Frau in Teheran richtet ihr Kopftuch
Reuters/Wana News Agency
„Ohne Gnade“

Iran droht bei Kopftuchverzicht mit Verfolgung

Die iranischen Behörden haben trotz des Widerstands in der Bevölkerung ihre Entschlossenheit deutlich gemacht, das obligatorische Kopftuch für Frauen durchzusetzen. So hat der iranische Justizchef Gholamhossein Mohseni Edschei laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Fars von Samstag Strafen für Frauen angedroht, die das Tragen des verpflichtenden Hidschabs ignorieren. Wer sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zeige, müsse mit „gnadenloser“ Verfolgung rechnen.

Das Ablegen des Hidschabs komme einer feindseligen Haltung gegenüber dem iranischen System und seinen Werten gleich, sagte er laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Fars von Samstag. Zudem verletze das Nichttragen des Kopftuches die öffentliche Sittsamkeit und verstoße gegen die Scharia und die Gesetze des Landes.

Diese Verstöße würden von den Feinden des Iran unterstützt. Diejenigen, „die solche anomalen Handlungen begehen, werden bestraft“ und „ohne Gnade verfolgt“. Edschei ließ offen, mit welchen Strafen die Frauen zu rechnen haben.

Erst vergangenen Donnerstag hatte das Innenministerium das Kopftuch als „eine der zivilisatorischen Grundlagen der iranischen Nation“ bezeichnet und an Bürger appelliert, unverschleierte Frauen zur Rede zu stellen. Nach der 1979 eingeführten islamischen Scharia sind Frauen verpflichtet, ihr Haar zu bedecken und lange, locker sitzende Kleidung zu tragen, um ihre Figur zu verbergen. Wer dagegen verstößt, muss mit Geldstrafen oder einer Verhaftung rechnen.

Frauen ohne Kopftuch auf iranischem Markt
IMAGO/Maryam Majd
Eine Frau kauft Gegenstände auf dem Tadschrisch-Basar, um das persische Neujahrsfest Nowruz zu feiern

Strenggläubiger Abgeordneter setzt Ultimatum

BBC-Berichten zufolge hat auch der strenggläubige Abgeordnete Hossein Ali Hadschi Deligani kürzlich erklärt, dass gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das, was er als „göttliches Dekret“ des Hidschabs bezeichnet, durchzusetzen.

Wenn die Justiz nicht innerhalb der nächsten 48 Stunden entsprechende Maßnahmen ergreife, würden die Abgeordneten einen Gesetzesentwurf vorlegen, um das rechtliche Vakuum zu füllen. Das würde im Einklang mit einem Bericht der parlamentarischen Kulturkommission über „Keuschheit und den Hidschab“ stehen.

Kopftuch als Symbol des Widerstands

Der demonstrative Verzicht auf ein Kopftuch, das das Haar bedeckt, ist zu einem zentralen Symbol des Widerstands gegen die Regierung in Teheran geworden. Ausgelöst wurden die seit Monaten anhaltenden Proteste durch den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die Mitte September in Polizeigewahrsam starb. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen haben soll.

Eine große Protestwelle war die Folge. Nach Einschätzung von Menschenrechtlern sind seit Beginn der Proteste im September 2022 mehr als 500 Menschen getötet und fast 20.000 festgenommen worden. Inzwischen hat sich die Protestbewegung nach der Hinrichtung von Demonstrierenden jedoch abgeschwächt. Allerdings zeigen immer mehr Iranerinnen durch den Verzicht auf das Kopftuch ihre Ablehnung der Regierung in der Öffentlichkeit – und nehmen damit große Risiken auf sich.

Proteste gegen das Regime in Teheran im September 2022
Reuters/Wana News Agency
Menschen entzünden während eines Protestes in der iranischen Hauptstadt Teheran im September ein Feuer

Mit Joghurt attackierte Frauen festgenommen

Ein diese Woche veröffentlichtes Video zeigt einen Mann, der zwei Frauen ohne Kopftuch in einem Geschäft einen Becher Joghurt mehrfach ins Gesicht und auf den Kopf wirft. Seine Aktion wurde von männlichen und weiblichen Schaulustigen mit Empörung aufgenommen. Am Samstag wurde bekannt, dass die beiden attackierten Frauen verhaftet wurden, weil sie ihren Kopf nicht bedeckt hätten. Auch der Angreifer sei verhaftet worden – wegen Störung der öffentlichen Ordnung.

Wenige Wochen zuvor hatte ein Video von tanzenden iranischen Frauen ohne Kopftuch international Besorgnis hervorgerufen. Sie seien festgenommen und zu einem Entschuldigungsvideo gezwungen worden, hieß es auf Telegram- und Twitter-Konten, die das Video mit als erste verbreitet hatten. Zeitgleich war in Onlinenetzwerken ein Video aufgetaucht, in dem vier Frauen mit komplett bedecktem Kopf bedauern, in dem Video getanzt zu haben.

Auch ein junges Bloggerpärchen war jüngst von der Justiz zu jeweils fünf Jahren Haft verurteilt worden, nachdem sie mit einem Tanzvideo vor dem „Freiheitsturm“ in Teheran einen Internethit landeten. Die verurteilte Frau trug ebenfalls kein Kopftuch. 2014 wurde eine Gruppe Jugendlicher festgenommen, weil sie zum Song „Happy“ des US-Sängers Pharrell Williams getanzt und den Clip auf YouTube gestellt hatten.

Regime unter Druck

Ob und wie stark das iranische Regime und seine religiöse und militärische Führungsschicht von den Protestaktionen und Kundgebungen angeschlagen sind, ist unklar. Bisher gelang es immer, die Proteste niederzuschlagen – mit großer Brutalität. Die Regierung steht jedoch zunehmend – auch wirtschaftlich – unter Druck.

Die internationale Kritik am Vorgehen des iranischen Staates ist und war groß und könnte mit einem Wiederanschwellen der Proteste ebenfalls wieder wachsen. Wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen die Demonstranten und Demonstrantinnen wurden gegen das Regime weitere Sanktionen verhängt, die zu einer internationalen Isolierung des Landes geführt haben.

Sanktionen gelten daher als größtes Druckmittel des Westens und treffen offenbar auch. Die Regierung steckt wirtschaftlich in der schlimmsten Krise der iranischen Geschichte. Die nationale Währung Rial hat stark an Wert verloren, eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Die Proteste stürzten die politische Führung bereits in die schwerste Krise seit Jahrzehnten.