Satellitenbild zeigt Flugfeld bei Odessa
Reuters/Maxar Technologies
US-Geheimdokumente

Suche nach Leck, Ärger in Kiew

Nach dem Auftauchen geheimer US-Militärdokumente in sozialen Netzwerken läuft in Washington die Suche nach den Urhebern. In Kiew soll der Ärger ob des Lecks groß sein, berichtete CNN. Die Ukraine habe deswegen bereits einige ihrer militärischen Pläne geändert, hieß es. Laut Pentagon stellt der Leak ein „sehr hohes“ Sicherheitsrisiko dar.

Ein Dokument zeigt laut CNN, dass die USA auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausspioniert hätten. Die Tatsache an sich sei keine Überraschung, aber ukrainische Beamte seien zutiefst frustriert über das Datenleck, schrieb der Sender unter Berufung auf eine Selenskyj nahestehende Person.

Kiew hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, die Dokumente seien Fälschungen und Teil einer russischen Desinformationskampagne. Beratungen des Staatschefs mit dem Militär liefen anders ab als in veröffentlichten Geheimdienstdokumenten dargestellt, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Montag. Die Beziehungen der Ukraine zu ihren westlichen Partnern seien durch die Veröffentlichungen nicht gefährdet. „Das sind normale Analysen“, sagte er.

Kiew widerspricht und wiegelt ab

Zuvor berichtete die „New York Times“ („NYT“) unter Berufung auf die Dokumente über mögliche baldige Probleme bei der ukrainischen Flugabwehr. Um den russischen Angriffen standzuhalten, brauche es dringend mehr Munition, hieß es laut „NYT“ in einem Dokument vom 28. Februar.

In derselben Unterlage soll laut der Zeitung davor gewarnt werden, dass die ukrainische Luftabwehr zum Schutz der Truppen in den Frontabschnitten Ende Mai zum Erliegen kommen könnte. Podoljak beschwichtigte auch, dass beispielsweise Informationen zu Problemen der ukrainischen Flugabwehr ohnehin bekannt seien.

Es hatte auch Berichte gegeben, laut denen Selenskyj Ende Februar in einer Beratung mit der Armeeführung Drohnenangriffe auf Standorte der russischen Armee im Gebiet Rostow vorgeschlagen habe. Das könnte Washington darin bestärkt haben, Kiew keine weitreichenden Waffen zu liefern, hieß es. Podoljak widersprach dieser Darstellung: „Es macht keinen Sinn, einfach abstrakt zu sagen: ‚Lasst uns das Gebiet Rostow bombardieren.‘“

Pentagon: Unterlagen enthalten „sensibles Material“

In den vergangenen Wochen waren zahlreiche Regierungsdokumente auf Twitter, Telegram, Discord und weiteren Plattformen aufgetaucht. Dass die Dokumente online zirkulierten, sei „ein sehr hohes Risiko für die nationale Sicherheit“, sagte am Montag ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums vor Journalisten und Journalistinnen. Der Vorgang habe „das Potenzial, Falschinformationen zu verbreiten“.

Zuvor hatte es geheißen, man prüfe nach wie vor der Echtheit der Dokumente. Diese schienen jedoch „sensibles und streng geheimes Material zu enthalten“. Das Pentagon und das US-Justizministerium prüften unter Hochdruck mögliche Folgen des Vorfalls für „die nationale Sicherheit“. Dafür sei eine „behördenübergreifende Arbeitsgruppe“ eingerichtet worden.

Ukraine: Dokumentenleak wird untersucht

Laut Unterlagen aus den USA könnte die Ukraine schon bald nicht mehr genug Munition haben, um sich gegen die Luftwaffe aus Russland zu verteidigen. Allerdings steht noch nicht fest, ob alle Unterlagen echt sind und wie diese an die Öffentlichkeit gelangen konnten.

„Wir sind besorgt, dass diese Dokumente da draußen sind“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. „Sie sollten absolut nicht in der Öffentlichkeit sein.“ Gleichzeitig mahnte der Regierungsvertreter zu Vorsicht: „Wir müssen jetzt einfach vorsichtig sein mit Spekulationen oder Vermutungen, was oder wer dahinter stecken könnte.“

In Regierungskreisen werden viele der Unterlagen grundsätzlich für echt gehalten, berichtete CNN. Viele der Dokumente schienen nicht gefälscht zu sein und glichen im Format denjenigen des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, bestätigten Regierungsmitarbeiter der „Washington Post“. Die Unterlagen des Oberkommandos der Streitkräfte sähen authentisch aus, berichtete die „NYT“ unter Berufung auf Regierungskreise.

Bellingcat: Einige Dokumente manipuliert

Aric Toler vom Investigativnetzwerk Bellingcat schrieb in einem Artikel, die Dokumente könnten echt sein. Er wies aber auch nach, dass einige Dokumente im Nachhinein klar manipuliert wurden. Die Nachrichtenagentur Reuters, die nach eigenen Angaben mehr als 50 als „geheim“ und „streng geheim“ eingestufte Dokumente durchgesehen hat, berichtete, es sei auffällig, dass Zahlen zu geschätzten russischen Verlusten in der Ukraine unerwartet gering waren.

Wie lange die Unterlagen bereits kursieren, ist unklar. Publik wurde das Leck vergangene Woche nach einem Bericht der „NYT“. Eine Spurensuche von Bellingcat in sozialen Netzwerken legte allerdings nahe, dass erste Dokumente bereits Anfang März herumgegangen sein könnten. Die abfotografierten Schriftstücke stammen laut „Politico“ aus dem Zeitraum zwischen Ende Februar und Ende März.

Infos auch zu anderen Ländern

Die veröffentlichten geheimen Dokumente beinhalten US-Medienberichten zufolge unter anderem Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Angaben zum Munitionsverbrauch. Es gibt auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf eingezeichnet ist, und Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken.

Informationen gab es laut US-Medien auch zu Plänen der NATO und der USA, wie das ukrainische Militär auf eine bevorstehende Frühlingsoffensive vorbereitet und bewaffnet werden soll. Auch Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten seien vermerkt. Analysen und Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China oder Israel, sollen ebenfalls zu finden sein.

US-Marines neben einem M142 High Mobility Artillery Rocket System (HIMARS)
APA/AFP/Jam Sta Rosa
Die Dokumente enthalten laut US-Medien zahlreiche sensible Details, unter anderem zu den ukrainischen Streitkräften

Einige Dokumente sollen laut „NYT“ auch Informationen über interne Debatten in Regierungen von US-Bündnispartnern enthalten – etwa Diskussionen über die Frage, ob Südkorea den USA Artilleriegeschoße für den Einsatz in der Ukraine zur Verfügung stellen sollte.

Kreml: „Leaks interessant“

Der Kreml in Moskau verfolgt die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente unter anderem zum Krieg in der Ukraine mit Interesse. „Die Leaks sind einigermaßen interessant, alle studieren, analysieren und erörtern sie breit“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.

Auf die Frage zu einer möglichen Beteiligung russischer Stellen an der Veröffentlichung sagte Peskow, dass er das nicht kommentieren könne. „Wir alle wissen doch, dass es hier wieder um diese Tendenz geht, Russland für alles, immer und überall zu beschuldigen und alles Russland anzuhängen“, sagte er. Diese Schuldzuweisung sei eine „verbreitete Krankheit“, weshalb es nichts zu kommentieren gebe.

Seoul: Zahlreiche Unterlagen gefälscht

Die südkoreanische Regierung erklärte indes große Teile der geleakten US-Geheimdokumente für gefälscht. Nach einem Telefongespräch zwischen den Verteidigungsministern der USA und Südkoreas seien beide zu dem Schluss gekommen, „dass eine beträchtliche Anzahl der fraglichen Dokumente konstruiert sind“, teilte Südkoreas Präsidentschaftsbüro am Dienstag mit.

In einigen der Dokumente soll Südkorea Bedenken äußern, die USA könnten südkoreanische Artilleriegranaten, die für die Bestände des US-Militärs gedacht waren, an Kiew weitergeben. Das wäre eine Verletzung der südkoreanischen Waffenexportpolitik, nach der Seoul keine Rüstungsgüter in Kriegsgebiete liefert.