Demonstrant springt auf brennende Mülltonnen
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Pensionsreform

Wütende Proteste auf Frankreichs Straßen

In mehreren französischen Städten haben am Donnerstag Hunderttausende Menschen gegen die Pensionsreform protestiert. Laut Innenministerium beteiligten sich landesweit knapp 1,09 Millionen Demonstrierende. Die Gewerkschaft CGT sprach von 3,5 Millionen Menschen, die an den Streiks und Protesten teilnahmen. Es war die bisher größte Anzahl seit Beginn der Proteste, in einigen Städten kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

In Paris sprach das Innenministerium von 119.000 Demonstrierenden und die CGT von 800.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Aus der zweitgrößten französischen Stadt Marseille berichteten die Gewerkschaften von 280.000 Protestierenden, in Bordeaux gingen den Angaben zufolge 110.000 und in Nantes 80.000 Menschen auf die Straße. Innenminister Gerald Darmanin zufolge waren in Erwartung der Proteste rund 12.000 Polizisten abgestellt worden – 5.000 davon alleine in Paris.

Darmanin sprach am Freitag im Sender CNews von 457 Festnahmen. Etwa 440 Polizisten und Gendarmen seien bei Ausschreitungen verletzt worden. Allein in Paris habe es etwa 900 Feuer am Rande der Proteste gegeben.

Wut über Anhebung des Pensionsalters

Die Proteste richten sich gegen die schrittweise Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre und das Vorgehen der Regierung unter Präsident Emmanuel Macron. Außerdem soll die Zahl der nötigen Einzahlungsjahre für eine volle Pension schneller steigen. Damit soll eine drohende Finanzierungslücke der Pensionskasse abgewendet werden. Die Gewerkschaften halten das Projekt für ungerecht und brutal.

Demo in Paris
AP/Thomas Padilla
Der Demonstrationszug auf dem Place de la Bastille in Paris

Festnahmen in Paris

Im Zentrum von Paris kam es bei einer anfänglich friedlichen Kundgebung zu Zusammenstößen, nachdem Einsatzkräfte von kleinen „Schwarzer Block“-Gruppen mit Wurfgeschoßen angegriffen und Müllcontainer in Brand gesetzt wurden. Die Polizei setzte Tränengas ein, eine Filiale einer Schnellimbisskette wurde geplündert. Schaufensterscheiben wurden eingeworfen, Bänke demoliert. Innenminister Darmanin schrieb am Abend von mehr als 120 verletzten Einsatzkräften und mehr als 80 Festnahmen.

Frankreich: Präsident Macron unter Druck

In Frankreich kam es erneut zu Protestmärschen und Ausschreitungen. Präsident Emmanuel Macron gerät mit seinen Pensionsreformplänen immer stärker unter Druck.

Tumulte gab es auch in mehreren anderen Städten. In Bordeaux setzten die Demonstranten das Portal des Rathauses in Brand. Dort und auch in Nantes feuerte die Polizei Tränengasgranaten auf Demonstrierende. In Rennes setzte sie Wasserwerfer ein. In Lorient wurde laut der Zeitung „Ouest-France“ durch Wurfgeschoße der Hof einer Polizeiwache in Brand gesetzt. Am Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle brach ein wilder Streik aus, Protestierende blockierten die Zufahrt zu einem Terminal.

Rathaus in Bordeaux in Flammen
Reuters/Twitter@bookee0
Das brennende Portal des Rathauses in Bordeaux

Reform durch Parlament gedrückt

Es war der erste Protesttag gegen die Reform, seit Premierministerin Elisabeth Borne auf Anweisung Macrons zur Durchsetzung der Reform auf den Verfassungsparagrafen 49.3 zurückgegriffen hatte. Demzufolge kann ein Gesetz ohne Schlussabstimmung im Parlament verabschiedet werden, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht. Am Montag war die Regierung bei einem solchen Votum knapp ihrem Sturz entgangen.

Seit die Pläne bekanntwurden, kam es immer wieder zu Generalstreiks und Demonstrationen, die meist friedlich verliefen. Seit aber Macrons Regierung die Reform in der vergangenen Woche durch einen Verfahrenskniff unter Umgehung einer Abstimmung im Parlament auf den Weg gebracht hatte, hat der Widerstand an Schärfe gewonnen.

„Allgemeines Interesse des Landes“

Macron hatte in den vergangenen Wochen geschwiegen, am Mittwoch rechtfertigte er die Reform schließlich in einem Interview mit den Sendern TF1 und France 2 TV. Dort sagte er, dass die Pensionsreform „bis zum Jahresende“ in Kraft treten soll. „Wir warten noch auf das Urteil des Verfassungsrats“, so Macron. Der Verfassungsrat könnte Teile der Reform kippen, doch wann er entscheidet, ist unklar.

Arbeiter bestreiken Öldepot in Fos-sur-Mer
APA/AFP/Nicolas Tucat
Arbeiterinnen und Arbeiter bestreiken ein Öldepot in Fos-sur-Mer

„Wir verlangen von den Menschen eine Anstrengung. Das ist nie beliebt.“ Aber, so Macrons Rechtfertigung: „Zwischen den Umfragen und der Kurzfristigkeit und dem allgemeinen Interesse des Landes entscheide ich mich für das allgemeine Interesse des Landes.“ Die Reform sei notwendig, die meisten europäischen Länder hätten bereits für ein höheres Pensionsantrittsalter gestimmt.

Viele Leute seien wütend, sagte der CGT-Vorsitzende Philippe Martinez am Tag nach Macrons Aussagen. Die Situation sei explosiv. Er und andere Gewerkschaftsführer riefen zur Ruhe auf, zeigten sich aber verärgert über Macrons „provokative“ Kommentare. Laurent Berger, Chef von Frankreichs größter Gewerkschaft CFDT, sagte dem Sender BFM TV, Macrons Äußerungen hätten die Wut verstärkt.

„Er ist derjenige, der das Land in Brand setzt“

„Er ist derjenige, der das Land in Brand setzt“, sagte Celine Verzeletti von der Gewerkschaft CGT dem Radiosender France Inter. Am Mittwoch hatte Macron in einem Fernsehinterview sein Vorhaben verteidigt. Zudem verglich er die Proteste mit dem 6. Jänner 2021, dem Tag des Sturms auf das Kapitol in Washington.

Macron selbst vermied am Donnerstag den Kontakt zur Öffentlichkeit und stellte sich bei seiner Ankunft auf dem EU-Gipfel in Brüssel entgegen den Gepflogenheiten nicht Reporterinnen und Reportern.