Skyline von Tirana
ORF/Valentin Simettinger
Radikaler Umbau

Tiranas Operation an sich selbst

Einst ließ ein Bürgermeister die grauen Häuser der albanischen Hauptstadt Tirana anmalen, um mehr Farbe in die Stadt zu bringen. Diese Kosmetik prägt die Stadt bis heute mancherorts, auch wenn viele Häuser von damals nicht mehr existieren und die Metropole stark modernisiert wurde. Der wohl tiefgreifendste Umbau findet gerade statt. „Tirana 2030“ nennt sich das Projekt – und damit bleibt praktisch kein Stein auf dem anderen.

Es sind Veränderungen, die man von einer gewachsenen Stadt nicht erwartet, denn der Umbau betrifft im Wesentlichen den Stadtkern. Dort werden sowohl gewöhnliche als auch historische Gebäude durch Hochhäuser ersetzt. Und das mit dem Ziel, die Zersiedelung der Stadt zu stoppen und Tirana weitaus grüner zu machen. Die Idee: die Stadt innen zu komprimieren, um an den frei werdenden Flächen Grünareale zu schaffen.

Bemerkenswert ist, dass das alles in der Hauptstadt eines der ärmsten Länder Europas geschieht, wo das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf bei etwa einem Drittel des EU-Schnitts liegt. Nach Ansicht der Stadtverantwortlichen ist der dramatische Umbau nötig: Tirana mit seinen nach aktuellen Zahlen etwa 420.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wachse jedes Jahr um etwa 30.000 Menschen, die Frage sei also, wie man das nachhaltig planen könne, sagte der sozialistische Bürgermeister Erion Veliaj zum Projekt.

Skanderberg-Platz in Tirana
ORF/Valentin Simettinger
Rege Bautätigkeit umgibt Tiranas zentralen Skanderbeg-Platz (das Bild wurde Ende Jänner aufgenommen)

Geschichtsverlust und höhere Preise?

Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt stechen die neu hochgezogenen Gebäude rasch ins Auge. Angesichts dessen – und dass dafür auch historische Gebäude weichen mussten – befürchten Kritiker und Kritikerinnen des Vorhabens, dass die Stadt ohne Rücksprache mit der Bevölkerung unter Bauherren aufgeteilt wird, die am Ende alles bis zur Unkenntlichkeit verändert haben. Nicht nur Geschichte gehe verloren, auch würden die Wohnungspreise nach oben getrieben.

Augenscheinlich wird die rasante Veränderung auf dem zentralen Skanderbeg-Platz, auf dem sich vor wenigen Jahren noch massenhaft Autos entlangwälzten. Angelegt wurde der Platz während der italienischen Besatzung – eine Mischung aus italienischem Modernismus der 1930er Jahre und sowjetischer Architektur kennzeichnet ihn. Die betonierte Oberfläche ist dem Platz zwar erhalten geblieben, doch kreuzen hier jetzt lediglich Fußgängerinnen und Fußgänger ihre Wege durch die erschaffene Fußgängerzone.

Wandplakate mit zukünftigen Bauprojekten vor dem Skanderberg-Platz in Tirana
ORF/Valentin Simettinger
Im Zentrum Tiranas entstehen teilweise spektakuläre Gebäude – doch es gibt auch Kritik am Umbau der Stadt

Abriss unter lautem Protest

Und beim Blick rundherum stechen rasch neue, durchaus anspruchsvoller designte Hochhäuser und frisch restaurierte Gebäude ins Auge. Ein markantes und gleichsam in den Augen vieler bedeutendes Gebäude fehlt seit Mai 2020, es wurde in einer Nacht- und Nebelaktion abgerissen – breitem Protest zum Trotz. Das Teatri Kombetar wurde 1939 von dem italienischen Architekten Giuglio Berte entworfen, diente zunächst als Einrichtung für die italienische Armee, bevor es 1947 zum Nationaltheater wurde.

Bekannte Künstler und Architekten kritisierten den Abriss vehement – nicht nur wegen des Denkmalschutzes, sondern auch wegen der fragwürdigen Ausschreibung, der Umgehung von Wettbewerbsrecht und den Plänen für das neue Theater fernab des Zentrums. Das Gebäude wurde zwei Jahre lang durch Aktivistinnen und Aktivisten besetzt, bevor der Abrisstrupp spät nachts und unangekündigt anrückte. Dass das alles während der Pandemie passierte, war offenbar auch kein Zufall.

Architekt will Wald in Städte bringen

Der Startschuss zum Umbau des Zentrums wurde bereits im Jahr 2016 gegeben – damals wurden die Pläne unter der Formel „Tirana 2030“ bekanntgegeben. Die Stadtplaner argumentierten, dass der Zuzug und die damit verbundene neue Bebauung nach dem Ende des kommunistischen Regimes der Stadt zwar Charakter verliehen habe, doch Ordnung und Struktur fehle. Der italienische Architekt Stefano Boeri entwarf als Konzept einen Waldring, der das Stadtzentrum umschließen sollte.

Luftansicht der renovierten Pyramide von Tirana
APA/AFP/Adnan Beci
Der Umbau der Pyramide ist bald vollendet – sie war früher Diktator Hoxha gewidmet, jetzt wird sie Kultur- und Bildungszentrum

Boeri gilt als Verfechter der opulenten Begrünung – mit entsprechenden Entwürfen und Projekten erlangte er internationale Bekanntheit. In Mailand etwa wurde sein „Bosco Verticale“ (Vertikaler Wald) realisiert, im Wesentlichen geht es dort um zwei spektakulär begrünte Hochhäuser. In China steht Boeri hinter noch weit umfassenderen Projekten: Dort sollen futuristisch anmutende „Forest Citys“ entstehen, große Viertel, die zugleich Stadt und Wald sind.

Stadt will Zugriff auf Raum behalten

Kommunal finanziert wird in Tirana freilich kaum, das lassen die Stadtkassen nicht zu. Folglich heißt das Angebot an Immobilienentwickler und Grundstückbesitzerinnen, dass diese zwar (nach dem Konzept vorzugsweise in die Höhe) bauen dürfen, die umliegenden Freiflächen der Grundstücke allerdings der Stadt zur Nutzung als öffentlichen Raum zu überlassen sind. Kritikerinnen und Kritiker sagen jedoch, dass die bisherigen Entwicklungen den gesetzten Kriterien nicht entsprechen.

Außenansicht des Stadions in Tirana
ORF/Valentin Simettinger
Die spektakuläre Fassade des albanischen Nationalstadions – entworfen vom italienischen Architekturbüro Archea Associati

Überhaupt liege abgesehen von vielen Renderings auch kein detaillierter Plan auf, wie das umgestaltete Zentrum letzten Endes genau aussehen wird. Gegnerinnen und Gegner argumentieren, dass es für die Öffentlichkeit unmöglich zu verstehen sei, wie sich die Stadt im Detail entwickeln soll. Und auch gibt es Bedenken, woher das Geld für all die Projekte tatsächlich kommt. Fachleuten zufolge ist das Land zu einem Hotspot für Geldwäsche geworden.

Gelegenheit für italienische Mafia?

Und auch in diesem Bereich soll Italien eine Rolle spielen: so hatten Anti-Mafia-Staatsanwälte in Italien herausgefunden, dass das Mafiaorganisation ’Ndrangheta den Neubau von Tirana als Gelegenheit zur Geldwäsche erkannt hatte. Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), eine internationale Institution für die Überwachung von Geldwäsche, setzte Albanien auf die „Graue Liste“.

Das bedeutet, dass das Land aufgrund von Systemschwächen für Geldwäsche als hochgradig anfällig gilt. Dabei wurde ausgerechnet der Immobiliensektor als besonders besorgniserregend eingestuft. Und die albanische Financial Intelligence Unit (FIU) gab in einem ihrer Berichte an, dass „beträchtliche Immobilieninvestitionen mit unbekannter Geldquelle“ zu beobachten gewesen seien, die man als „verdächtig“ einstufe.

Fortschritte im Kampf gegen Geldwäsche

Doch kommunale Politik sieht entsprechende Vorgänge mit Verweis auf verstärkte nationale Vorkehrungen gegen Geldwäsche als systemisch weitgehend unterbunden. Tatsächlich erkennt der Europarat Albanien in einem aktuellen Bericht positive Schritte zu. So seien Maßnahmen ergriffen worden, um Mängel in Bezug auf Treuhänder, die den Anforderungen gegen Geldwäsche unterliegen, zu beheben.

Gleichzeitig gebe es Bemühungen, um den Behörden den Zugang zu Informationen über wirtschaftliches Eigentum zu erleichtern. Auch die Maßnahmen zur Regulierung und Überwachung von Notaren und Immobilienmaklerinnen seien verstärkt worden, heißt es im aktuellen Europaratsbericht. Lizenzen könnten nun widerrufen werden, wenn gegen die Geldwäsche-Gesetzgebung verstoßen wird.