Militärs aus Belarus
IMAGO/SNA/Viktor Tolochko
Atomwaffen in Belarus

Westen zwischen Sorge und Bedacht

Nach der Ankündigung von Kreml-Chef Wladimir Putin, beim abhängigen Partner Belarus taktische Atomwaffen zu stationieren, löst in Europa und den USA unterschiedliche Reaktionen aus. Während die NATO gelassen bleibt und beobachtet, ist man in Osteuropa und der Ukraine alarmiert.

Die Ukraine forderte eine deutliche internationale Reaktion auf die Ankündigung Russlands. Das ukrainische Außenministerium verlangte am Sonntag in einer Erklärung eine außerordentliche Sitzung des UNO-Sicherheitsrats. Die Ukraine erwarte „wirksame Schritte“ seitens Großbritanniens, Chinas, der USA und Frankreichs, um die „nukleare Erpressung“ durch Russland zu beenden, erklärte das ukrainische Außenministerium.

Kiew appellierte in der Erklärung somit an die vier Staaten, die neben Russland einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat innehaben. „Der Kreml hat Belarus als nukleare Geisel genommen“, so der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Olexij Danilow, am Sonntag auf Twitter. Diese Entscheidung sei ein „Schritt in Richtung der inneren Destabilisierung des Landes“.

Polen alarmiert

Auch Polen kritisierte die Ankündigung Putins scharf. „Wir verurteilen diese Verstärkung der Bedrohung des Friedens in Europa und der Welt“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Warschau der Agentur PAP zufolge am Sonntag. Russlands Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus verstoße direkt gegen die Verfassung von Belarus, kritisierte auch die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja auf Twitter.

Fritz (ORF) über Ankündigung Putins

Peter Fritz (ORF) spricht unter anderem über die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass er die Stationierung der Atomwaffen auf belarussischem Gebiet mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vereinbart habe. Des Weiteren bespricht er, wie gefährlich diese Ankündigung ist und ob sein Argument richtig ist, dass der Westen auch Atomwaffen stationiert.

„Russland tritt als Besatzungsmacht auf, verletzt die nationale Sicherheit und bringt Belarus auf Kollisionskurs mit seinen Nachbarn und der internationalen Gemeinschaft“, schrieb die in Abwesenheit in ihrer Heimat zu 15 Jahren Haft verurteilte Politikerin. „Wir fordern die Welt auch auf, den sofortigen Rückzug des russischen Militärs aus Belarus zu fordern und die Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression gegen die Ukraine einzustellen“, so Tichanowskaja.

EU droht mit Sanktionen

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drohte am Sonntag Belarus mit neuen Sanktionen. Ein solcher Schritt „würde eine unverantwortliche Eskalation und eine Bedrohung der europäischen Sicherheit bedeuten“, schrieb Borrell auf Twitter. Die belarussische Regierung könne das „immer noch verhindern, es ist ihre Entscheidung“, fügte Borrell an.

NATO wenig überrascht

Putin hatte seine Entscheidung, im Sommer im Land des von Russland abhängigen Machthabers Alexander Lukaschenko Atomwaffen zu stationieren, mit einer Reaktion auf den Westen gerechtfertigt. Auch die USA hätten Atomwaffen bei ihren europäischen Verbündeten gelagert. Die USA haben etwa in Deutschland Atomwaffen stationiert. „Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen“, sagte der Kreml-Chef. Zudem hatte die britische Vizeverteidigungsministerin Annabel Goldie die Absicht verkündet, panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine zu liefern.

Die NATO sieht aber keinen Handlungsbedarf mit Blick auf die eigenen Nuklearwaffen. Man sei wachsam und beobachte die Situation genau, teilte eine Sprecherin am Sonntag mit. „Wir haben keine Veränderungen in Russlands nuklearer Aufstellung gesehen, die uns veranlassen würden, unsere eigene anzupassen“, sagte sie. Russlands nukleare Rhetorik sei gefährlich und verantwortungslos.

Russlands Bezugnahme auf die nukleare Teilhabe der NATO sei irreführend, hieß es von der NATO: „Die NATO-Verbündeten handeln unter voller Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen“, teilte die Sprecherin mit. Russland habe immer wieder gegen seine Rüstungskontrollverpflichtungen verstoßen.

Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas schrieb, es brauche keine besondere Reaktion auf die russischen Pläne. Das Außenministerium in Vilnius hingegen forderte eine Verschärfung der Sanktionen gegen beide Länder. Ein neues Sanktionspaket, über das bereits in Brüssel verhandelt werde, solle erweitert werden, hieß es.

Experten sehen kein erhöhtes Eskalationsrisiko

Auch US-Fachleute sahen keine wachsende Gefahr eines Atomkrieges. Die Ankündigung sei unbedeutend für das „Risiko einer Eskalation hin zu einem Nuklearkrieg, das extrem niedrig bleibt“, hieß es in einer Analyse des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW). Schon bisher könne Russland mit seinen Atomwaffen jeden Punkt der Erde erreichen. Putin sei aber ein „risikoscheuer Akteur, der wiederholt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, ohne Absicht, das auch durchzuziehen“.

Putin wolle im Westen Ängste vor einer atomaren Eskalation schüren, um so die Unterstützung für die Ukraine etwa bei der Lieferung schwerer Waffen zu brechen. Nach ISW-Einschätzung ist es weiter „sehr unwahrscheinlich, dass Russland nukleare Waffen in der Ukraine oder anderswo einsetzt“. Putins Schritt habe sich bereits vor dem Krieg in der Ukraine angekündigt, teilte das ISW mit. Russland zementiere mit der Stationierung nuklearer Waffen in Belarus vor allem seinen Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik.

In der neuen ISW-Analyse zweifeln die Experten auch an der Ankündigung Putins, in diesem Jahr 1.600 Panzer neu zu bauen oder zu modernisieren. Russlands einzige Panzerfabrik Uralwagonsawod könne monatlich nur 20 Panzer produzieren, verliere aber im Krieg in der Ukraine täglich ein Vielfaches davon.

Ausbildung soll nächsten Monat beginnen

Die Ausbildung an den taktischen Atomwaffen in Belarus soll laut Putins Worten im nächsten Monat beginnen. Die Depots für die Atomraketen sollen dann im Juli fertig sein. Lukaschenko hatte schon vor dem Krieg die Stationierung solcher Waffen gefordert.

Taktische Atomwaffen haben eine geringere Reichweite als Interkontinentalraketen, aber auch noch mehrere hundert Kilometer. Sie sind für den Einsatz in einem Kampfgebiet konzipiert. Strategische Atomwaffen hingegen können mit Hilfe von Interkontinentalraketen Ziele in mehreren tausend Kilometern Entfernung treffen.