Parlament in Sofia
Reuters/Spasiyana Sergieva
Fünfte Wahl in zwei Jahren

Bulgarien sucht Ausweg aus Politpatt

Zum fünften Mal in nur zwei Jahren sind die Bulgaren und Bulgarinnen am Sonntag wieder zu einer Parlamentswahl aufgerufen. Seit dem letzten Urnengang vergangenen Oktober ist es den politischen Parteien nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Den Umfragen zufolge dürfte das auch nach dieser Wahl schwierig werden. Profitieren wird vor allem der bulgarische Präsident Rumen Radew.

Kurzzeit-Ex-Premier Kiril Petkow will mit seiner Partei Wir setzen den Wandel fort (PP) gemeinsam mit der Partei Demokratisches Bulgarien (DB) antreten. Das Bündnis lag in den letzten Umfragen bei rund 25 Prozent, nahezu gleichauf mit der politisch weitgehend isolierten Mitte-rechts-Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) von Ex-Premier Bojko Borissow.

Auch der dritte Platz ist laut der jüngsten Umfrage von Alpha Research umkämpft. Die liberale Türkenpartei (DPS) liegt bei knapp 14 Prozent wie auch die radikal-nationalistische und prorussische Partei Wiedergeburt, die damit stark zulegen dürfte. Die Russland-freundliche Sozialistische Partei (BSP) steht bei acht Prozent. Rund 15 Prozent der Wähler und Wählerinnen sind laut Umfrage noch unentschlossen.

Die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene BSP, früher eine einflussreiche Kraft in Bulgarien, verlor in den letzten Jahren an Stimmen. Zudem treten nun eine Abspaltung der Partei als Die Linke zur Wahl an. Sie stehen derzeit bei rund drei Prozent und würden damit die Vierprozenthürde nicht schaffen.

Kritik an Wahlrechtsreform

Schon nach der letzten Wahl im Herbst vergangenen Jahres wären die Stimmen der prowestlichen Parteien GERB, PP und DB für eine stabile Regierung ausreichend gewesen. Petkow und seine Verbündeten weigerten sich aber, mit Borissow zu koalieren. Sie werfen ihm Korruption und Amtsmissbrauch während seiner Regierungszeit vor.

Kiril Petkow schüttelt Hände auf der Straße
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Ex-Premier Petkow (li.) will mit einem Parteienbündnis wieder an die Macht kommen

Zudem kritisierten sie Borissow für die Ende vergangenen Jahres auch mit Stimmen der Sozialisten umgesetzte Wahlrechtsreform. Damit habe GERB „den Weg für Wahlmanipulationen frei gemacht“. Mit der Reform wurde es wieder möglich, nicht nur mit Maschinen in den Wahllokalen, sondern auch per Stimmzettel aus Papier abzustimmen. In der Vergangenheit waren bei Papierstimmzetteln immer wieder gefälschte Ergebnisse und gestohlene Stimmen bei Wahlen gemeldet worden.

GERB, PP und die sozialistische BSP wurden hintereinander von Präsident Radew in den vergangenen Monaten mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Alle drei scheiterten. Das Misstrauen der wichtigsten von insgesamt acht im Parlament vertretenen Parteien ist zu groß.

Kurzzeitpremier durch Misstrauensantrag gestürzt

Konsequenz ist eine Abfolge von Übergangsregierungen seit 2021 – jeweils eingesetzt von Präsident Radew. Eine Ausnahme bildete nur die sechsmonatige Amtszeit von Premier Petkow bis Juni 2022. Dessen politischer Aufstieg gelang im Zuge der Antikorruptionsproteste gegen die GERB-Regierung unter Borissow. Seine Regierung wurde aber durch einen Misstrauensantrag der Opposition gestürzt.

Für Kontinuität in der politischen Landschaft Bulgariens sorgte in den vergangenen Monaten der Präsident. Der ehemalige Kampfpilot wurde Ende 2021 für seine zweite Amtszeit wiedergewählt. Er profitiert von der politischen Instabilität, sind viele Beobachter überzeugt.

Boyko Borissow bei einem Wahlkampfauftritt
Reuters/Spasiyana Sergieva
Borissow siegte mit GERB zwar bei der letzten Wahl, fand aber keine Koalitionspartner

Experte: Präsident behält Ruder in der Hand

„Mit dem nächsten Übergangskabinett regiert er das Land weiter als Präsidial- statt als parlamentarische Republik“, sagte der Politologe Ljubomir Stefanow. Radew behalte das Ruder in der Hand. Ähnlich argumentiert der Bulgarien-Experte Dimitar Bechew von Carnegie Europe im Interview mit dem Magazin „Politico“. Der politische Umbruch versetze Radew in die Lage, die Macht unerwartet fest im Griff zu haben.

Wieder Parlamentswahl in Bulgarien

Zum fünften Mal in nur zwei Jahren wird in Bulgarien am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Auch diesmal dürfte es keinen eindeutigen Sieger geben.

Zudem verschaffe es ihm die „Chance auf weltweite Anerkennung, da er das Land bei allen wichtigen Veranstaltungen und Foren vertritt“. Der Experte verweist auch auf ein institutionelles Problem: Die von Radew eingesetzten Übergangsregierungen seien zwar für die Planung der nächsten Wahlen zuständig, aber das Gesetz sehe keine Kontrollmechanismen für den Präsidenten und seine Beauftragten vor.

Waffenlieferungen an Ukraine umstritten

Dazu kommt noch das betont prorussische Auftreten des Präsidenten im Land. Für Bechew ist das aber vor allem populistische Rhetorik für prorussische Wähler und Wählerinnen. Bulgarien hat traditionell die stärksten Verbindungen eines EU-Mitglieds zu Russland. International ist seine Rhetorik weniger prorussisch, sind einige Beobachter überzeugt. Radew sucht einen ständigen Ausgleich zwischen Russland und dem Westen und vermeidet direkte Konfrontation. Mehrmals bezeichnete er diejenigen, die Waffenlieferungen an die Ukraine forderten, als „Kriegstreiber“.

Bulgariens Präsident Rumen Radew
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Präsident Radew profitiert von der instabilen politischen Lage in Bulgarien

Erst vergangenen Herbst setzten die prowestlichen Kräfte im Parlament Militärhilfe für die Ukraine durch. Petkow griff während seiner kurzen Amtszeit auf Umwege zurück, um die Ukraine heimlich mit Waffen zu versorgen, da sich prorussische Kräfte in seiner Koalition dagegen gestemmt hatten. Die Waffenlieferungen an die Ukraine sind umstrittenes Thema im Wahlkampf.

Parteien wie die prorussische Wiedergeburt hätten mit ihrer Kampagne gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und die Euro-Einführung das antiwestliche Narrativ in Bulgarien gesellschaftsfähig gemacht, analysiert die Bulgarien-Expertin Wessela Tschernewa vom European Council of Foreign Relations (ECFR) gegenüber der „Deutschen Welle“. Allerdings zeigen die Wahlergebnisse, dass die Mehrheit der bulgarischen Bevölkerung an der prowestlichen Orientierung des Landes festhält. Die prowestlichen Parteien bilden die Mehrheit.

Desinformation als Problem

Dennoch kämpft Bulgarien mit prorussischer Desinformation, wie auch eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zeigt. Bulgarien sei seit dem Ukraine-Krieg gut organisierten Kampagnen ausgesetzt gewesen, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). Nicht umsonst findet am Dienstag eine KAS-Tagung zu Desinformation in Südosteuropa in Bulgariens Hauptstadt Sofia statt.

Zusätzliche Verunsicherung gab es durch Bombendrohungen an Schulen in Bulgarien wenige Tage vor der Wahl. Man gehe vor allem davon aus, dass es um „hybride Angriffe“ gehe, die in „irgendeiner Weise mit Russland verbunden sind“, hieß es vom geschäftsführenden Innenminister Iwan Demerdschiew. Es habe bei den eingegangenen Hinweisen aber keine reale Bedrohung gegeben. Dennoch wurden Dutzende Schulen sowie die Wirtschaftsuniversität in Sofia geräumt. Viele Wahllokale sind in Schulen untergebracht.

Stimmabgbe in einer Schule
Reuters/Stoyan Nenov
Gewählt wurde mit Wahlmaschine meist in Schulen. Nun sollen auch Papierstimmzetteln gelten.

Instabilität mit Konsequenzen

Unklare politische Verhältnisse bieten nicht nur einen Nährboden für Desinformation. Politische Beobachter fürchten auch ein Untergraben der Demokratie durch die häufigen Wahlen. Das lange Regierungsvakuum sei „gegen den Geist der Verfassung“, urteilte die Bulgarien-Expertin Tschernewa gegenüber der „Frankfurter Rundschau“.

Das politische Patt zeigt bereits konkrete Auswirkungen auf die Weiterentwicklung Bulgariens. Der für 2024 angepeilte Beitritt zur Euro-Zone könnte aufgrund fehlender Abstimmungen im Parlament auf 2025 verschoben werden. Das Parlament sei nicht in der Lage gewesen, notwendige Reformen etwa zur Geldwäsche zu verabschieden, hieß es von der Übergangsregierung.

Auch fehlt eine kontinuierliche Linie im Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, und die effiziente Umsetzung des EU-Wiederaufbauplans nach der Pandemie könnte behindert werden. Der Druck, diesmal doch zu einer Regierung zu finden, ist hoch.