Cabrio auf Landstraße mit Bergen im Hintergrund
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Klimapolitik

Zwischen Kultur- und Wahlkampf

In der deutschen „Ampelkoalition“ ist lange nichts weitergegangen. Monatelang suchte man vergeblich nach einer Lösung, wie das versprochene „Klimaschutzsofortprogramm“ auf den Weg gebracht werden könnte. Die Grünen sahen die Schuld bei der FDP, die Liberalen würden sämtliche Vorhaben blockieren und „Klimaschutz zu einem Kulturkampf machen“, wie es Vizekanzler Robert Habeck formulierte. Parallelen zu Österreich sind nicht ganz von der Hand zu weisen.

Sonntagabend trafen sich die Spitzen von SPD, Grünen und FDP zu einem Koalitionsausschuss, um ihre Streitigkeiten beizulegen. Es dauerte geschlagene 30 Stunden, bis sie das 16-seitige Ergebnis präsentieren konnten, das sich „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ nennt. Die Bewertung fiel sehr unterschiedlich aus: SPD und FDP zeigten sich zufrieden, bei den Grünen herrschte Ernüchterung. Den eigenen Ansprüchen im Kampf gegen die Erderwärmung kann das Papier nicht genügen.

Die Grünen mühten sich zwar zu betonen, dass mit den Beschlüssen wesentliche Blockaden der letzten Monate gelöst worden seien. In einem internen Papier hieß es aber auch: „Zur Ehrlichkeit gehört zugleich: Es bleibt eine Menge zu tun – insbesondere beim Klimaschutz im Verkehr. Hier ist die Lücke weiter sehr groß.“ Mehr sei in dieser Koalition nicht möglich, sagte Habeck.

„Solarautobahn“ als „Sinnbild des Versagens“

Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte – so wie das Gros der deutschen Medien – kritisch: „Die Bundesregierung baut weiter kräftig Autobahnen. Sie werden aber mit Solaranlagen an den Lärmschutzwänden ausgestattet. Asphalt mit grüner Einrahmung. So was ist: Placebo-Politik. Es ist das, was herauskommt, wenn FDP und Grüne, die beim Zukunftsthema Klima zu wenig gemeinsame Schnittmengen haben, zusammen eine Regierung bilden und von einem selbst ernannten Klimakanzler von der SPD angeführt werden, der seinen Job nicht macht. Die ‚Solarautobahn‘ ist das Sinnbild für das daraus erwachsende Versagen.“

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) und der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Reuters/Michele Tantussi
Die Positionen von FDP-Chef Christian Lindner und Habeck harmonisieren nur sehr eingeschränkt

„Österreich ist das Autoland schlechthin“

Schwenk nach Wien: Fleischkonsum und Auto zu verbieten seien keine Antworten, sondern Rückschritte, sagte ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer am 10. März bei seiner „Rede zur Zukunft der Nation“. „Manchmal hat man das Gefühl, dass man sich entschuldigen muss, dass man überhaupt auf der Welt ist.“ Er wolle die Sorgen der Jungen nicht kleinreden, aber man müsse mit Kreativität und Innovation in der Technologie gegen den Klimawandel vorgehen, und „dieser Untergangsapokalypse“ entgegentreten. „Österreich ist das Autoland schlechthin“, und „auch ich werde mich dagegen aussprechen, den Verbrennungsmotor zu verbannen“.

Klimaschutzorganisationen reagierten entsetzt, der grüne Koalitionspartner brauchte einen Tag, um sich zu sammeln. „Ideologisches Festhalten am Verbrenner und ein bisschen Technologie werden das Klima nicht retten“, sagte dann Umweltministerin Leonore Gewessler. Die Grünen würden dafür sorgen, „dass dieses Land auch in zehn Jahren noch lebenswert ist. Wir nehmen die Klimakrise und die Sorgen der Menschen in Österreich ernst. Das sollte auch der Kanzler tun.“

Vizekanzler Werner Kogler sah in der Rede von Nehammer zwar kein Problem für die Koalition, gab aber zu bedenken: Man solle „nach vorwärts arbeiten und nicht das Heil in der Vergangenheit suchen“.

Verbotsmentalität vs. Technologieoffenheit

Die Fronten dies- und jenseits der Grenze sind also abgesteckt: Auf der einen Seite die Grünen, die im Kampf gegen die Klimakrise auf „Entschlossenheit und Mut“ setzen und Kompromisse oft als Verwässerung verstehen. Auf der anderen Seite die Konservativen, die „nicht mit Verboten arbeiten“ wollen, sondern Investitionen in Wissenschaft und Technologie für ausreichend erachten, um der Krise beizukommen. Eine Einschränkung der individuellen Freiheit wird entschieden abgelehnt.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
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Auch in Österreich tun sich die Koalitionspartner in Fragen der Klimapolitik schwer

Für Melanie Pichler, Politikwissenschaftlerin an der Universität für Bodenkultur Wien, ist diese Freiheitsbeschwörung „auf zwei Ebenen inkonsistent“, wie sie im Gespräch mit ORF.at sagte. Zum einen sei es inkonsistent, die „Offenheit“ der Technologie im Klimaschutz zu betonen, in anderen Bereichen aber sehr wohl auf Verbote zu setzen.

Pichler beruft sich dabei unter anderem auf das Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich, wonach andere Sprachen als Deutsch in Bildungsanstalten in den „Pausen und am Schulhof“ unterbunden oder das Gendern – „um einen Beitrag gegen einen ideologisierten und unsachgemäßen Gebrauch zu leisten“ – unterlassen werden sollte.

Dringlichkeit verschärft Konflikt

Zum anderen sei es das Wesen der Politik, Regeln zu erstellen und Eingriffe vorzunehmen. Ohne diese Berechtigung „bräuchte es keine Politik“. Dass der Klimaschutz zunehmend für „Konfliktlinien“ sorge, sei der gestiegenen Relevanz des Themas geschuldet, es bleibe nur ein kurzer Zeitrahmen, um gegenzusteuern. Mit der Dringlichkeit würden auch die Abwehrreaktionen steigen – eine „Egal“-Haltung „geht nicht mehr“, so Pichler.

Veränderungen seien immer schwierig hinzunehmen, doch führe kein Weg daran vorbei. In Österreich sei noch viel zu wenig getan worden, die erzielten Kompromisse hätten nur auf „kosmetischer Ebene“ Bedeutung. Je länger man zögere, desto mehr werde sich die Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern, schon jetzt hinke Europa etwa bei der Entwicklung von E-Autos deutlich hinterher.

Koalitionsklima zunehmend belastet

Am Mittwochnachmittag hat die grüne Abgeordnete Nina Tomaselli die ÖVP im Nationalrat für die gescheiterte Mietpreisbremse attackiert. Und Sozialminister Rauch (Grüne) hofft auf eine Regierung mit der SPÖ und NEOS nach der nächsten Wahl – eventuell ein Revanchefoul nach Kanzler Karl Nehammers (ÖVP) Zukunftsrede mit klaren Absagen an Kernthemen der Grünen.

Kompromissfindung immer schwieriger

Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik sieht in den jüngsten Entwicklungen eher Wahlkampf denn Kulturkampf. Die Koalitionspartner seien sich einig in dem Ziel, der Klimakrise entgegenzuwirken, nur sei der bevorzugte Weg und das Tempo dahin unterschiedlich.

Die Rede Nehammers habe primär dazu gedient, „klare Kante“ zu zeigen und Signale an die Wählerschaft auszusenden. Je näher der nächste Wahltermin rücke, desto deutlicher würden diese „Signale“ ausfallen und desto schwieriger werde es, Kompromisse innerhalb der Koalition zu finden – jüngstes Beispiel sei die gescheiterte Einigung bei der Mietpreisbremse.

Klimaprotest in Berlin
AP/Michael Sohn
Das deutsche Bundesverfassungsgericht stellte vor 2021 fest: Wer jetzt nicht das Klima schützt, zerstört die Freiheit in Zukunft

Klimakrise „fordert übliches Denken heraus“

Der deutsche Journalist Jonas Schaible schrieb bereits 2020 in einem mit dem Deutschen Reporterpreis für den besten Essay des Jahres ausgezeichneten Beitrag: „Um Missverständnissen, bewussten wie unbewussten, vorzubeugen, sei gesagt, dass sie (die Klimakrise; Anm.) mitnichten das einzige Problem ist, um das sich Politik kümmern sollte, auch wenn sie über kurz oder lang mit allen anderen Problemen interagiert. Wichtig ist zunächst die Einsicht, dass sie das übliche Denken herausfordert, dass sie auch Widersprüche erzeugt, die man sich bewusst machen muss, bevor man produktiv mit ihnen umgehen kann. Man kann, darum geht es, der Klimakrise nicht mit den eingeübten Mechanismen der Vernunft begegnen und auch nicht mit den üblichen Mitteln der Politik.“

Indirekt gab ihm ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 recht: Das Klimaschutzgesetz aus dem Jahr 2019 sei in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar, urteilten die Richterinnen und Richter. Da in dem Gesetz lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionsverringerung vorgesehen sind, würden die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und damit zulasten der jüngeren Generation verschoben. Die deutsche Regierung besserte nach und verankerte das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045. In Österreich lässt ein solches Gesetz auch nach drei Jahren Schwarz-Grün noch auf sich warten.