Gurgeltest
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Testkits „unbrauchbar“

Deutsche Firma klagt Lead Horizon

Neben den Ermittlungen gegen den Eigentümer von Lead Horizon droht dem Unternehmen nun weiteres Ungemach. Eine deutsche Firma hat gegen den Wiener CoV-Tester „Alles gurgelt“ eine Klage in Millionenhöhe am Wiener Handelsgericht eingebracht. Dessen Testkits seien unbrauchbar, so der Vorwurf. Dabei spielt auch künstliche Intelligenz (KI) eine Rolle. Für Lead Horizon ist das „an den Haaren herbeigezogen“.

Der führende Anbieter von Coronavirus-Testlösungen in Deutschland, CoviMedical, war im März 2022 eine Geschäftsbeziehung mit Lead Horizon eingegangen. Die Wiener PCR-Test-Kits sollten an 200 Standorten in Deutschland flächendeckend ausgerollt werden, um allenfalls für bevorstehende Pandemiewellen gewappnet zu sein.

Ein Kaufvertrag über eine Million Testkits wurde abgeschlossen, den CoviMedical nun allerdings für obsolet erachtet. Unter der Geschäftszahl 31 Cg 93/22v ist am Handelsgericht Wien eine Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrags anhängig. Aus Sicht des deutschen Unternehmens mit Sitz in Duisburg waren bzw. sind die Testkits aus Wien unbrauchbar, weil die angebotene Onlinelösung für das Testen auf eine Infektion mit dem Coronavirus im heimischen Wohnzimmer nicht zuverlässig möglich sei.

„Bedingung für den Kaufvertrag war, dass das Authentifizierungsverfahren über eine WebApp einwandfrei funktioniert. Lead Horizon hat im Oktober 2022 eine finale Beta-Version der WebApp mit einer künstlichen Intelligenz zur Verfügung gestellt. Da ist man bei CoviMedical dann binnen weniger Tage draufgekommen, dass das nicht funktioniert, dass die App nicht in der Lage ist, die Testperson eindeutig zu identifizieren“, sagte die Wiener Rechtsanwältin Katharina Kitzberger, deren Kanzlei (Weber & Co) von CoviMedical mandatiert ist, zur APA.

Lead Horizon: „An den Haaren herbeigezogen“

Die Lead-Horizon-Geschäftsführung wies diese Vorwürfe gegenüber der APA als „an den Haaren herbeigezogen“ zurück. Zugleich wurde gesagt, die für Deutschland gedachte App sei eine andere als jene, die für das „Alles Gurgelt“-Testprogramm entwickelt wurde: „Die Klage von CoviMedical betrifft ausschließlich den deutschen Markt und hat mit der in Wien eingesetzten Web-App für das Projekt ‚Alles Gurgelt‘ nichts gemein. Insbesondere geht es um eine vollkommen andere WebApp als diejenige, die in Österreich beim Projekt ‚Alles gurgelt‘ verwendet wird. In Österreich wird der Testvorgang nicht durch eine künstliche Intelligenz überprüft.“ Insofern sei der Rechtsstreit „nicht geeignet, die Bevölkerung in Wien, die auf ‚Alles Gurgelt‘ vertraut, zu verunsichern.“

Deutsche App mit KI „nicht eindeutig“

Das Prozedere, das bei den Lead-Horizon-Testkits im häuslichen Gebrauch im Selbsttest anzuwenden war bzw. ist, ist „Alles Gurgelt“-Nutzern vertraut. Aus Sicht von CoviMedical kann bzw. konnte die deutsche App allerdings nicht gewährleisten, dass die Person, die sich für den Test angemeldet hat bzw. hatte, dieselbe ist wie jene auf dem für das Identifikationsverfahren verwendeten Lichtbildausweis.

Die KI der App sei entgegen der Zusicherung von Lead Horizon nicht in der Lage, die zum Test angemeldete Person fehlerfrei mit dem eingescannten Dokument bzw. dem Gesicht abzugleichen, das in die Kamera gehalten wird, behauptet CoviMedical. Selbst mit einem größeren Lichtbild einer fremden Person oder gar einer in die Kamera gehaltenen Katze sei eine fälschliche Identifikation zu bekommen gewesen. Eine zuverlässige „Proof of Identity“ war für CoviMedical damit nicht gegeben.

Darüber hinaus könne die KI während des laufenden Testprozederes nicht sicherstellen, dass die bereits identifizierte Person dieselbe ist, die gerade den Test durchführt. Die App sei weiters außerstande, die Echtheit des verwendeten Dokuments zu überprüfen. CoviMedical kam daher zum Schluss, dass mangels eines zuverlässigen Authentifizierungsverfahrens die Lead-Horizon-Test-Kits in Deutschland nicht geeignet waren, für die Zertifizierung bei öffentlichen Stellen und Behörden herangezogen zu werden.

Auch Haustiere vor der Kamera

„Lead Horizon hat zugesichert, dass ein hundertprozentig sicherer Abgleich der Testperson möglich ist“, sagte die Wiener Anwältin Kitzberger. Im Vertrauen auf eine zuverlässige Onlinelösung habe CoviMedical die Wiener Testkits erworben. „Aber wir haben Bildmaterial, das beweist, dass der vorgebliche Gurgeltest nicht einmal von Menschen durchgeführt hat werden müssen, um eine positive Rückmeldung der App zu bekommen“, verweist Kitzberger auf in die Kamera gehaltene Haustiere. Die Angaben von Lead Horizon seien somit „nachweislich falsch“ gewesen.

Das wies die Lead-Horizon-Geschäftsführung in einer ausführlichen, der APA übermittelten Stellungnahme mit Nachdruck zurück: „Lead Horizon hat gegenüber CoviMedical keine falschen Angaben getätigt oder falsche Zusicherungen abgegeben. Vielmehr wurden die Eigenschaften der für den deutschen Markt gedachten WebApp immer klar kommuniziert.“ Es habe sich dabei um eine eigens für CoviMedical und nach deren Wünschen entwickelte Web-Applikation gehandelt: „Die Vorwürfe von CoviMedical sind unberechtigt.“

„Die WebApp erfüllt die Anforderungen, die nach umfassenden Verhandlungen gemeinsam mit CoviMedical definiert und im Vertrag vereinbart wurden. Die nun von CoviMedical angezogenen Kritikpunkte sind offenbar dem Umstand geschuldet, dass CoviMedical aus einem geschlossenen Vertrag aussteigen will, weil sie daran – wohl auch angesichts des Rückgangs der Pandemiesituation, aber auch aufgrund ihrer Fehleinschätzung einer erhofften Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland – kein Interesse mehr hat“, so Lead Horizon.

Experte: Womöglich größeres Problem

Der auf Medizinrecht spezialisierte Münchner Anwalt Julian Bartholomä sieht indes neben dem wirtschaftlichen Schaden für CoviMedical ein weiteres, womöglich größeres Problem: „Lead Horizon hat damit geworben, dass man mit ihrem Testverfahren EU-Zertifikate bekommt, etwa für den Grünen Pass. Mit den jetzt bekannten Mängeln in ihrer Technologie hat das bedenkliche Aspekte.“

Auf europäischer Ebene habe es in puncto Sicherheit „klare Vorgaben für EU-Zertifikate gegeben“, nämlich dass sich die Testperson entweder ad personam in Testcontainern oder -straßen einfinden muss oder bei Weblösungen vergleichbare Sicherheitsstandards gewährleistet sind, so Bartholomä zur APA.

CoviMedical habe jedenfalls aus Sicherheitsbedenken „kein einziges Testkit ausgegeben“. Für einen Grünen Pass brauche es „entsprechende Sicherheiten. Man ist aus allen Wolken gefallen, als man festgestellt hat, dass die von Lead Horizon angebotene Lösung in Wahrheit keine Lösung ist“, sagte der Münchner Anwalt, der ebenfalls das Duisburger Unternehmen vertritt.

Keine Rücknahme von 200.000 Testkits

CoviMedical habe von Lead Horizon nur 200.000 Testkits entgegengenommen, der Rest der vom Kaufvertrag umfassten Ware sei nicht mehr akzeptiert worden, berichtete Bartholomä. Das Wiener Unternehmen habe die Rücknahme der 200.000 Stück abgelehnt und auf Zahlung und Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen bestanden.

Dazu merkte Lead Horizon an, man habe „eine nach wie vor offene Forderung gegen CoviMedical, deren Begleichung CoviMedical verweigert“. Die Argumente des deutschen Unternehmens seien „unberechtigt und werden vom angerufenen Gericht zu würdigen sein“. Anders als offenbar CoviMedical sei man „der Meinung, dass die Auffassungsunterschiede zwischen den Streitteilen vor dem Handelsgericht Wien und nicht medial ausgetragen werden sollten“.

Lead Horizon: Andere Rechtslage

Der von CoviMedical behauptete Zusammenhang zwischen der den Deutschen zugedachten App und fehlender Zertifizierung für Deutschland besteht wiederum nach Ansicht von Lead Horizon nicht, da in Deutschland eine andere gesetzliche Rechtslage als in Österreich vorliege: „In Deutschland können nach geltender Rechtslage Covid-19-Testproben, für die ein Testnachweis ausgehändigt wurde, grundsätzlich nur durch geschultes Personal bzw. allenfalls unter entsprechender Aufsicht von befugten Personen vor Ort abgenommen werden. Selbsttests von zu Hause aus, wie die von Lead Horizon entwickelten Gurgeltests, eignen sich daher derzeit von vorneherein nicht für einen Testnachweis in Deutschland.“

CoviMedical sei dies „zu jeder Zeit bekannt“ gewesen, dessen ungeachtet habe man die Wiener Testkits samt der für Deutschland weiterentwickelten App beauftragt, so die Lead-Horizon-Geschäftsführung in ihrer Stellungnahme: „In der Hoffnung auf eine Entwicklung der Rechtslage in Deutschland, die digitale Selbsttests zulässt. Diese Erwartung hat sich nicht realisiert, und CoviMedical versucht nun, die wirtschaftlichen Folgen ihrer Fehleinschätzung auf Lead Horizon abzuwälzen.“

Fast 47 Millionen Mal in Wien gegurgelt

Speziell in Wien hat sich in der Pandemie das PCR-Testen im Selbsttest im Wohnzimmer im Rahmen der Aktion „Alles gurgelt“ großer Beliebtheit erfreut. 46,8 Millionen Mal wurde in der Bundeshauptstadt gegurgelt. Dabei wurden bei der Lead-Horizon-Web-Lösung Fotos der getesteten Person und ihres Ausweises zur Identitätsfeststellung verarbeitet und mit dem Gesicht, das man in die Kamera halten musste, abgeglichen.

Nur so war ein behördlich anerkanntes Testergebnis zu bekommen. Das Video, das Nutzer beim Gurgeln erstellen mussten, diente laut Lead Horizon zur Sicherstellung, dass der Test richtig durchgeführt wurde. Die Videos selbst würden „in Reklamationsfällen und zur Qualitätssicherung“ von ausgewählten Mitarbeitern von Lead Horizon gesichtet, hatte das Unternehmen im März 2021 versichert.

Untreueermittlungen gegen Eigentümer

Gegen Michael Putz, den Mehrheitseigentümer von Lead Horizon, wird schon seit Dezember 2022 von der Staatsanwaltschaft Wien ermittelt. Das teilte Behördensprecherin Nina Bussek am Donnerstag auf APA-Anfrage mit. Es steht der Verdacht auf Untreue, Urkunden- und Beweismittelfälschung im Raum. Das Gesundheitsministerium verwies in diesem Zusammenhang auf eine Meldepflicht an die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Für Putz, der die Vorwürfe bestreitet, gilt die Unschuldsvermutung.

Ermittlungen gegen CoV-Testfirma Lead Horizon

Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den Mehrheitseigentümer der Firma Lead Horizon wegen des Verdachts auf Untreue und Dokumentenfälschung. Das Unternehmen hat die CoV-Selbsttests im Wiener „Alles gurgelt“-Programm hergestellt.

Das Unternehmen selbst hatte am Mittwochabend gegenüber der APA gesagt, es werde nicht gegen Lead Horizon ermittelt: „Es handelt sich um eine Auseinandersetzung auf Gesellschafterebene.“ Von der Staatsanwaltschaft untersucht wird auch der Umgang von Lead Horizon mit der Sicherheit der eigenen Tests. Dazu merkte das Gesundheitsministerium an, der Hersteller eines Medizinprodukts müsse vor dessen Inverkehrbringen eine Konformitätsbewertung durchführen. Diese erfolge in Eigenverantwortung des Herstellers.