Vater mit Kind wartet an einem Zebrastreifen
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Bruch mit Konventionen

Japans Väter sollen Kinder hüten

Die stetig fallende Geburtenrate ist für Japan längst zur Krise geworden. Nun will die Regierung die Notbremse ziehen und Geld verteilen. Zudem sollen 85 Prozent der Väter in Elternzeit gehen. Das Problem: Besonders in Japan wurden Generationen zu unbedingtem Arbeitseifer und langen Stunden im Büro erzogen. Hohe Lebenshaltungskosten erfordern das auch. An vielen Schrauben muss gedreht werden.

Es sei Japans „letzte Chance“, den Trend umzukehren, erklärte Premier Fumio Kishida kürzlich in einem drastischen Aufruf. Man habe noch sechs bis sieben Jahre, um die Überalterung der Gesellschaft zu bekämpfen und die Geburtenrate zu heben. Danach sei es zu spät. „Ich will eine Gesellschaft schaffen, in der junge Leute heiraten, wie sie wollen, und in der jeder, der will, Kinder haben und sie stressfrei großziehen kann“, so Kishida.

Ein Bündel an weitreichenden Maßnahmen soll nun dafür sorgen, dass sich die Japanerinnen und Japaner für mehr Kinder entscheiden. Das Herzstück ist eine finanzielle Besserstellung junger Eltern und eine bezahlte Auszeit für 85 Prozent der Väter bis 2030. Doch einfach wird das nicht, wie Fachleute meinen.

Im Geburtenstreik

In Japan bahnen sich die Bevölkerungsprobleme seit Jahrzehnten an. Das Land hat nach Monaco die älteste Bevölkerung der Welt, und nur Südkorea hat eine noch geringere Geburtenrate. Voriges Jahr rutschte die Zahl an Geburten erstmals unter die Marke von 800.000. Vor 40 Jahren waren es noch doppelt so viele.

Damit stehe das Land an der „Grenze zur Unfähigkeit“, so Kishida. Die Fertilitätsrate, der Durchschnitt der Zahl der Kinder, die eine Frau zur Welt bringt, liegt bei 1,3 – für eine stabile Population wären 2,1 nötig. Hinzu kommt, dass Japan eine der höchsten Lebenserwartungen der Welt hat. Die Zahl der Todesfälle ist aber seit rund zehn Jahren höher als jene der Geburten.

Zu wenig Nachwuchs, überlastete mittlere Generationen und eine schnell wachsende Zahl älterer Menschen, die es zu versorgen gilt: Diese Zutaten vermischen sich langfristig zu einem toxischen Cocktail für Gesellschaft und Volkswirtschaft.

Ansatz an mehreren Fronten

Die Trendumkehr wurde daher nun zur nationalen Kraftanstrengung erhoben. Kishida kündigte an, die Regierung wolle ihre problemrelevanten Ausgaben verdoppeln: mehr Kindergeld für Eltern von Kleinkindern, höhere Löhne für junge Menschen und Hilfen bei der Deckung von Ausbildungskosten sollen fließen.

Schwangere sollen einen höheren Zuschuss für die Kosten der Geburt erhalten als bisher, denn die Sozialversicherung übernimmt diese Kosten nur teilweise. Außerdem sei mehr Unterstützung für Alleinerziehende nötig.

ein Mann schläft stehend in einer Ubahn
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Schlafend auf dem Weg ins Büro: Bilder wie diese sind in Japans Großstädten keine Seltenheit

Es sollen weiters mehr Männer – als aktuell 14 Prozent – eine Zeit lang zu Hause beim Kind bleiben. 50 Prozent sollen es bis zum Jahr 2025 sein, 85 Prozent 2030. Dafür sollen auch Firmen finanziell unterstützt werden. Paare, die beide Elternzeit nehmen, sollen mit zusätzlichem Gehalt rechnen können. Ab April soll eine neue Agentur die Maßnahmen koordinieren. Wie das alles finanziert werden soll, ließ Kishida offen.

Kulturelle Normen überwinden

Gerade das Heben der Väterkarenz könnte sich schwierig gestalten, wie Fachleute meinen. Verschiedene Regierungen der vergangenen Jahre wollten das Bild des hingebungsvollen Vaters propagieren, doch wird Arbeitseifer in Japan besonders großgeschrieben. Lange und überlange Stunden am Arbeitsplatz sind keine Seltenheit. Bilder von völlig übermüdeten Business-Männern, die im Freien oder in der U-Bahn einschlafen, sind Alltag. Arbeitende Frauen schrecken oft davor zurück, Kinder zu kriegen. Hausfrauen finden den Weg zurück in den Arbeitsmarkt nur schwer.

der japanische Premierminister Fumio Kishida
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Fumio Kishida

Stuart Gietel-Basten, Sozialwissenschaftler an der Hong Kong University of Science and Technology, sagte gegenüber CNN, eine niedrige Geburtenrate sei oft ein Zeichen für tief verwurzelte kulturelle Faktoren, die wahrscheinlich gegen politische Reformen resistent seien. Solche Faktoren könnten von der Arbeitskultur bis hin zu geschlechtsspezifischen Einstellungen reichen.

„Die Fokussierung auf eine betriebliche Väterzeit ist zweifellos eine gute Maßnahme. Es wird sich sicherlich positiv auf viele Männer und Frauen auswirken. Solange sich jedoch die vorherrschenden kulturellen Normen und Einstellungen nicht ändern, könnten die Auswirkungen auf Makroebene begrenzt sein“, so Gietel-Basten.

Firmen müssen ins Boot

Japans Männer haben schon seit 2021 Anspruch auf vier Wochen flexiblen Vaterschaftsurlaub mit bis zu 80 Prozent ihres Gehalts. Trotz des Gesetzes hatten Männer jedoch „Angst“ vor negativen Auswirkungen im Job, so Makoto Iwahashi von der Gewerkschaft POSSE. Zwar sei Diskriminierung illegal, doch besonders Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen seien gefährdet. „Eine kleine Änderung des Vaterschaftsurlaubs wird eine sinkende Geburtenrate nicht wesentlich ändern.“

Die Regierung ist sich bewusst, dass auch die Unternehmen ins Boot geholt werden müssen. Nun werden Zulagen für kleine und mittlere Unternehmen, die Angst vor einem Arbeitskräftemangel haben, erwogen. Ob es dazu kommt, soll im Frühjahr entschieden werden.

Löhne als Schlüssel

Hinzu kommen freilich mangelnde Kinderbetreuung und hohe Lebenshaltungskosten, während die Löhne mehrheitlich stagnieren. „Die Verschlechterung der Beschäftigung ist die Hauptursache“ für den Rückgang der Geburtenraten, so der Ökonom Takumi Fujinami zur spanischen Nachrichtenagentur EFE. „Die Gehälter sind in Japan in den letzten 30 Jahren kaum gestiegen. Das Einkommen der Älteren ist stabil, das der Jungen sinkt, je jünger sie sind.“ Hier müsse die Politik ebenso ansetzen. Ob sich Kishidas Mission rentieren kann, wird die Zeit zeigen.