Ukrainische Soldaten bei einer Übung
IMAGO/Dmytro Smolienko
US-Geheimdokumente

Leak gibt weiter Rätsel auf

Immer noch ist weitgehend unklar, wer hinter dem Leak jener geheimen US-Dokumente über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steckt, die die vergangenen Tage auf diversen Onlineplattformen aufgetaucht sind. Sogar eine absichtliche Irreführung wird in Erwägung gezogen – die veröffentlichten Geheiminformationen könnten gar nicht echt sein. Nach Ansicht des Pentagon vom Montag (Ortszeit), gebe es jedenfalls „ein sehr ernstes Sicherheitsrisiko“.

„Enorme Auswirkungen“, nicht nur auf die Sicherheit der USA, könnten nicht ausgeschlossen werden, auch Menschenleben seien in Gefahr: Pentagon-Sprecher Chris Meagher bezog sich damit darauf, dass durch die Verbreitung der Unterlagen auch ausländische Informantinnen und Informanten der US-Geheimdienste exponiert werden könnten.

Die geheimen US-Regierungsdokumente waren nach und nach auf Onlineplattformen wie Discord, Telegram und Twitter aufgetaucht. Laut der „New York Times“ („NYT“) wurden sie über prorussische Kanäle verbreitet. „Wir untersuchen immer noch, wie das passiert ist und wie groß das Problem ist“, so Meagher. Es müsse unter anderem geprüft werden, „wie diese Art von Informationen verteilt werden und an wen“. Das Pentagon hat eine „behördenübergreifende Arbeitsgruppe“ eingerichtet, die die Auswirkungen des Datenlecks auf die nationale Sicherheit untersucht. Auch leitete das US-Justizministerium strafrechtliche Ermittlungen ein.

Ukrainischer Panzer
IMAGO/Valentin Sprinchak
Geleakte US-Geheimdokumente stellen laut Pentagon ein erhebliches Risiko für die weltweite Sicherheitspolitik dar

Nach Angaben der „NYT“ enthalten die Unterlagen unter anderem Informationen zu Plänen der USA und der NATO zur Unterstützung einer ukrainischen Militäroffensive im Frühjahr gegen Russland. In den Unterlagen sollen etwa Details über Waffenlieferungen, Bataillonsstärken und andere sensible Informationen stehen. Ein Dokument fasse zudem die Ausbildungspläne zwölf ukrainischer Kampfbrigaden zusammen.

„Wissen nicht, wer verantwortlich ist“

Die US-Regierung sei besorgt, dass noch weitere Dokumente auftauchen könnten, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, John Kirby. „Wir wissen nicht, wer dafür verantwortlich ist. Und wir wissen nicht, ob sie noch mehr haben, das sie veröffentlichen wollen“, sagte er. US-Präsident Joe Biden wurde nach Angaben Kirbys Ende vergangener Woche über das Dokumentenleck informiert.

ORF-Korrespondent Kohl zu den Ukraine-Leaks

Wie groß ist der Schaden durch die Ukraine-Leaks tatsächlich? ZIB-Korrespondent Christophe Kohl berichtet aus Washington.

In Kiew soll der Ärger ob des Lecks groß sein, berichtete CNN. Ein Dokument zeigt laut dem Sender, dass die USA auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausspioniert hätten. Die Tatsache an sich sei keine Überraschung, aber ukrainische Beamte bzw. Beamtinnen seien zutiefst frustriert über das Datenleck, schrieb der Sender unter Berufung auf eine Selenskyj nahestehende Person.

Der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Olexij Danilow, widersprach jedoch in einem ARD-Interview Medienberichten, dass die Ukraine militärische Pläne wegen des Datenlecks geändert habe. Über den Beginn der ukrainischen Gegenoffensive werde im allerletzten Moment entschieden. „Wenn jemand glaubt, dass wir nur eine Option haben, dann entspricht das nicht der Realität. Sogar drei Optionen wären nicht viel“, sagte Danilow.

Unklar, ob oder welche Dokumente echt sind

Kiew hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, die Dokumente seien Fälschungen und Teil einer russischen Desinformationskampagne. Beratungen des Staatschefs mit dem Militär liefen anders ab als in veröffentlichten Geheimdienstdokumenten dargestellt, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Montag. Die Beziehungen der Ukraine zu ihren westlichen Partnern seien durch die Veröffentlichungen nicht gefährdet. „Das sind normale Analysen“, sagte er.

John Kirby
AP/Susan Walsh
Viele Fragen, wenige Antworten: Sprecher Kirby und der Sicherheitsrat des Weißen Hauses stehen vor großen Herausforderungen

Laut Pentagon-Sprecher Meagher untersucht sein Ministerium allerdings noch, inwieweit die veröffentlichten Dokumente echt sind. Die verbreiteten Schriftstücke ähnelten im Format solchen, welche die US-Geheimdienste führenden Politikerinnen und Politikern zum Briefing über die Ukraine, Russland und andere Themen präsentierten, sagte er.

Allerdings sehe es so aus, als seien manche der Dokumente vor der Veröffentlichung verfälscht worden. Der Vorgang habe „das Potenzial, Falschinformationen zu verbreiten“. Mindestens ein Papier scheint so manipuliert worden zu sein, dass es entgegen dem mutmaßlichen Original die ukrainischen Verluste im Krieg höher einschätzt als die russischen.

„Beträchtliche Anzahl konstruiert“

Die südkoreanische Regierung erklärte unterdessen bereits, große Teile der durchgesickerten Dokumente seien gefälscht. Nach einem Telefonat zwischen den Verteidigungsministern der USA und Südkoreas seien beide zu dem Schluss gekommen, „dass eine beträchtliche Anzahl der fraglichen Dokumente konstruiert ist“, teilte das Präsidentschaftsbüro in Seoul mit. Einige der Dokumente sollen nämlich zeigen, dass Südkorea Bedenken äußert, die USA könnten in Südkorea Waffen an die Ukraine liefern. Das wäre eine Verletzung der südkoreanischen Waffenexportpolitik, nach der Seoul keine Rüstungsgüter in Kriegsgebiete liefern darf.

USA besorgt

Nach der Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen ist die US-amerikanische Regierung um Schadensbegrenzung bemüht.

Ein Teil der Dokumente soll auch auf die Ausspähung von Verbündeten durch die USA hinweisen. So soll aus einem der Schriftstücke hervorgehen, dass führende Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen des israelischen Geheimdiensts Mossad die Proteste im Land gegen die Justizreform der israelischen Regierung befürworten.

Kreml: „Leaks interessant“

Der Kreml in Moskau verfolgt die Veröffentlichung der geheimen US-Dokumente unter anderem zum Krieg in der Ukraine mit Interesse. „Die Leaks sind einigermaßen interessant, alle studieren, analysieren und erörtern sie breit“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.

Auf die Frage zu einer möglichen Beteiligung russischer Stellen an der Veröffentlichung sagte Peskow, dass er das nicht kommentieren könne. „Wir alle wissen doch, dass es hier wieder um diese Tendenz geht, Russland für alles, immer und überall zu beschuldigen und alles Russland anzuhängen“, sagte er. Diese Schuldzuweisung sei eine „verbreitete Krankheit“, weshalb es nichts zu kommentieren gebe.

Geheimdokumente von Plattformen entfernt

US-Vertreter und -Vertreterinnen hätten inzwischen wegen der Dokumente Kontakt zu verbündeten Staaten aufgenommen, sagte US-Außenamtssprecher Vedant Patel, auch „um ihnen zu versichern, dass wir uns für den Schutz von Geheimdienstinformationen einsetzen und in der Lage sind, unsere Partnerschaften abzusichern“.

Viele der durchgesickerten Dokumente sind mittlerweile aber nicht mehr auf den Plattformen zu finden. Die US-Regierung arbeitet laut Berichten daran, die Dateien nach und nach aus den Netzwerken zu entfernen. Wie lange die Unterlagen bereits kursieren, ist unklar. Publik wurde das Leck vergangene Woche nach einem Bericht der „NYT“. Eine Spurensuche des Netzwerks Bellingcat auf Social Media legte allerdings nahe, dass erste Dokumente bereits Anfang März herumgegangen sein könnten. Die abfotografierten Schriftstücke stammen laut „Politico“ aus dem Zeitraum zwischen Ende Februar und Ende März.