Boyko Borissow
Reuters/Stoyan Nenov
Deja-vu in Bulgarien

Niemand will mit Wahlsieger Borissow

In Bulgarien hat auch die fünfte Wahl innerhalb von zwei Jahren das politische Patt nicht aufgelöst. Erneut gewann das Mitte-rechts-Bündnis des früheren Premiers Boiko Borissow, erneut will keine andere Partei mit ihm koalieren. Nun könnte das Land auf eine weitere Wahl zusteuern. Das lange Regierungsvakuum ist allerdings längst zum Problem geworden.

Borissows prowestliches Mitte-rechts-Bündnis GERB-SDS erhielt am Wahlsonntag laut den veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen der Zentralen Wahlkommission nach Auszählung aller Wahlprotokolle rund 26,5 Prozent. Der ebenso prowestliche liberalkonservative Block PP-DB des anderen Ex-Premiers, Kiril Petkow, errang 24,5 Prozent und damit Platz zwei.

Sechs Parteien haben den Angaben zufolge die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament überwunden. Unter ihnen ist wieder die prorussische und nationalistische Wasraschdane (Wiedergeburt). Mit vorerst rund 14,1 Prozent der Stimmen schneidet sie erstmals bei Wahlen in Bulgarien als drittstärkste politische Kraft ab.

Parteien in Wahldauerschleife

In ersten Prognosen hatte die Reihenfolge der beiden führenden politischen Lager noch umgekehrt ausgesehen. Nun dürfte das Wahlergebnis das Patt verfestigt haben, anstatt es aufzulösen. Denn die Ausgangslage ist jetzt wie schon bei der vorangegangenen Parlamentswahl: Mit Borissow will mit Ausnahme der Türkenpartei keine der anderen Fraktionen koalieren, zu hartnäckig hielten sich die Vorwürfe gegen ihn. 2020 hatten monatelange Anti-Korruptionsproteste Borissows damalige Regierung erschüttert. Borissow hatte zu dem Zeitpunkt fast ein Jahrzehnt lang das Land regiert.

Vorschau: Sechste Wahl in Bulgarien?

ORF-Korrespondent Ernst Gelegs meldet sich aus Sofia, der Hauptstadt von Bulgarien. Er spricht über das Kopf-an-Kopf-Rennen nach der Wahl und sagt, ob eine sechste Neuwahl drohen könnte.

Seitdem führten alle Wahlen zu zersplitterten Parlamenten. Präsident Rumen Radew hatte hintereinander GERB, PP und die sozialistische BSP mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Doch keine Partei war dazu in der Lage, das Misstrauen war schlicht zu groß. Und gerade Petkows proeuropäische PP hat sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen geschrieben und eine Zusammenarbeit ausgeschlossen.

Entscheidungen in Warteschleife

Eine stabile Regierung täte allerdings Not. Der schon für nächstes Jahr geplante Beitritt zur Euro-Zone könnte wegen fehlender Abstimmungen im Parlament verschoben werden. Das Parlament sei nicht in der Lage gewesen, notwendige Reformen etwa zur Geldwäsche zu verabschieden, hieß es von der Übergangsregierung. Auch fehlt eine kontinuierliche Linie im Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, und die effiziente Umsetzung des EU-Wiederaufbauplans nach der Pandemie könnte behindert werden.

Zudem ist Bulgariens Haltung im Ukraine-Krieg ein Dauerthema. Borissows Lager und PP-DB sind sich einig über die Unterstützung der Ukraine, beide befürworten auch Waffenlieferungen. Die Bevölkerung hält zudem mehrheitlich an der prowestlichen Orientierung fest, wie auch die Wahl erneut zeigte. Doch ist auch ein deutlich antiwestliches Narrativ in Bulgarien verbreitet, gerade die prorussische Partei Wiedergeburt kampagnisierte gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und die Euro-Einführung. Sie erntete bei der Wahl ein sattes Plus.

Kurs auf neue Wahl

Dazwischen steht der russlandfreundliche Präsident Rumen Radew, der seit Beginn des Regierungsvakuums das Heft in der Hand hält. Er setzt seit 2021 Übergangsregierungen ein, auch jetzt führt ein Übergangskabinett die Amtsgeschäfte. Radew sorgte in den vergangenen Jahren für Kontinuität und profitiert von der politischen Instabilität. Doch Radew bringt auch Unruhe in den Ukraine-Diskurs. Er erklärte, Bulgarien würde keine Waffen liefern, solange das von ihm eingesetzte Übergangskabinett regiert. Alles andere sei „Kriegstreiberei“.

„Bulgarien droht eine Rückkehr in die russische Einflusssphäre“, warnte der Politologe Dejan Kjuranow am Montag in einem Radiointerview in Sofia. Er rief beide prowestliche Lager zum „staatsmännischen Denken“ und „einem guten Kompromiss“ auf.

Es gäbe also genügend Gründe, wieso Bulgarien bald eine stabile Regierung brauchen würde, die politische Entscheidungen wieder demokratisch legitimiert in die Hand nimmt. Doch je enger GERB und PP im Ergebnis liegen, desto schwieriger wird eine Kabinettsbildung. Möglich, aber unwahrscheinlich wäre eine Minderheitsregierung. Ein realistischer Ausweg wäre eine neue Wahl im Herbst, wenn ohnehin auch Kommunalwahlen anstehen. Es wäre die sechste in zwei Jahren.