Börsenanzeige auf Straße
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Zinserhöhungen

Dutzende Länder in der Bredouille

Für ärmere Länder ist 2023 die Schuldenlast gegenüber ausländischen Geldgebern so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr, heißt es in einer jetzt veröffentlichten Studie der britischen NGO Debt Justice. Verantwortlich dafür seien die zuletzt gesetzten Zinserhöhungen, mit denen die Zentralbanken weltweit versucht haben, der hohen Inflation zu begegnen. In Dutzenden Ländern gefährdet die hohe Verschuldung zudem auch öffentliche Ausgaben, zum Beispiel im Gesundheits- und Bildungssektor.

In der Studie sah sich Debt Justice eine Gruppe von 91 der ärmsten Länder der Welt an. Für diese Länder werden die Rückzahlungen öffentlicher Schulden gegenüber ausländischen Geldgebern im Jahr 2023 durchschnittlich mehr als 16 Prozent der Staatseinnahmen in Anspruch nehmen, im nächsten Jahr dann fast 17 Prozent.

Diese 91 Länder werden von der Weltbank als Länder mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen eingestuft. Die höchste Auslandsverschuldung weisen dabei Sri Lanka, Laos, Pakistan, Sambia und der Inselstaat Dominica auf.

Großteil von privaten Kreditgebern

Nach Angaben der Weltbank entfallen in den Jahren 2023 und 2024 bei den untersuchten Ländern 46 Prozent der Auslandsschulden auf private Kreditgeber, dabei sind die chinesischen Privatgeldgeber noch nicht mit eingerechnet, 30 Prozent entfallen auf multilaterale Institutionen, zwölf Prozent auf chinesische öffentliche und private Kreditgeber sowie zwölf Prozent auf Regierungen.

Als die Schulden das letzte Mal so hoch waren – rund um die Jahrtausendwende – haben Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und Regierungen einen weitreichenden Schuldenerlass gewährt. Im Rahmen der Initiative für hoch verschuldete arme Länder wurde damals vielen Ländern der Großteil ihrer bilateralen und multilateralen öffentlichen Auslandsschulden erlassen.

Chow: „Schulden behindern öffentliche Dienstleistungen“

Heidi Chow, geschäftsführende Direktorin von Debt Justice, sagte in einem Bericht der „Financial Times“ („FT“), dass die Rückzahlung von Schulden heute für viele Regierungen wieder ein „krisenhaftes“ Niveau erreicht habe, das „ihre Fähigkeit behindert, öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen, die Klimakrise zu bekämpfen und auf wirtschaftliche Turbulenzen zu reagieren“.

Der durchschnittliche Schuldenstand erreichte 2011 einen Tiefstand von 6,6 Prozent der Staatseinnahmen und ist seitdem wieder auf 16,3 Prozent im Jahr 2023 angestiegen. Chow forderte eine „schnelle und umfassende“ Erleichterung der Auslandsverschuldung, einschließlich einer Änderung der Gesetze für Anleiheverträge im Vereinigten Königreich und im Bundesstaat New York, um private Gläubiger zu zwingen, sich an einem Schuldenerlass zu beteiligen.

Ahmed: „Situation heute anders“

Aus einer eher neoliberalen Perspektive betrachtet Masuud Ahmed das Thema. Er ist ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des IWF und der Weltbank und Präsident des in Washington ansässigen Thinktanks Center for Global Development (CGD). Die heutigen Probleme könnten laut ihm nicht mehr auf dieselbe Weise wie in der Vergangenheit angegangen werden.

„Die Situation ist heute anders“, sagte er. „Die meisten Kreditnehmer wollen ihren Zugang zu den multilateralen Kreditgebern und vor allem zu den privaten Gläubigern behalten.“

Problemfall Sri Lanka

Nach den von Debt Justice analysierten Daten der Weltbank steht vor allem das asiatische Land Sri Lanka vor dem steilsten Zeitplan für die Rückzahlung von Auslandsschulden, die in diesem Jahr 75 Prozent der Staatseinnahmen ausmachen. Dahinter befinden sich Laos mit 65,6 Prozent, Dominica mit 57,8 Prozent und Pakistan mit 46,7 Prozent.

Sri Lankas planmäßige Rückzahlungen der Inlandsschulden sind sogar noch höher. Einem Bericht des IWF vom letzten Monat zufolge werden diese im Jahr 2023 mehr als 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen. Das ist fast dreimal so viel wie die Auslandsschulden, die sich laut IWF auf 9,8 Prozent des BIP belaufen.

Land stark von CoV-Pandemie getroffen

Sri Lanka hatte sich über die Jahre eine Vielzahl von Krediten und Anleihen bei ausländischen Banken und Staaten aufgenommen und sich dadurch stark verschuldet. Ratingagenturen haben kontinuierlich die Kreditwürdigkeit des Landes heruntergestuft. Dadurch hat Sri Lanka auch den Zugang zu internationalen Finanzmärkten verloren. Mit dem Beginn der CoV-Pandemie brach zudem der Tourismus im Land stark ein – ein lebenswichtiger Wirtschaftszweig des Landes.

Durch die anhaltende Wirtschaftskrise und aufgrund von Strom-, Brennstoff- und Medikamentenknappheit kam es im März 2022 zu groß angelegten Protesten gegen die Regierung. Im Mai war Sri Lanka dann zum ersten Mal in seiner Geschichte offiziell zahlungsunfähig.

Sanhita Ambast, globale Forschungs- und Politikberaterin bei Amnesty International (AI), sagte gegenüber dem „Guardian“, dass die Bevölkerung Sri Lankas schwer getroffen wurde, weil die Regierung aufgrund der Verschuldung keine Mittel hatte, um auf andere Schocks zu reagieren, wenn diese eintraten.

Polizei setzt Wasserwerfer gegen Demonstranten in Colombo ein, Juli 2022
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Im Frühjahr und Sommer 2022 kam es in Sri Lanka aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage zu groß angelegten Protesten

Expertin kritisiert fehlende Entwicklungsgelder

Mae Buenaventura, Koordinatorin des Asian People’s Movement on Debt and Development, sagte im „Guardian“: „Die Schuldenzahlungen entziehen den Ländern des Südens dringend benötigte Entwicklungsgelder, um ihre Bürger vor den sich ständig verschärfenden Wirtschafts- und Klimakrisen zu schützen. Ohne Schuldenerlass wird die Verschuldung der Länder des Südens weiter steigen und die Entwicklungsfinanzierung weiter ausbluten.“

AI-Politikberaterin Ambast forderte ein stärker koordiniertes Vorgehen multilateraler Organisationen wie der G-20, um sicherzustellen, dass die Regierungen in der Lage sind, Geld für wichtige Dienstleistungen auszugeben, anstatt ihre Schulden zu bedienen. Sie ist jedoch wenig zuversichtlich, dass aus der Krise in Sri Lanka Lehren gezogen wurden.

„Ich sehe nicht wirklich die internationalen Maßnahmen, die es in Bezug auf Schulden geben sollte. Statistiken zeigen, dass die Situation in Sri Lanka nicht so ungewöhnlich ist, wie wir es uns vielleicht wünschen. Es wurden zwar Bedenken geäußert, aber keine konkreten Maßnahmen ergriffen“, sagte Ambast.

Japan: Umstrukturierung von Sri Lankas Schulden

Im Ringen um eine Lösung der schweren Schuldenkrise in Sri Lanka riefen Japan, Frankreich und Indien vor Kurzem eine Verhandlungsplattform unter den Gläubigerstaaten ins Leben. Ziel der von Japan angestoßenen Initiative ist es, Gespräche zwischen Sri Lankas Gläubigern zwecks Umstrukturierung der milliardenschweren Schulden des südasiatischen Inselstaates zu koordinieren.

Es ist jedoch ungewiss, ob sich der größte bilaterale Gläubiger Sri Lankas, China, dem Prozess anschließen wird. Sri Lanka hatte zum vergangenen September Auslandsschulden in Höhe von rund 32 Milliarden Euro. 19 Prozent davon entfielen nach Angaben des japanischen Finanzministeriums auf China, sieben Prozent auf Japan und fünf Prozent auf Indien. Der japanische Finanzminister Shunichi Suzuki sprach dennoch bei der Vorstellung der Initiative in Washington von einer „historischen Errungenschaft“.

IWF: Weltweite Verschuldung steigt an

Auch die weltweite Verschuldung ist wieder auf dem Vormarsch. Wie aus neuen Schätzungen des IWF hervorgeht, werden die Schuldenstände nach zwei Jahren mit deutlichen Rückgängen 2023 und auch in den kommenden Jahren wieder zulegen. Für dieses Jahr rechnet der IWF demnach mit einem Durchschnittswert von 93,3 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.

In der CoV-Pandemie war die Verschuldung 2020 sprunghaft gestiegen auf den Rekordwert von knapp 100 Prozent. Seitdem ging es wieder runter auf gut 92 Prozent Ende 2022. Bis 2028 rechnet der IWF dann wieder mit kontinuierlichen Zuwächsen von mehr als einem Punkt pro Jahr und insgesamt einem Anstieg bis auf 99,6 Prozent.

Verschuldung trotz restriktiverer Finanzpolitik hoch

„Die Schuldentragfähigkeit ist ein Grund zur Sorge in vielen Ländern“, heißt es im Verschuldungsbericht, den der IWF am Mittwoch in Washington veröffentlichte. Etwa drei von vier Ländern würden zwar seit 2022 einen restriktiveren Kurs in der Finanz- und auch Geldpolitik fahren. Trotzdem sei die globale Verschuldung noch acht Prozentpunkte oberhalb des Niveaus, das vor der Pandemie geschätzt worden sei.

Wegen der hartnäckig hohen Inflation könnten die Staaten nicht mehr so viel Geld ausgeben. Sonst würden sie gegen die Zinserhöhungen arbeiten, mit denen die Notenbanken die Inflation wieder unter Kontrolle bekommen wollen. Es müsse Priorität sein, in den nächsten Jahren wieder finanzielle Puffer aufzubauen, um auch in der nächsten Krise handlungsfähig zu sein.

USA und China hauptverantwortlich

Der Anstieg der Verschuldungsquoten geht allein auf die USA und China zurück. Ohne die beiden führenden Wirtschaftsnationen würde es global rückläufige Werte geben, so der IWF. In den USA dürfte der Schuldenstand ab 2024 pro Jahr um fast drei Prozentpunkte steigen. Vor der Coronavirus-Pandemie wurde in etwa mit dem halben Tempo gerechnet.

Bis 2028 wird der US-Schuldenstand auf gut 136 Prozent der Wirtschaftsleistung klettern. Für China rechnen die IWF-Experten bis dahin mit 105 Prozent. Die jährlichen Zuwächse sind dabei noch deutlicher als in den USA.