entsprechenden, rechtsunverbindlichen Passus, auf den man sich bei den Trilogverhandlungen im Herbst ebenso verständigt hatte. Die Nachverhandlungen bezeichnete der Sprecher zudem als „ganz normales europäisches Verfahren“.

Brüssel setzt auf Dialog

Die Kommission ist indes um Dialog bemüht: Am Dienstag legte die EU-Behörde einen Lösungsvorschlag vor. Darin werden Berichten zufolge Kriterien für die Zulassung neuer Fahrzeuge definiert, die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden können. Ein Mischbetrieb soll so ausgeschlossen werden.

Ein deutscher Regierungssprecher wollte den Vorschlag der Kommission Mittwochnachmittag nicht kommentieren. Schützenhilfe bekommt Deutschland in der Debatte von weiteren Nationen, darunter Polen, Tschechien und Österreich: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kündigte etwa an, im Falle des Falles im Europäischen Rat gegen ein Verbrenner-Aus zu stimmen.

EU-Gipfel in Brüssel

Am Donnerstag findet ein Gipfel der EU-Staats- und -Regierungsspitzen statt. Themen wie der Ukraine-Krieg, Industrie und Wirtschaftspolitik werden besprochen. ORF-Korrespondent Robert Zikmund berichtet von dort.

Italien will nun überhaupt auch für den Einsatz von Verbrennern mit Biosprit kämpfen, wie Reuters am Mittwoch berichtete. Die Sorge vor einem Präzedenzfall im politischen Prozess angesichts der Streitigkeiten ist in der EU groß.

Wettbewerbsfähigkeit als zentrales Thema

Fix ist, dass die Staats- und Regierungschefs sich mit der Frage befassen, wie die EU den USA und China wirtschaftspolitisch Paroli bieten kann. Die Kommission hat dazu erst vergangene Woche zwei Schlüsselvorhaben präsentiert: den „Net Zero Industry Act“ sowie den „Critical Raw Materials Act“.

Einerseits will die EU mit den Vorhaben „grüne“ Technologien in Reaktion auf das milliardenschwere US-Subventionspaket – bekannt auch als Inflation Reduction Act (IRA) – ausbauen. Andererseits soll sie bei wichtigen Rohstoffen wie Lithium und seltenen Erden für Autobatterien und Smartphones von China unabhängiger werden.

Arbeiter in Fabrik für Weiterverarbeitung seltener Erden in China
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Die EU will bei wichtigen Rohstoffen wie Lithium und seltenen Erden unabhängiger von China werden

Vor allem der „Net Zero Industry Act“ bzw. Netto-Null-Industrie-Gesetz sorgte für Debatten. Fachleute der Denkfabrik Bruegel zeigten sich über publik gewordene Entwürfe des Vorhabens besorgt, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Die politischen Ziele seien unverhohlen protektionistisch, lautete die Kritik.

Gezank über „grüne“ Atomkraft?

Gesprächsstoff dürften ferner Frankreichs Bestrebungen, dass Atomkraft im Zuge des Gesetzes als „sauber“ eingestuft werden soll, liefern. Der innenpolitisch unter Druck stehende französische Präsident Emmanuel Macron will sich Berichten zufolge auf dem Gipfel für Atomkraft starkmachen. Frankreich bezieht immerhin einen großen Teil seines Stroms aus Atomkraft.

Macron plant daher auch ein Treffen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD). Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnete den Vorstoß, nukleare Energie als erneuerbare Energie zu fördern, im Vorfeld als „völlig falsche Entscheidung“. Kernkraft sei „keine erneuerbare Energiequelle“, verlautete aus deutschen Regierungskreisen.

Mercosur-Deal und Energie als weitere Themen

Unmut herrscht in Österreich auch bei der Handelspolitik: Zur Sprache dürfte im Zuge einer für Donnerstagabend geplanten Diskussion zur Freihandelspolitik etwa das Abkommen mit den Mercosur-Staaten kommen, das Österreich weiterhin ablehnt. Andere kritische Stimmen, etwa aus Frankreich und Irland, sind mittlerweile hingegen leiser geworden.

Weniger kontrovers ist das Kapitel Energie und Versorgungssicherheit: Die EU-Kommission sprach sich in ihren Plänen zur Strommarktreform jüngst dafür aus, die Verbraucher durch mehr Festverträge mit stabilen, langfristigen Preisen abzusichern. Die von Österreich und anderen geforderte Entkopplung des Strom- und Gaspreises kommt darin aber nicht vor.

Ukraine-Krieg erneut im Fokus

Einmal mehr wird sich der Europäische Rat auch mit dem Ukraine-Krieg beschäftigen. Es ist auch der erste Tagesordnungspunkt am Donnerstag: Der Gipfel beginnt mit einer gemeinsamen Arbeitssitzung mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, wie Ratspräsident Charles Michel in seinem Einladungsbrief mitteilte. Guterres wolle hier vor allem das Thema Lebensmittelsicherheit ansprechen, hieß es. Zu dem Treffen per Video zugeschaltet soll dem Brief zufolge auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj werden.

Der EU-Gipfel will den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin „zur Kenntnis nehmen“. Im Entwurf der Gipfelerklärung ist ein Hinweis auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und die illegale Deportation von ukrainischen Kindern nach Russland enthalten.

Die EU-Staats- und -Regierungschefs dürften ein Munitionspaket für die Ukraine abnicken, auf das sich die Außen- und Verteidigungsminister Anfang der Woche verständigt hatten. Ziel sei es, die Ukraine „mit einer Million Schuss Munition innerhalb der kommenden zwölf Monate zu beliefern“, so Michel. Das Paket im Wert von zwei Milliarden Euro soll aus einem EU-Sondertopf finanziert werden. Österreich beteiligt sich zwar grundsätzlich finanziell an der EU-Friedensfazilität, aber aus Gründen der Neutralität nur für nicht tödliche Ausrüstung.

Bundeskanzler Karl Nehammer
Reuters/Johanna Geron
Mehr Bewegung beim Außengrenzschutz wünscht sich Österreichs Kanzler Karl Nehammer

Dauerbrenner Migration

Und auch ein weiterer Dauerbrenner darf bei dem EU-Gipfel nicht fehlen: Migration. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will über Fortschritte bei der Sicherung der Außengrenzen berichten, wie sie in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs festhielt. Ein von Österreich erzwungener Sondergipfel hatte sich im Februar unter anderem darauf verständigt, dass die Außengrenzen besser geschützt und abgelehnte Asylbewerber konsequenter abgeschoben werden sollen. Erst diese Woche stellte die EU-Kommission zwei Pilotprojekte zum Schutz der Außengrenzen vor.

„Nach dem Sondergipfel im Februar ist es jetzt an der Zeit, tatsächlich konkrete Ergebnisse auf den Boden zu bringen“, sagte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), die für einen „klaren Zeitplan“ plädierte und sich für Unterstützung der Länder an den EU-Außengrenzen aussprach, am Dienstag zudem.

Nehammer ortet Bewegung

In dieselbe Kerbe schlägt Bundeskanzler Nehammer in einem Statement: Es gehe darum, dass die Kommission die vereinbarten finanziellen Mittel „auch tatsächlich zur Verfügung stellt“. In Hinblick auf das Pilotprojekt für beschleunigte Asyl- und Rückkehrverfahren in Nähe der EU-Außengrenze gebe es Bewegung, so der Kanzler. „Österreich hatte diese Initiative vorgeschlagen, weil sie ein wichtiges Signal an die Schlepper ist.“

Kritik kam vom Migrationsforscher Gerald Knaus: „Um es ganz klar zu sagen: Nichts, was die EU-Kommission vorschlägt, nichts in dem Brief der Kommissionspräsidentin wird eines der drängenden Probleme lösen“, sagte er dem ORF Brüssel. „Es werden nicht weniger Menschen in die Boote steigen, es werden nicht weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken“, sagte er. Auch Herausforderungen für Staaten wie Österreich und Deutschland, die sehr viele Menschen aufnehmen, würden dadurch nicht erleichtert.

Zum Abschluss des Gipfels diskutieren die 20 Euro-Länder am Freitag mit der Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde. Im Zentrum stehen die jüngsten Bankenkrisen in den USA und der Schweiz.