Eine Satellitenaufnahme zeigt russische Schützengräben auf der Krim
Airbus
Gräben und Sperren

Russland erwartet Angriff auf die Krim

Die russischen Truppen bereiten sich offensichtlich auf einen Angriff der ukrainischen Armee auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim vor. Satellitenbilder, ausgewertet von der „Washington Post“, zeigen kilometerlange Gräben und Panzersperren. Die Stellungen seien teils in nur wenigen Tagen ausgebaut worden, ein Indiz dafür, dass der Kreml mit einer baldigen ukrainischen Offensive rechne.

Nachdem die Ukraine erklärt hatte, das gesamte Territorium zurückerobern zu wollen, habe die russische Armee in den letzten Monaten begonnen, umfangreiche Maßnahmen gegen eine schon länger erwartete Frühjahrsoffensive zu treffen, insbesondere auf der Krim, schrieb die US-Tageszeitung am Dienstag.

Grundlage des Berichts sind Satellitenaufnahmen des privaten US-Satellitentechnologieunternehmens Maxar, die „kilometerlange“ Verteidigungsanlagen in unterschiedlichen Regionen der Halbinsel am Schwarzen Meer zeigten, darunter tiefe Gräben, die Panzer und schwere Militärfahrzeuge aufhalten sollten.

Stellungen sehr rasch errichtet

Die russische Armee gehe offensichtlich davon aus, dass sie die Krim sehr bald werde verteidigen müssen, zitierte die „Washington Post“ den Militäranalysten Ian Matveev. Moskau hatte die Halbinsel
nach monatelangen proeuropäischen Protesten und einem Referendum über die vom Kreml initiierte Abspaltung von der Ukraine im März 2014 laut UNO-Charta illegal annektiert.

Die Stellungen seien sehr schnell errichtet worden, an der Westküste der Halbinsel in nur wenigen Wochen, so die US-Zeitung, und das, obwohl Militärexperten kaum mit einem amphibischen Angriff, also einer Landung ukrainischer Truppen vom Meer aus, rechneten.

Gebaut mit Sowjettechnologie

Die Gräben seien mit einem Stellungsbaufahrzeug vom Typ BTM-3 gezogen worden, schrieb die „Washington Post“. Das Fahrzeug wurde noch in den 1950er Jahren in den Zeiten der früheren Sowjetunion entwickelt, gräbt aber sehr schnell – mehrere hundert Meter pro Stunde, abhängig von Tiefe und Bodenbeschaffenheit.

Sowjetischer Grabenbagger BTM-3
IMAGO/Ray van Zeschau
Das militärische Baufahrzeug ist in die Jahre gekommen, aber offenbar immer noch hocheffizient

In den USA und Europa gebe es kaum ein vergleichbares Gerät. Das Fahrzeug hat eine rotierende Grabschaufel an der Rückseite, mit der es den Boden bis über 1,5 Meter aushebt. Die Erde schüttet es seitlich auf, wodurch ein zusätzlicher Schutz für die Soldaten in den Gräben entstehe. Außerdem habe Moskau, so die US-Zeitung, Bauarbeiter zu sehr guter Entlohnung von umgerechnet über 80 Euro pro Tag dafür angeworben, die Gräben mit Schalungsholz und Beton auszubauen.

Strategische Schlüsselposition

Der Krim kommt eine strategische Schlüsselposition im Krieg in der Ukraine zu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte erklärt, das gesamte Territorium seines Staats befreien zu wollen, die Schwarzmeer-Halbinsel inklusive. Russlands Präsident Wladimir Putin will sie um keinen Preis aufgeben.

Eine Satellitenaufnahme zeigt russische Schützengräben auf der Krim
Eine Satellitenaufnahme zeigt russische Schützengräben auf der Krim
Airbus Airbus
Aufnahme vom 30. Dezember 2022 und vom 4. März 2023

Die Krim sei für Putin eine „heilige Kuh“, zitierte die „Washington Post“ den Militärexperten Matveev. Im Fall einer ukrainischen Offensive würde Russland die Truppen dort umgehend verstärken. Dabei sei die Halbinsel für beide Kriegsparteien kein einfaches Territorium. Sie ist nur über eine schmale Passage mit dem Festland verbunden, russische Verbände könnten im Kampf leicht isoliert werden – in Reichweite ukrainischer Waffen. Die russische Armee habe auch anderswo in der Ukraine ihre Verteidigung ausgebaut, die Anlagen auf der Krim seien allerdings ohne Beispiel.

Sorge vor weiterer Eskalation

Der Kampf um die Halbinsel am Schwarzen Meer könne letztlich auch zu einer gefährlichen Eskalation des Kriegs führen, so die US-Zeitung unter Berufung auf die Einschätzung von Militärexperten. Russland wolle sie – als ganzjährig nutzbaren Stützpunkt seiner Schwarzmeerflotte – um keinen Preis aufgeben, es gab Drohungen, sie notfalls mit taktischen Nuklearwaffen zu verteidigen.

Vom Meer aus werde die ukrainische Armee ihre Offensive nicht erfolgreich beginnen können, da ihre Flotte zu schwach sei, kaum auch aus der Luft. Damit bleibe als einzige Option eine schwierige Bodenoffensive – schwierig nicht nur wegen des Geländes, sondern auch, weil die russischen Verbände die nur wenige Kilometer breite Hauptverbindung zum ukrainischen Festland mit Sperren ausgebaut hätten, schon von den Städten Cherson und Melitopol weg in Richtung der „Landbrücke“ zur Krim. Die „Geografie könne die beste Verteidigung“ der Halbinsel sein.

Dutzende ukrainische Angriffe

An der Westseite der Halbinsel hätten die russischen Truppen über 30 Kilometer Gräben gezogen, Satellitenbilder von Maxar zeigten, dass dort auch Artillerieverbände massiv verstärkt worden seien, in einer Offensive nur schwer zu überwinden für die ukrainische Armee.

Bliebe inzwischen eine andere Taktik: Seit letztem August hätten ukrainische Verbände mutmaßlich 70 Angriffe auf Ziele auf oder nahe der Krim durchgeführt, unter anderem mit Drohnen, auch Sabotageakte seien darunter gewesen. Ein Beispiel dafür war der Angriff auf den russischen Luftwaffenstützpunkt Saki, ein weitaus folgenreicherer der auf die Krim-Brücke über die Meerenge von Kertsch im Oktober, errichtet von Russland nach der Annexion der Krim, bei dem diese schwer beschädigt worden war.

Kreml rüstet Verbündeten Belarus auf

In dem Konflikt stehen die Zeichen jedenfalls weiter auf Eskalation. Am Dienstag bestätigte der Kreml die Übergabe eines atomwaffenfähigen Raketenkomplexes vom Typ Iskander-M an die verbündete Nachbarrepublik Belarus. „Ein Teil der belarussischen Flugzeuge der Jagdgeschwader hat die Möglichkeit erhalten, mit atomar ausgestatteten Vernichtungsmitteln Schläge gegen Feindobjekte zu führen“, sagte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Moskau. Er bestätigte auch den Beginn der Ausbildung belarussischer Soldaten an den russischen Atomwaffen.

Die von Putin Ende März angekündigte Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus verschärfte die angespannten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Putin erklärte, die Stationierung stehe nicht im Widerspruch zum Atomwaffensperrvertrag, der die Verbreitung von Kernwaffen untersagt, da Russland die völlige Kontrolle über die Raketen behalte. Lukaschenko sorgte für Zweifel an dieser Version, als er in seiner Ansprache zur Nation selbst die Kontrolle über die Atomwaffen beanspruchte.