Abstrakte Grafik zeigt Verbindung zwischen Datenpunkten
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Pandemiemonitoring

Verpasste Chancen als Lehre für die Zukunft

Mit Auslaufen des Variantenmonitorings in bisheriger Form im April und dem Ende der Meldepflicht im Sommer stellt sich auch die Frage, ob und in welcher Form künftig Covid-Fälle erfasst werden. Das Gesundheitsministerium evaluiert derzeit, Fachleute plädieren für eine flächendeckende Überwachung aller Atemwegsinfekte – und vor allem für eine Aufarbeitung der bisherigen Versäumnisse im Datenmanagement.

Vor mehr als drei Jahren fanden Begriffe wie Inzidenz, Testpositivitätsrate und effektive Reproduktionszahl ihren Weg in die Alltagssprache. Im Verlauf der Pandemie haben sich einige der Parameter verändert oder sind gänzlich wieder verschwunden, andere sind hinzugekommen – lückenhaft ist die Datenlage aber auch nach über drei Jahren noch.

Zu Beginn der Pandemie war es vor allem die Diskrepanz verschiedener Fallzahlen, die für Rufe nach Vereinheitlichung sorgte. So gab es neben Zahlen des Krisenstabs aus den Bundesländern parallel auch jene aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS). Gleichzeitig wurden späterhin Forderungen nach differenzierten Daten laut, etwa im Bereich der Hospitalisierung.

So gab es kaum Verknüpfungen unterschiedlicher Parameter, wie lange etwa Patientinnen und Patienten im Schnitt im Spital bleiben wurde genauso wenig regelmäßig öffentlich gemacht wie die Zahl der Reinfektionen.

„Digitalisierungsrückstand im Gesundheitssystem“

„Das Thema war immer Verknüpfungen“, erklärt der Komplexitätsforscher Peter Klimek gegenüber ORF.at. Mit Daten zum Zusammenhang von Krankheitsverläufen und Gesundheitsstatus oder Sozioökonomie hätte es auch eine bessere Grundlage zur Abwägung etwa von Schulschließungen gegeben.

„Man hätte zum Beispiel sehen können, in welchen Berufen ein erhöhtes Risiko besteht und sich Debatten ersparen oder evidenzbasierter führen können.“ Klimek spricht von einem „Digitalisierungsrückstand im Gesundheitssystem“, die „beträchtlichen Lücken“ gebe es nicht nur bei CoV-Daten, sondern generell.

Auch für den Simulationsforscher Niki Popper ist das Hauptproblem der Covid-Daten nach wie vor die dezentrale Erfassung: „Wir brauchen Lösungen, wie die fragmentierten Bereiche im Gesundheitssystem für konkrete Fragestellungen sicher zusammengeführt werden.“

Marge mit Proben auf Eis in einem Labor
APA/Roland Schlager
Die Covid-Pandemie hat digitalen Lücken im Gesundheitssystem offenbart. Es fehlt vor allem an Verknüpfungen der Daten.

Mit Auslaufen der Meldepflicht bietet sich nun die Gelegenheit, eine Surveillance aufzubauen, die auf den Lehren des Pandemiedatenmanagements fußt. Das Abwassermonitoring werde weiterhin laufen, sonstige Prozesse seien gerade in Ausarbeitung, heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium auf Anfrage.

Breites Monitoring auf vier Säulen

Seitens der EU-Gesundheitsbehörde ECDC gibt es bereits eine Empfehlung, die das Monitoring aller schwerer und akuter Atemwegsinfekte vorsieht. „Es geht darum, eine Surveillance aufzubauen, welche die Ausbreitung von allen schweren Atemwegsinfekten auf vier Säulen abbildet“, erklärt Popper. Dazu zählen die Situation in Spitälern, Meldungen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, das Abwassermonitoring sowie ein Variantenmonitoring mittels Sequenzierungen.

Zum einen soll erfasst werden, welche und wie viele Personen mit welchem viralen Infekt im Krankenhaus aufgenommen werden, um die Last aller Viruserkrankungen abzubilden („SARI Surveillance“). Entsprechende Daten erleichtern es zu prognostizieren, wie Wellen verlaufen und welche Kapazitäten in Spitälern benötigt werden.

Gleichzeitig sollen Meldungen im niedergelassenen Bereich sowie Daten aus dem Abwassermonitoring den Emissionsgrad in der Bevölkerung abbilden. „Einiges kann man im Abwasser nicht sehen, aber dafür kann man sehr gut Änderungen und Trends ablesen, wenn eine neue Variante kommt“, erläutert der Simulationsforscher. Denn die ausgeschiedene Virenlast pro erkrankter Person ist je nach Variante unterschiedlich.

„Seismograf“ der Infektionswellen

Wichtig ist demnach die Kombination zentraler Indikatoren und das Monitoring aller akuten Atemwegsinfekte. Das habe sich auch im vergangenen Winter gezeigt, als neben Covid-19 auch RSV und Grippe die Kapazitäten in Spitäler und Ordinationen an ihre Grenzen gebracht haben, so Klimek.

Als vierte Säule der Surveillance spielt auch das Variantenmonitoring eine wichtige Rolle, um zu erkennen, wie sich Infektionswellen entwickeln – nicht nur bei Covid-19. Doch künftig stellt sich die Frage, woher die Daten für die Sequenzierung kommen: „Wenn weniger Personen PCR-Tests machen, werden die Variantenanalysen zur Herausforderung“, erklärt Ulrich Elling vom Institut für molekulare Biotechnologie der Akademie der Wissenschaften.

Zwar sei Österreich in Bezug auf das Variantenmonitoring Vorbild, doch im April soll die Analyse der PCR-Proben auf 1.500 Sequenzierungen pro Woche reduziert werden. „Das wird aber reichen, um zu sehen, wie die Lage ist“, meint der Experte zu ORF.at.

Mit dem Variantenmonitoring könne man, ähnlich wie Seismografen bei Erdbeben, kommende Wellen vorhersehen, bevor der Tsunami an Land gehe, so Elling. „Wichtig ist jedoch, die Proben zeitnahe nach der Entnahme zu analysieren und zu veröffentlichen, damit die Daten Mehrwert schaffen.“

Durch den Vergleich der Varianten in Spitälern mit anderen Kontrolldatensets – zum Beispiel den Abwasserdaten – könne man etwa erkennen, welche Mutationen im Krankenhaus überrepräsentiert seien. „Damit hat man ein Maß, ob es gefährliche Varianten gibt.“

„Mutantenjägerin“ Luisa Cochella beim Betrachten der Strukturen von Corona-Spike-Proteinen
APA/Roland Schlager
Auch das Variantenmonitoring sollte zentral aufgebaut werden und alle schweren Atemwegsinfekte umfassen, so Fachleute

„Technisch wäre es möglich“

Das Problem sei jedoch die Logistik, denn entsprechende Proben müssten in den Krankenhäusern entnommen und in eine einheitliche Datenbank eingemeldet werden. „Es braucht eine systematische, zentrale Lösung, wie man Viren misst“, so Elling. Molekularbiologisch sei es das Gleiche, was es brauche, nämlich eine einheitliche Infrastruktur.

Entscheidend sei auch für die Modellrechner, die Daten zu bekommen, so Popper. „Technisch wäre es möglich“, Szenarien für die Auslastung in den Spitälern zu analysieren, vor allem, wie die niedergelassene Versorgung in bestimmten Regionen mit der Krankenhausversorgung zusammenspiele. Man müsse sich überlegen, welche Daten wie erfasst und was damit erreicht werden solle.

Nicht nur für mittelfristige Prognosen, sondern auch langfristig ist es für das Gesundheitsmanagement und die Forschung wichtig, ein valides Monitoring aufzubauen. „Es geht darum, Wissen zu sammeln im ewigen Katz- und Mausspiel zwischen Virus und Immunsystem“, so Elling. Die Entwicklung angepasster Impfstoffe etwa sei wichtig für diese und zukünftige Pandemien.

Zudem hänge das Fehlen harter Fakten, wofür man belastbare Daten brauche, direkt mit Wissenschaftsskepsis zusammen, so Klimek. Debatten über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen würden im evidenzfreien Raum geführt. „Es fehlt das Vertrauen, dass evidenzbasiert entschieden wird.“ Die offenbarten Datenlücken zu schließen und verfügbar zu machen, gehe nicht nur über die Pandemiesituation hinaus, es sei auch notwendig für ein vernünftiges Gesundheitsmanagement.